„Den ersten Stein werde ich auf dich werfen”


Die Zwangsheirat einer 14-jährigen Mauretanierin wird in Spanien vor Gericht verhandelt

Drei Jahre ist es her und trotzdem kommen Selamha Mint Mohamed noch heute die Tränen, wenn sie sich daran erinnert. Ihre Eltern, die in den 1980er Jahren nach Spanien kamen, zwangen die damals 14-Jährige, bei einer Urlaubsreise in ihr Heimatland Mauretanien ihren Großcousin, einen ihr völlig fremden 40-jährigen Mann zu heiraten und die Ehe mit ihm auch „zu vollziehen”.

Madrid/Cádiz – Selamhas Zwangsverheiratung ist weiß Gott kein Einzelfall, ungewöhnlich ist jedoch, dass ihr Leidensweg jetzt öffentlich wurde und vor einem spanischen Gericht verhandelt wird. Per Videokonferenz erzählte die heute 16-Jährige während der ersten Sitzung, die am 6. März in Cádiz stattfand, wie ihr Vater sie bedrohte, um sie gefügig zu machen. „Er sagte mir, dass er mich steinigen lassen und dass er selbst den ersten Stein werfen würde.” Die Mutter hatte in der Hochzeitsnacht persönlich dafür gesorgt, dass die 14-Jährige ihren „Ehepflichten” nachkam.

Im Gerichtssaal befanden sich hauptsächlich mauretanische und sahrauische Freunde und Angehörige der drei Haupt­angeklagten: Selamhas Eltern und der Mann, mit dem sie nach göttlich-islamischem Recht (Scharia) verheiratet ist. Am Tag zuvor hatten ihre Eltern angegeben, Selhama habe ihren Großcousin Mokhtar Salem freiwillig geheiratet und er selbst setzte hinzu, sie habe den sexuellen Kontakten immer zugestimmt.

Die Staatsanwaltschaft fordert wegen sexueller Nötigung und Körperverletzung zehn Jahre Gefängnis für den „Ehemann”, der in Untersuchungshaft sitzt. Den Eltern, die einstweilig noch auf freiem Fuß sind, wird außerdem Nötigung, häusliche Gewalt und erniedrigende Behandlung vorgeworfen. Der Mutter drohen 17 Jahre Gefängnis und dem Vater 16 Jahre.

Selhamas Glück war, dass sie nach mehreren Monaten Eheleben mit ihrer Mutter nach Spanien zurückkehren und wieder in die Schule gehen durfte. Wie schon zuvor verbrachten sie und ihr jüngerer Bruder wieder viel Zeit bei einer befreundeten spanischen Familie, die sie wie eigene Kinder behandelte.

Der Albtraum schien ein Ende zu haben, doch der Schein trog. Fast ein Jahr nach der Eheschließung besuchte Mokh­-tar seine „junge Ehefrau”. Wieder zwangen die Eltern sie zu einer „ehelichen Beziehung”. „Ich wehrte mich, aber meine Eltern drohten mir, mich umzubringen, mich zu verbrennen oder mir die Kehle durchzuschneiden”, erzählte Selhama nun vor Gericht.

Nach der ersten Nacht flüchtete die damals 15-Jährige zu ihrer Wahlfamilie, die sie erst ins Krankenhaus und dann zur Polizei brachte. Seitdem befindet sich das Mädchen in psychologischer Behandlung und lebt an einem Ort, der von den Behörden geheim gehalten wird. Der „Ehemann” und die Eltern wurden noch am selben Tag verhaftet. Alle drei plädieren nun auf „nicht schuldig”.

Ein mauretanischer Journalist, der als Sprecher der Eltern fungiert, erklärte am ersten Tag der Gerichtsverhandlung, es bestehe der dringende Verdacht, dass das Mädchen von der befreundeten Familie zu ihrer beschuldigenden Aussage genötigt wurde, um sie gänzlich als Pflegetochter bei sich aufnehmen zu können.

Alles gründe auf einem „kulturellen Missverständnis”, setzte er noch hinzu. Nicht einmal sei den drei Angeklagten durch den Kopf gegangen, dass die in ihrem Heimatland üblichen Gepflogenheiten in Spanien eine Straftat darstellen könnten.

In Mauretanien selbst sorgte der Fall für großes Aufsehen und Empörung. Wenn die dortige Justiz einen Spanier auch nicht ins Gefängnis stecken könne, weil er dort Alkohol trinke, dann dürften die Spanier auch die in Mauretanien legal eingegangene Ehe nicht gerichtlich verfolgen, wird unter anderem in den dortigen Medien moniert. Man müsse Verständnis für die kulturellen und religiösen Unterschiede aufbringen, so die weit verbreitete Forderung.

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