Das längliche Rechteck des Llano el Río ist im Osten vom Cabezón de Izaña und im Westen von der Montaña de la Carnicería und der Montaña de las Vacas begrenzt. Nach Norden verhindert die Montaña de Los Asientos den Blick hinab ins Orotavatal und zur Küste. Berge und Ebene – nichts anderes bedeutet „Llano“ – sind überwiegend gut bewachsen. Dort befanden sich seit mehr als 2000 Jahren gemeinschaftliche Hochweiden. Guanchen haben sie erschlossen; den spanischen Eroberern folgende Siedler übernahmen bis ins 20. Jahrhundert deren halbnomadische Lebensweise als wandernde Viehhirten. Seitdem kann sich die Vegetation hier wieder einigermaßen erholen, obwohl der Fachmann vielerorts die von eingeschleppten Kaninchen und Mufflons verursachten Verbissschäden erkennen kann. Dies ist uraltes Kulturland. Darauf weisen auch die spanischen Ortsnamen hin. Los Asientos – die Sitze – von wo die Hirten ihre Herden auf der Ebene beobachteten; Montaña de las Vacas – Kuhberg – wo Rinder weiden konnten, weil es nicht so steil war; la Carnicería – Fleischbank – ob dort geschlachtet wurde, ist nicht bekannt. Aber vielleicht waren dort einmal mehrere Tiere bei einem Unwetter verunglückt. Nicht zu vergessen am Fuß von Los Asientos der Corral del Niño – das Viehgehege „des Kindes“ –, wo bei einem Parkplatz Wanderwege ins Umland beginnen und enden. Nach Süden über die Ebene hinweg blickend bleibt dort ganz wie in der Nordrichtung die Sicht hinab zur Küste verwehrt, diesmal nicht von den bewachsenen Kuppen lang entschlafener Vulkane, sondern von der je nach Licht fast schwarzen Lava der Montaña negra, des schwarzen Berges, den man auch als Volcán de Fasnia kennt. Mit einem Alter von etwas mehr als 300 Jahren sind seine Schlacken zu wenig verwittert, um Pflanzenwachstum zu ermöglichen. Die anderen Vulkane im Umkreis des Llano dagegen sind schon mehr als 175.000 Jahre alt. Auf einer Wanderung vom Corral del Niño zum Volcán de Fasnia durchqueren wir gleichzeitig ein Stück lokaler Erdgeschichte.
Abgesehen von drei Vulkanausbrüchen auf der Insel La Palma waren die Kanarischen Inseln seit der Unterwerfung durch die Spanier jahrhundertelang von Erdbeben und Eruptionen verschont worden. Insbesondere auf Teneriffa hatte man bis Ende 1704 praktisch keinerlei Erfahrungen mit solchen Ereignissen. Dann aber ging es Schlag auf Schlag und versetzte die Bevölkerung in Angst und Schrecken. Ausgerechnet am Vorabend des Weihnachtsfestes erschütterte ein heftiger Erdstoß den zentralen Teil der Insel, dem im 5 – 10-Minutentakt weitere folgten und erschütterten, was gewöhnlich fest und solide erschien. Häuser wurden beschädigt – in Güímar, La Orotava und Los Realejos. Magma bahnte sich im Untergrund seinen Weg an die Oberfläche und sprengte dabei Felsen auseinander, aber das konnte niemand wissen, erklären oder verstehen.
Es suchte nicht den kürzesten Weg nach oben, sondern folgte den Stein gewordenen Bahnen vorheriger Magmaaufstiege und öffnete wie diese eine lange Spalte im Boden. Sie verlief in nordöstlich-südwestlicher Richtung, wie die Cumbre dorsal, das gebirgige Rückgrat der Insel. So verläuft tief unter der Insel in der Erdkruste eine große Spalte, ein Rift. Durch sie quillt Magma aufwärts, und so sind alle Spaltenausbrüche in diesem Teil der Insel orientiert. Die meisten fanden nicht weit vom First der Insel statt – so auch diesmal. Ein weiteres Rift befindet sich in nordwestlich-südöstlicher Richtung unter Teneriffa. Wo sich beide Rifts treffen, erhebt sich der Pico del Teide. Es hat viele Forschergenerationen benötigt, diese Sachverhalte aufzuklären. Damals wusste niemand etwas davon – entsprechend verstörend waren die Ereignisse seinerzeit.
Zum Jahreswechsel brach der Vulkan aus. Er war klein, spuckte Feuergarben in die Luft, nicht sehr hoch, aber sichtbar, und brachte ein kleines Lavarinnsal hervor. Der glühende Bach mühte sich in einem kleinen Barranco knapp einen Kilometer hangabwärts. Dann war Schluss. Durch die Schlotöffnung entwichen lärmend vor allem heiße Gase und rissen spektakulär glühende Lavafetzen in Luft. Soweit sie nicht in die Spalte zurückfielen, schichteten sie sich um die aktivsten Schlote herum zu kleinen Kegeln auf. Rund zehn unterschiedlich große Trichter sind entlang der Erdspalte auf Luftaufnahmen zu erkennen. Anders kann und darf man sie nicht erkunden. Das Betreten aller historischen Vulkane ist aus Schutzgründen verboten. Nach etwa fünf Tagen erlosch der Volcán de Siete Fuentes. Zurück blieb ein gut 300 m langer knapp 40 m hoher Schlackenkamm.
Am 6. Januar, am Dreikönigstag des Jahres 1705, tat sich einen Kilometer entfernt die Spalte auf einer Länge von mehr als 1000 m wieder auf. Die Erscheinung war ähnlich: Gase rissen unter Getöse Feuergarben in die Luft, schichteten rund 30 unterschiedlich große, bis zu 50 m hohe Schlackenkegel zum Volcán de Fasnia auf, und einige Tage später trat ein kleiner Lavastrom aus. Dieser wurde von mehr Lava gespeist und gelangte durch den Barranco del Volcán immerhin 500 m weiter als der erste Lavabach. Wäre der Ausbruch an dieser Stelle heftiger gewesen, hätte die Lava dem Barranco folgend den Ort Fasnia erreicht und wahrscheinlich zerstört. Ab dem 16. Januar ging die Aktivität zurück und erlosch am 25., während die Erdbeben anhielten. Am 2. Februar, dem Festtag der Virgen de Candelaria, öffnete sich die Spalte im oberen Tal von Güímar, rund 10 km geradlinig vom ersten Ausbruch entfernt, und etwa 300 m tiefer gelegen. Dieser Ausbruch von Arafo war heftiger, seine Lava verschüttete viel Land und bedrohte Arafo und Güímar.
Menschen kamen bei den Eruptionen nicht zu Schaden, wohl aber gab es rund dreißig Todesopfer durch die damit verbundenen Erdbeben. Da es keine Erklärung für die Ursache der Ereignisse gab und alle drei Ausbrüche an hohen Kirchenfesten geschahen, hatten Verschwörungstheoretiker Hochkonjunktur. Der Bischof der Kanaren, der sich zufällig zur Visite in La Orotava aufhielt, sollte einen Exorzismus gegen die Mächte der Unterwelt zelebrieren. Aber er starb in der Nacht des 31. Januar – vor Angst, so wurde es überliefert.
Michael von Levetzow
Tenerife on Top