Das wahre Gesicht der Ureinwohner


3D-Technik gab dem Gesicht einer Eingeborenen, die vor 1.500 Jahren lebte, Ausdruck

Gran Canaria – Forscher haben der Ureinwohnerin der Insel Gran Canaria im 6. und 7. Jahrhundert ein Gesicht gegeben. Im Rahmen des Projekts „Humiaga 977“ und mittels moderner 3D-Technik erfolgte die Rekonstruktion des Gesichts anhand eines Schädels aus dem Museum El Museo Canario.

Das Team aus Experten für forensische Gesichtsrekonstruktion, biologische Anthropologie, Genetik und Archäologie, das für das Projekt verantwortlich ist, bezeichnete diese erste Gesichtsrekonstruktion eines Ureinwohner-Skeletts auf den Kanaren als Meilenstein.


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Der Leiter der Abteilung für Kulturerbe der kanarischen Regierung, Miguel Ángel Clavijo (l.) stellte das
Ergebnis der zweijährigen Arbeit der Experten zusammen mit dem Direktor des Museo Canario, Diego López (r.) vor. Fotos: EFE

Der Frauenschädel, der dafür verwendet wurde, ist vom Mitgründer des Museums, Víctor Grau Bassas, am höchsten Punkt der archäologischen Fundstätte La Fortaleza entdeckt worden, den er als „Almogarén“, eine Kult- und Grabstätte, interpretierte. Er ist seit Anfang des 19. Jahrhunderts mit der Nummer 977 als Teil der Sammlung des Museo Canario ausgestellt und wird auf die Zeit des 6. bis 7. Jahrhunderts n. Chr. datiert.

Miguel Ángel Clavijo, Leiter der Abteilung Kulturerbe bei der kanarischen Regierung, die das Projekt finanziert hat, erklärte, dass die Experten zwei Jahre an diesem Projekt gearbeitet haben, und die dafür ausgegebenen 40.000 Euro „gut investiert“ seien. Das Ergebnis der Arbeit gibt der Ureinwohnerin nicht nur ein Gesicht, sondern verrät auch, dass die Frau circa 25 bis 30 Jahre alt und etwa 1,58 Meter groß war. Die Todesursache war ein starker Schlag auf den Schädel. Sie soll zu den ersten Einwohnern der Insel Gran Canaria gehört haben. Die gewählten Merkmale des Gesichtsbilds wie Haut, Haarfarbe und Augen basieren auf DNA-Material, das allerdings aufgrund des Konservierungszustands anderen Mumienfunden entnommen wurde.

Doch die Forscher gaben der Eingeborenen von Gran Canaria nicht nur ein Gesicht, sondern ermittelten anhand ihres Schädels auch weitere Informationen über diese Frau, die vor 1.500 Jahren auf Gran Canaria lebte. Teresa Delgado, Konservatorin der wissenschaftlichen Gesellschaft von Gran Canaria, erläuterte zum Beispiel, dass die Zähne in sehr schlechtem Zustand waren und reichlich Karies und Fisteln aufwiesen, was wiederum Aufschluss über die Ernährungsgewohnheiten gibt. Die Ureinwohner ernährten sich zu großen Teilen von gemahlenem Getreide (Gofio) und Feigen. Das Getreide wurde in Steinmühlen gemahlen, deren Sandpartikel sich unter das Getreide mischten und für die Fisteln sorgte. Es wurde, so Delgado, bereits festgestellt, dass die Frauen meist in schlechterer gesundheitlicher Verfassung waren als die Männer, was darauf hindeute, dass sie bei der Ernährung keinen oder weniger Zugang zu bestimmten Nahrungsmitteln hatten.

Die archäologische Fundstätte La Fortaleza in Santa Lucía de Tirajana besteht aus drei Felsen: La Fortaleza Grande (Große Festung), La Fortaleza Chica (Kleine Festung) und Titana. Der höchste davon ist La Fortaleza Grande, der aufgrund der dort vorhandenen Felsgravuren und Knochenfunden für eine bedeutende Grab- und Kultstätte der Ureinwohner gehalten wird. An einem der höchsten Punkte wurden von Víctor Grau Bassas im 19. Jahrhundert zwei Schädel gefunden, deren genaue Untersuchung erst viele Jahre später zeigen sollte, dass es sich um den Schädel eines Mannes und einer Frau handelt.

Die Fundstelle am höchsten Punkt des Felsens deutet für die Wissenschaftler darauf hin, dass es sich um wichtige Personen in der Gesellschaft der Ureinwohner gehandelt haben muss, denn die anderen Knochenfunde wurden in geringerer Höhe gemacht.

Marco Moreno von dem Unternehmen Tibicena, das die Ausgrabungsarbeiten durchführte, erklärte dazu, dass gerade deshalb die Gesichtsrekonstruktion der Frau beson­dere Bedeutung habe, denn in einer seit Jahrhunderten von „kulturellem Machismus“ geprägten Gesellschaft werde damit ein Zeichen gesetzt und bewiesen, dass unter den Vorfahren der Canarios bereits im 5. Jahrhundert auch sehr wohl eine Frau eine wichtige Rolle gespielt hat.

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