Der entscheidende Unterschied


Gedanken für mich ­– Augenblicke für Gott

In diesen Tagen, da Sie diese Ausgabe des Wochenblattes in Händen halten, feiert die Katholische Kirche mit dem Christkönigsfest das Ende des Kirchenjahres. Manche unserer Gottesdienstbesucher erzählen noch heute von der Zeit, als an diesem Festtag die Jugendlichen mit Bannern und Fahnen zum Gottesdienst zogen und die Jugendkapläne mit markigen Predigten Jesus Christus als den König der Welt vorstellten. Und heute?

Heute sind die Kirchen vielerorts leer geworden; Jugendkapläne gibt es kaum mehr, markige Predigten sind out, und Christus scheint seinen Königstitel selbst aufgegeben zu haben. Wir sind nicht nur nüchterner geworden; nein wir versuchen uns heute einfach wieder mehr auf den Ursprung, die Evangelien zu besinnen. Ich halte das für außerordentlich wichtig, auch und gerade in der Auseinandersetzung mit anderen Religionen, vor allem dem Islam.

Für mich ist eines ganz sicher: Wir werden und wir können Gott nicht in absoluten Glaubenssätzen begegnen. Im Gegenteil: Wer sich auf Jesus Christus einlässt, der muss mit vielen üblichen religiösen Vorstellungen brechen, selbst wenn die sich über Jahrhunderte in manchem Herzen festgefressen haben. Kurz gesagt lautet seine Botschaft für uns heute: Ihr könnt nicht über Gott verfügen und eure teilweise schrecklichen oder leichtsinnigen Taten mit dem Willen Gottes begründen. Es muss in eurem christlichen Bemühen um Achtsamkeit, um lautere und ehrliche Absichten gehen – also die Reinheit des Herzens, statt irgendeinen Kult, einen Ritus oder gar ein Lebensopfer heilig zu sprechen. Und ebenso wenig sind Vergeltung und Rache in eure Hand gegeben. Sucht nach der größeren Gerechtigkeit, die Feindschaft überwinden und Frieden begründen kann.

Zugegeben, das klingt jetzt alles sehr theologisch und damit auch ein Stück weit mehr als theoretisch. Und da Jesus nie so geredet hätte, will ich anhand von zwei Beispielen verdeutlichen, was die oben genannte Botschaft tatsächlich meint. Sie erinnern sich an Mohammed Atta, einen der führenden Köpfe des Anschlags auf das WTC im September 2001? In seinem Testament hat er folgende Anweisung hinterlassen: „Weder schwangere Frauen noch unreine Personen sollen von mir Abschied nehmen. Wer mich für die Beerdigung wäscht, soll Handschuhe tragen, damit ich nicht an den Geschlechtsteilen berührt werde. Frauen sollen weder bei der Beerdigung dabei sein noch sich irgendwann an meinem Grab einfinden.“ 

Diese letzten Anweisungen eines zu allem Entschlossenen zeigen, dass so jemand eine immense Angst und auch eine furchtbare Vorstellung einer kultischen Unreinheit in sich trägt, die so weit reicht, dass es für ihn eine Horrorvorstellung wäre, nicht mal im Grab Ruhe zu finden. Es sind Vorstellungen, die weit vor die Zeit des Korans wie auch der Bibel zurückreichen, die aber bis in unsere Zeit teilweise geheiligt werden. Übrigens: Solche leib- und sexualfeindlichen Ideen musste auch das Christentum in langen inneren Kämpfen erst überwinden lernen, und manchmal habe ich den Eindruck, dass viele bis auf den heutigen Tag noch nicht völlig davon befreit sind. Dabei wird den Menschen eingeredet, dass die äußere, die kultische Reinheit genüge und diese jede Unmenschlichkeit und Grausamkeit gut und heilig machen kann. 

Ganz anderes übermitteln uns dagegen die protokollierten Telefongespräche, die in den letzten Minuten aus den vier Flugzeugen dieses 11. September 2001 geführt wurden. Fast alle Menschen, die von jetzt auf gleich Abschied vom Leben nehmen mussten, fanden in ihrer Verzweiflung und Todesangst als letzte Botschaft an die Menschen zu Hause: „Ich liebe dich!“ Genau darin aber liegt für mich der tief greifende Unterschied zwischen einem geschlossenen, unmenschlichen System, das sich religiös getarnt hat und dem sich die Attentäter und Terroristen blind unterworfen haben, und einer offenen Bewältigung der letzten Lebensminuten als ganz persönliche Herausforderung. Die „Gotteskrieger“ kämpfen fanatisch und rücksichtlos bis auf den heutigen Tag für die Erfüllung eines toten Gesetzes. Damit bleiben sie auf Rache, auf Vergeltung fixiert und das alles im Namen Gottes. Die letzten Botschaften der Todeskandidaten in den zum Absturz bestimmten Flugzeugen dagegen sind Ausdruck ihrer persönlichen Beziehungen; es sind deshalb Botschaften des Lebens und der Liebe. Diese Botschaften geben für mich selbst angesichts des unausweichlichen Todes dem Leben eine Zukunft.

Damit komme ich auf Jesus zurück, der sein Leben für uns hingegeben hat, aber eben genau nicht wollte, dass andere in sein Schicksal einbezogen würden. Eines seiner wesentlichen Worte, welches er mit seinem Leben bestätigt hat, lautet: „Unter euch soll es nicht so sein wie bei den Machthabern dieser Welt!“ Das ist die Alternative. Von Jesus, dem wahren Alternativen, habe ich nicht nur zu fragen gelernt: Geht es auch anders als üblich, als gewohnt? Im Blick auf seine Worte und Taten sind meine weiteren Gewissensfragen: Geht es noch menschlicher? Geht es noch gerechter? Geht es noch barmherziger und einfacher?

Um die angebliche Gottesherrschaft zu sichern, müssen islamistische Gotteskrieger den Kampf gegen die „Ungläubigen“ bis zu deren Vernichtung führen. Jesus dagegen sagt uns: Das Reich Gottes ist dort bereits angebrochen, wo einer den Kampf gegen sich selbst aufgenommen hat. Gottes Herrschaft ist schon dort sichtbar, wo einer im Nächsten, auch im Ungläubigen, das Gesicht Gottes erkennen kann. Christus – nicht König und Herrscher, sondern König der Liebe und Diener der Menschen.

Herzlichst Ihr

Bertram Bolz, Diakon

Kath. Touristen- und

Residentenseelsorger

Über Wochenblatt

Das Wochenblatt erscheint 14-tägig mit aktuellen Meldungen von den Kanaren und dem spanischen Festland. Das Wochenblatt gilt seit nunmehr 36 Jahren als unbestrittener Marktführer der deutschsprachigen Printmedien auf den Kanarischen Inseln.