Besuch in der „Gottes-Schule“


Gedanken für mich ­– Augenblicke für Gott

Geht es Ihnen manchmal auch so? Da gibt es Sätze in der Bibel, die kann man hundert Mal lesen und überlesen, aber beim hundertundersten Mal, da springen sie einem plötzlich in‘s Auge. Mir ist das mit einem Satz Jesu aus dem Buch des Propheten Jesaja so ergangen. Dieser Satz steht im Johannes-Evangelium und heißt: „Und alle werden Schüler Gottes sein“.

Schülerinnen und Schüler Gottes sein, bei ihm in die Schule gehen – dieses Bildwort habe ich lange nicht wahrgenommen oder es schlicht und einfach überlesen. Aber einmal entdeckt, fasziniert es mich doch ganz gewaltig. Denn: ich will mir vorstellen, wie es in dieser Schule Gottes zugeht; was man da lernen und auch erleben kann. Wollen Sie mit mir mal hinter die Kulissen schauen? Wollen Sie mit mir mal gemeinsam einen Schritt in diese „Gottes-Schule“ wagen? Na dann, gehen wir’s an:

Die Schulstunden in dieser Gottes-Schule, das sind für mich die Gottesdienste. In ihnen lernen wir durch das Wort der Heiligen Schrift und durch das heilige Spiel der Liturgie, was Gott uns auf unseren Weg mitgeben will. In diesen Feiern erfahren wir sozusagen „ganzheitlich“, was glauben, hoffen und lieben heißt: wir hören, sehen, riechen und schmecken, was sich Gott unter einem gelungenen Mensch-sein vorstellt – was er uns schenken will und was er von uns erwartet.

Was in unseren Schulen oft als Nebenfach gilt, das wird in der „Gottes-Schule“ zum Hauptfach. Zum Beispiel Heimat- und Sachkunde. Da lernen wir, wo wir hingehören, wo wir wirklich zu Hause sind, wo unsere Heimat ist. In der Welt sein, aber nicht von der Welt sein, so umschreibt der Evangelist Johannes die Existenz eines Menschen, der in Gott seinen letzten Halt hat. Aber auch Biologie zählt zu den Hauptfächern. Denn da erfahren wir, was Leben heißt – wahres, echtes und erfülltes Leben. Wir hören in Geschich-ten und Gleichnissen, wie unser Leben gelingen oder eben auch misslingen kann. Wir bekommen Orientierung für unseren Lebensweg und werden ermutigt, im Lauf unseres Lebens all die Talente zu entfalten, die Gott jeder und jedem von uns mitgegeben hat.

In Sprachkunde stehen natürlich auch wichtige Lektionen auf dem Lehrplan. Solche sind zum Beispiel: Wie finde ich die richtige Sprache, die helfenden und tröstenden Worte; oder auch: wie finde ich zum Beispiel Schlüsselsätze, die schwierige Situationen entkrampfen und neue Perspektiven eröffnen. Handarbeit wird ja heute leider nicht mehr großgeschrieben. Dabei ist dieses Fach so wichtig, weil es darum geht, sensibel für die Augenblicke zu werden, in denen unsere Hände gebraucht werden, unsere zupackenden und stützenden oder auch unsere zur Versöhnung ausgestreckten Hände. Mindestens genauso wichtig wie die Schulstunden sind in der „Gottes-Schule“ dann auch die Hausaufgaben: Was wir gehört und gelernt haben, das will ja schließlich zu Hause, in der uns gewohnten Umgebung, im Alltag, nachbereitet, vertieft und erprobt werden. Hier zeigt sich dann auch, ob wir die gehörten und uns angeeigneten Lektionen wirklich verstanden haben.

Natürlich gibt es in dieser „Gottes-Schule“ auch Klassenkameradinnen und –kameraden, die uns mal einsagen, wenn wir nicht weiterwissen; die uns den Lehrstoff noch einmal erklären und uns bei den Hausaufgaben behilflich sind. Unsere Gemeinden, unsere Gruppen und Kreise, unsere Orden und Verbände könnten diese Klassengemeinschaften sein, die uns durch die „Gottes-Schule“ begleiten. Aber auch in dieser Schule, das muss uns bewusst sein, sind wir nicht vor der Gefahr des Sitzenbleibens gefeit. Unbeweglich und stur werden; sich von Gottes Wort nicht mehr anregen oder auch herausfordern lassen, das kann für die Gottes-Schülerinnen und -Schüler das Klassenziel in weite Ferne rücken lassen.

Allerdings gibt es einen ganz einzigartigen Nachhilfelehrer, der uns wieder auf Vordermann bringt; der uns hilft, die oft nicht ganz einfachen Lektionen Gottes zu begreifen; der uns auf die Tests und die Prüfungen unseres Lebens vorbereitet: Es ist Jesus. Er war nicht nur selber ein hervorragender Schüler Gottes, sondern er kann uns die Lehre Gottes in ganz einzigartiger Weise mit seinen Worten und vor allem durch sein Leben so nahebringen, dass es uns in Fleisch und Blut übergeht. 

„Und alle werden Schüler Gottes sein“ – so hofft Jesus im Johannes-Evangelium (6,45), wie einige Jahrhunderte vor ihm schon der Prophet Jesaja. Ich wünsche uns und unserer Kirche, dass wir so begeistert von unserer „Gottes-Schule“ erzählen können, dass andere gerne unsere Mitschüler werden – nicht aufgrund irgendeiner Schulpflicht, einer Verordnung oder eines Gebotes, sondern aus purem Interesse. Dass unsere Schulstunden und die Hausaufgaben so spannend und anregend werden, dass niemand zu den „Lümmeln von der letzten Bank“ gehören möchte und dass immer weniger auf die Idee kommen, diese Schule schwänzen zu wollen.

Ihr

Bertram Bolz, Diakon

Kath. Touristen- und

Residentenseelsorger

Diesen und frühere Artikel können Sie nachlesen unter: www.katholische-gemeinde-teneriffa.de oder unter www.wochenblatt.es

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