Auf der Walz

Die Zimmerergesellen Kevin Rüdiger (l.), Denny Prochnau (r.) und Steinmetz Michael Egli (M.) arbeiten seit März auf Teneriffa. Insgesamt drei Jahre sind sie in ganz Europa unterwegs. Fotos:: Kathrin Lucia Meyer

Die Zimmerergesellen Kevin Rüdiger (l.), Denny Prochnau (r.) und Steinmetz Michael Egli (M.) arbeiten seit März auf Teneriffa. Insgesamt drei Jahre sind sie in ganz Europa unterwegs. Fotos:: Kathrin Lucia Meyer

Wie Handwerksgesellen in ganz Europa eine uralte Tradition weiterführen

Teneriffa – Der eine oder andere mag ihnen schon auf der Insel begegnet sein. Als Wandergesellen in der typischen Kluft ihrer Handwerkszunft fallen sie überall auf, denn auf der sogenannten Walz werden Kleidung und Hut nur zum Baden, Essen, Schlafengehen und in der Kirche abgelegt. Sie führen damit eine jahrhundertealte Tradition fort, die seit dem Spätmittelalter bis zur beginnenden Industrialisierung eine der Voraussetzungen der Zulassung zur Meisterprüfung von Handwerksgesellen war, heute aber nicht mehr überall bekannt ist. „Die Leute denken, wir wären Magier, vor allem die Spanier kennen die Tradition der Walz oft gar nicht“, sagt Michael Egli aus Bern, einer von rund einem Dutzend Gesellen aus Deutschland und der Schweiz, die sich gerade auf Teneriffa befinden.

Der 27-Jährige ist Steinmetz und Handwerker in der Denkmalpflege. Seit September 2019 ist er auf Wanderschaft, aktuell betreut er zusammen mit weiteren drei Kollegen ein Haus in Candelaria. Mit selbst auferlegter Mission: „Wir wollen hier auch ein bisschen den kulturellen Austausch fördern und die Traditionen des Handwerks im Ausland bekannt machen“, sagt er. Als „Ehrbare Gesellschaft des Rolandschachtes zu Santa Ursula auf Teneriffa“ treffen sich die Handwerker einmal wöchentlich auf der Insel, tauschen sich über Arbeitsangebote und ihre Erlebnisse auf der Reise aus. Während der drei Wanderjahre konzentrieren sich die Gesellen nicht aufs Geldverdienen. Es gehe in erster Linie darum, sich selbst und die Welt kennenzulernen, erklärt Steinmetz Egli, der sich neben seiner Arbeit im Haus einer deutschen Familie gerade künstlerisch an einem Steinkreis an der Playa de los Abriguitos bei Abades versucht.

Drei Jahre lang nicht nach Hause

Üblicherweise unterstützen die Wandergesellen unterschiedliche Unternehmen oder Privatpersonen im Austausch gegen Kost und Logis. Höchstens jedoch drei Monate an einer Arbeitsstelle. Die Tradition erlaubt es nur schuldenfreien und unverheirateten Handwerkern wie Zimmerern, Maurern, Tischlern, Steinmetzen und Dachdeckern bis Ende des 27. Lebensjahres auf die Walz zu gehen. Damals ein reines Privileg der meist typisch männlichen Berufsgruppen, lassen die jüngeren Handwerkervereinigungen heute auch Frauen zur Walz zu.
Zu den Auflagen der Zunft gehört es auch, dass sich die Wanderer für die Dauer von drei Jahren und einem Tag nicht weiter als 60 Kilometer ihrem Heimatort nähern. Dieser sogenannten Bannkreis darf bei allen Schächten nur in Ausnahmefällen – etwa bei Krankheit oder Tod eines Angehörigen – gebrochen werden.

Die Corona-Pandemie habe das Reisen und Unterkommen bei fremden Menschen deutlich erschwert, aber nicht unmöglich gemacht, berichtet Egli. Ein Abbruch der Wanderschaft sei für ihn und seine Kollegen aber schon aus Tradition heraus nicht infrage gekommen. „Unsere Vorgänger waren sogar während der Spanischen Grippe unterwegs“, sagt er.
Das Reisen per Anhalter habe man während der Pandemie dennoch ausgesetzt, übernachtet wird, soweit möglich, auch bei Mitgliedern des Wanderschaftsnetzes oder – wie aktuell auf den Kanarischen Inseln – einfach draußen am Strand. Unsere Redakteurin lernt den Berner Steinmetz Michael Egli und Zimmerergesellen Kevin Rüdiger aus Halle an der Saale in Los Silos im Norden von Teneriffa kennen, wo sie für ein paar Tage im Schutze einer Vulkanhöhle an einem der zahlreichen Naturpools im Freien nächtigen.

Doch was hat es mit dem seltsamen Outfit der Wandergesellen auf sich? Jede Zunft trägt ihre eigene Kluft. Der Hut etwa kann ein Schlapphut sein, ein Zylinder oder eine Melone und gilt bei den Gesellen als Zeichen der Freiheit. Über der sogenannten Staude, einem kragenlosen, weißen Hemd, sitzt die Samt- oder Manchesterweste, die mit acht Perlmuttknöpfen besetzt ist – als Symbol für die Stunden, die der Geselle üblicherweise täglich arbeitet. Weitere sechs Knöpfe an der Jacke stehen für die Anzahl der Arbeitstage.

Wie viele Lehr- und Wanderjahre der Geselle bereits hinter sich hat, lässt sich schließlich an den Manschettenknöpfen der Jacke ablesen. Die Ehrbarkeit, ein krawattenähnliches Stück Stoff in unterschiedlichen Farben mit dem Handwerkswappen des jeweiligen Berufes, wird am Hemd befestigt. Die Rolandsbrüder zum Beispiel tragen Blau.
Ein Wanderbuch belegt die Arbeitseinsätze auf der langen Reise. Gleichzeitig fungiert es als Reisetagebuch; die Wanderer sammeln darin Stempel von Orten, an denen sie für längere Zeit bleiben und Arbeit finden. Nicht zuletzt kennzeichnet der Ohrring mit dem Handwerkswappen im linken Ohr den wandernden Gesellen.

Das Wanderbuch belegt die Arbeitseinsätze.
Das Wanderbuch belegt die Arbeitseinsätze.

Zauber der Walz

Was ist es aber, das diese jungen Menschen dazu bewegt, drei Jahre lang auf Wanderschaft zu gehen? „Man bekommt so eine Art Grundvertrauen ins Leben, in sich selbst und in andere Menschen“, sagt Denny Prochnau, der im Juni das dritte Jahr seiner Wanderschaft beendet. Zurück in den Handwerkeralltag, in eine feste Anstellung, das könne er sich noch nicht vorstellen. Deshalb plant er direkt noch ein paar Monate des Reisens anzuhängen, bevor er zur Familie bei Bünde in Nordrhein-Westfalen zurückkehrt. „Am meisten freue ich mich dann tatsächlich auf ein eigenes Badezimmer, bei dem man die Tür abschließen kann“, sagt er schmunzelnd. Was er auch nach der Reise beibehalten möchte – sofern es seine künftige Tätigkeit erlaubt: „Das zeitlose Unterwegssein ohne ständigen Blick auf die Uhr. Einfach mehr im Moment leben, an genau dem Ort, wo man eben gerade ist.“

Kathrin Lucia Meyer

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