Der Sündenfall – ein Mythos?


Gedanken für mich – Augenblicke für Gott

Die Bibel beinhaltet viele Erzählungen, die uns schon von Kindheit an vertraut sind. Eine der geläufigsten, das ist wohl die vom sogenannten „Sündenfall“. Bekannt, weit verbreitet, aber häufig genug auch missverstanden.

Sie wird als moralisch abgetan, als lustfeindlich, als lebensverneinend und auch frauenverachtend, teils als naiv und deshalb dem heute doch sehr stark wissenschaftlich geprägtem Bewusstsein einfach unannehmbar. Reaktionen, die mir immer und immer wieder im Zusammenhang mit dieser Erzählung widerfahren. Die Geschichte selbst aber, der tiefere Sinn, der dahinter steckt und die Wahrheit, die sie vermitteln möchte, bleiben meistens bei all dem auf der Strecke. 

Diese biblische Geschichte erzählt ja nun vom Menschen und seinem Leben im Garten Eden. Erzählt wird aber nicht die Wirklichkeit einer bestimmten historischen Persönlichkeit, sondern erzählt wird von einem Menschen an sich, von einem Mann und einer Frau. Eines Tages taucht da eine entsprechende Schlange auf und überredet die Frau, von den Früchten eines überaus geheimnisvollen Baumes zu essen, was ihr dann die Erkenntnis über Gut und Böse eröffnen würde. Neugierig wie wir Menschen eben nun mal sind, kostet die Frau von dieser Frucht und gibt ihrem Mann gleich auch noch was davon ab. Und was passiert? Den beiden gehen die Augen auf, aber die neu gewonnene Freiheit, die Erkenntnis, die sie anscheinend bekommen, ist mit Scham verknüpft. Und auf einmal wird das Leben so immens kompliziert. Mit der einstmals so paradiesisch-kindlichen Naivität und Geborgenheit ist es schlagartig vorbei.

Also doch letztlich nur eine Erzählung von Sünde und Schuld, von einem mehr als schlechten Gewissen? Zumindest ist das nicht ganz von der Hand zu weisen. Denn die Geschichte beschreibt immerhin die Verführbarkeit des Menschen und die Folgen, die aus einer verhängnisvollen Entscheidung erwachsen. Was sich dann allerdings aus dieser Erzählung über all die Jahrhunderte hinweg entwickelt hat, ließ die angedeutete Erkenntnis immer mehr in den Hintergrund treten. Primär ging es fortan beim „Sündenfall“ darum, den Menschen als schlecht, böse und ungehorsam – eben als sündig und unmoralisch oder zumindest moralisch verdorben – zu charakterisieren. Ja, sie war nichts anderes als ein Instrument, um den Menschen klein zu machen und immer wieder neu zu demütigen.

Nur – das ist eine zu grobe Sicht für diese überaus feinfühlige Geschichte, die z.B. von einer feministischen Theologin auch als eine „Liebesgeschichte mit tragischem Ausgang“ bezeichnet wird. In der Tat geht es ja um den Menschen; es geht darum, ihn in seiner Lebendigkeit, mit seiner Leidenschaft und seiner Kraft zu lieben, aber auch in all seiner Ohnmacht annehmen und ihm vorbehaltlos vertrauen zu können. Es geht um die Freiheit des Menschen, die eben immer auch die Freiheit mit einschließt, sich gegen sich selbst und gegen seine sinngemäße Bestimmung zu entscheiden. Wenn man so will: Eine Geschichte voller Tragik und Wahrheit, wie sie eigentlich nur ein Mythos wirklich erfassen kann.

Dieser Mythos benennt aber in kompromissloser Klarheit die Konsequenzen, die der Mensch zu tragen hat, nachdem er die Früchte vom sogenannten „Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“ genossen hat. Er macht Gebrauch von seiner Freiheit und ist nun für sein Tun und Lassen vollauf selbst verantwortlich, und muss die Konsequenzen dafür nicht nur in Betracht ziehen, sondern sie tragen. Der bekannte Theologe Paul Tillich sagte einmal: „Wir können diese Geschichte nur dann wirklich verstehen, wenn wir sie nicht als Schilderung einer historischen Begebenheit aus einer fernen Zeit verstehen, sondern wenn sie uns als eine Darstellung des menschlichen Wesens selbst aufgeht – in einer erzählerischen Form.“ Der Mensch fällt im Ergreifen seiner Freiheit eben heraus aus der „träumenden Unschuld“, und muss doch zugleich diesen Schritt gehen, um von seiner Freiheit wirklich auch Gebrauch zu machen. 

Die Geschichte vom Sündenfall führt uns also die Größe und die Tragik menschlicher Freiheit vor Augen: Ohne sie wäre der Mensch nicht wirklich Mensch, sondern nur eine willenlose, ja fremd gesteuerte Puppe. Mit ihr aber wird er zum Partner Gottes in dessen Schöpfung – allerdings stets Gefahr laufend, sich zu irren, Fehlentscheidungen zu treffen oder sich dem Guten und Sinnvollen zu verweigern. Doch genau so hat Gott offenbar uns Menschen gewollt – als sein Gegenüber, mit einem freien Willen ausgestattet und mit der Fähigkeit, Beziehungen einzugehen und sie zu gestalten. Weil dies so ist, kann die Geschichte des Menschen auch gar nichts anderes sein als die Geschichte einer Partnerschaft zwischen Gott und Mensch – oftmals recht schwierig, stets aber getragen von Gottes Liebe und Geduld. Gott überlässt nämlich den Menschen nach dessen erstem Fehltritt nicht seinem traurigen Schicksal inmitten eines verlorengegangenen Paradieses; nein, er beginnt mit ihm einen verschlungenen und abenteuerlichen Liebesweg jenseits von Eden.

Bertram Bolz, Diakon

Kath. Touristen- und

Residentenseelsorger

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