Darf’s a bisserl mehr sein ?


Gedanken für mich ­– Augenblicke für Gott

Das fragte einen früher oft der Metzger oder die Obstverkäuferin. Zwischenzeitich ist es aber schon zum geflügelten Wort oder auch zum ironischen Inbegriff unserer Konsum- und Wirtschaftswelt geworden.

Es soll ja immer ein bisschen mehr, ein bisschen besser, ein bisschen schneller, ein bisschen weiter sein als zuvor. Und eigentlich nicht nur ein Bisschen, sondern einen richtigen Bissen. Und die ganze Zweischneidigkeit dieses Slogans ist  uns inzwischen be-wusst, weil wir es am eigenen Leibe spüren. Einerseits funktioniert unsere Wirtschaft nur bei Wachstum. Wachstum muss sein. Schließlich wollen wir alle auch immer ein wenig mehr an Einkommen und an Freizeit und an Komfort. Alles ist auf dieses Mehr hin ausgerichtet. Andererseits sind damit aber auch all die Dinge verbunden, die wir eher negativ empfinden: die Überforderung, die Beschleunigung, die Vervielfältigung von Terminen und Ansprüchen, die Verdichtung von Arbeit, die zunehmende Komplexität, weil alles mit allem irgendwie zusammenhängt und es komplizierter und unübersichtlicher macht. Sie, liebe Leserinnen und Leser, wissen das so gut wie ich.

Weniger ist mehr. Dieses Wort kennt jede/r auch schon als Antwort auf das ständige quantitative „mehr“ und spürt auch, wie wohltuend das ist. Einen Gang runter schalten. Sich Zeit für etwas lassen. Mal einfach nur so dasitzen und nichts tun. Den Rhythmus verändern und die  Schlagzahl verringern. Nicht durch die Stadt rennen, sondern schlendern.  Bei dem sein, was ich jetzt gerade tue. Genießen. Ganz da sein im Augenblick. Also mehr, tiefer, besser oder einfach auch konzentrierter leben. Das aber ist ein anderes Verständnis und Erleben von dem Mehr, von dem wir es eingangs hatten. Es ist ein qualitatives Mehr. Etwas, nach dem ich, nach dem viele Menschen sich gerade jetzt sehnen. Wann kommt er endlich, der Urlaub und damit die Zeit der Entschleunigung?!

Mehr heißt auf Lateinisch „magis“ und ist ein Grundwort in der Spiritualität des heiligen Ignatius von Loyola, des Gründers des Jesuitenordens. Sein Wahlspruch lautet: „Alles zur größeren Ehre Gottes“. Also  mehr beten, besser beten, tiefer beten, öfter beten, länger beten und fasten und büßen? Na klar. Jedenfalls  wollte das Ignatius zu Beginn so, nach seiner Bekehrung. Es hat ihn fast umgebracht. Und darum gilt eben auch: Nein, um Gottes Willen nicht immer nur einfach mengenmäßig mehr und mehr! Ignatius hat später um ein Haar fast alle Jesuiten der spanischen Ordensprovinz entlassen, weil sie unbedingt drei Stunden täglich be-ten wollten. Aber gerade diese Quantität wollte er nicht, sondern vielmehr die Qualität. Sein Ideal war es inzwischen, solche Leute in seinem Orden zu haben, die sich auch in schwierigsten Situationen und Erfahrungen in nur 20 Minuten wieder innerlich mit Gott verbinden (können).

Also mehr nicht einfach im Sinne von mengenmäßig mehr. Sondern eher so: Jede Freundschaft und jede Liebe kann nur bleiben, wenn sie wächst. Wenn sie nicht wächst, wenn sie sich nicht vertieft, wenn  sie nicht umfassender wird, dann geht sie zurück. Dann lässt sie nach. So wie jeder Baum nur so lange lebt, wie er wächst. Selbst wenn er nicht  mehr höher werden kann. Er entfaltet sich immer weiter. Die Wur­zeln verzweigen sich. Die Zahl der Blätter nimmt zu, der Umfang wächst. Da stelle ich übrigens eine Parallele zu mir fest….  Sie wissen schon; aber gerade dieser Umfang ist nicht gemeint.

Und wie in der Freundschaft und wie in der Ehe gibt es genauso in der Beziehung zu Gott immer und bei jeder/m entweder eine Weiterentwicklung und damit ein Mehr oder eben ein Weniger. Einen bloßen Stillstand gibt es nicht. Es ist entweder ein Vertiefen oder ein Verflachen. Freilich gehören auch heftige Krisen dazu, die unumgänglich sind. Krisen sind Zeiten, in denen es eben gerade erst mal nicht weiter geht, weil der nächste Schritt miteinander und zueinander oder nach rechts, links oder geradeaus nicht klar ist. Alles tritt auf der  Stelle. Und gerade diese Zeit der Unentschiedenheit, diese Zeit an der Wegkreuzung ist oft schwer zu ertragen und auszuhalten. Denn Entscheidungen wollen erwogen, durchdacht, ja, erlitten werden und schließlich will auch das Abschiednehmen von Möglichkeiten betrauert werden. Und so lange das alles nicht passiert ist, so lange geht es eben nicht weiter. Kein Mehr in dieser Zeit. Aber wenn dann der Knoten geplatzt, durchgeschlagen oder friedlich gelöst ist, dann macht’s oft einen Sprung und es geht eben besser, befreiter, entschiedener weiter. Mehr…

Bis dann schließlich im Alter vielleicht keine großen Entscheidungen mehr gefällt werden müssen, weil alle gefallen sind. Und dann kann dauernder Friede einkehren und Dankbarkeit und Heiterkeit. Leichtigkeit im Guten und Leichtigkeit im Finden Gottes. Und dann ist es in meiner Beziehung zu Gott wie mit einem alten Ehepaar, das sich immer noch  liebt. Ohne viele Worte. Ganz vertraut. Ganz nah. Ganz dankbar. Ganz  miteinander verwachsen. Und wenn es sich immer noch liebt, dann liebt es sich mehr, viel mehr als am leidenschaftlichen Anfang. Weil die Liebe nur bleibt, wenn sie wächst.

In diesem Sinne darf’s immer und immer ein bisschen mehr sein. Meinen Sie nicht auch?

Ihr

Bertram Bolz, Diakon

Kath. Touristen- und

Residentenseelsorger

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