Die Botschaft Jesu im Heute weiterschreiben


Gedanken für mich ­– Augenblicke für Gott

Geht es Ihnen manchmal auch so, dass Sie das Gefühl haben, es ist so immens schwer, dem Evangelium, der Frohen Botschaft Jesu in meinem – in unserem – Leben genügend Raum und Form zu geben?

Nur allzu oft, so ist häufig mein Eindruck, bleibt es für uns eben eine uralte Geschichte, die in einem uralten Buch aus längst vergangener Zeit steht. Und dabei vergessen wir dann die Zeitlosigkeit, die diese Botschaft Gottes kennzeichnet. Immer und immer wieder neu muss sie übersetzt und weitergeschrieben werden – auch heute! Und zwar nicht durch theologische Fachleute, sondern durch jeden Menschen, der sich von Gottes Wort angesprochen und ermutigt fühlt. Wie sonst soll deutlich werden, dass Gottes Wort uns auch heute etwas zu sagen hat? Wie sonst könnte sich Gott sonst Gehör verschaffen? Ich will einen erzählenden Versuch wagen, wie man die Aussendung der Jünger Jesu ins Heute weiterschreiben könnte:

„So gingen sie fort. Mit nichts außer dem, was sie am Leib trugen. Kein Geld im Gürtel, kein zweites Hemd in der Tasche und nur Sandalen an den Füßen. Es war ein hastiger Aufbruch. Von Weitem hörten sie die Raketen und Feuerschüsse. In der Ferne war eine Explosion zu sehen – ein schon fast alltägliches Bild. Sie kamen nur langsam voran. Bis Mitternacht hatten sie die Stadtmauern von Ariah hinter sich gelassen und erreichten eine ruhigere Gegend. Zum ersten Mal nach Stunden machten sie halt. Aus einer nahegelegenen Quelle tranken sie einen Schluck kühles Wasser. Er tat gut in der Kehle, die trocken war vom hastigen Gehen. Ein wärmendes Feuer machten sie nicht, aus Furcht, man könnte sie entdecken. So setzten sie sich eng zusammen und begannen zu beten, bis sie eingeschlafen waren.

Am nächsten Morgen gingen sie weiter. Sie wussten, nach Nordwesten mussten sie gehen. Zu Mittag trafen sie einen Schafhirten, der sich am Fuß verletzt hatte. Er konnte mit seiner kleinen Herde nicht weiterziehen, zu schmerzhaft war die Wunde. Wie gut, dass einer der beiden ein Arzt war und wusste, wie er dem Hirten helfen konnte. Als Dank schenkte der Hirte ihnen ein Stück Brot, das sie hastig verschlangen. Sie erzählten ihm von ihrer Heimatstadt und wie sie seit Tagen und Wochen unter Beschuss geraten war. Und von ihrer Hoffnung, dem Terror bald zu entkommen. Der Hirte schüttelte den Kopf. Was war nur geschehen, mit diesem einst so schönen und reichen Land?

Tage später kamen sie in die Hafenstadt Latakia. Es herrschte reges Treiben im Hafen. Sie fragten einige Schiffsmänner, ob sie Platz für die Überfahrt hätten, doch keiner, der das Kreuz um ihren Hals sah, wollte sie mitnehmen. Andere wiederum verlangten Unsummen von Geld, das die beiden nicht hatten. Doch das Glück war auf ihrer Seite. Als ein Container mit Datteln verladen werden sollte, nutzten sie die Gelegenheit und verschwanden in dessen Inneres. Nicht nur, dass sie zum ersten Mal seit Tagen genug zu essen hatten, sie waren auf dem Weg in den Westen. Während der langen Stunden des Wartens gingen ihnen tausend Gedanken durch den Kopf. Sie dachten an ihre Familien und ihre Arbeit. An die beginnenden Kämpfe und die zerstörten Häuser. An die vielen Verletzten und Toten. Die Verschleppungen und Vergewaltigungen und an Gott, aus dem sie Kraft und Mut schöpften.

Im Container war es heiß. Fußtritte und Stimmen waren zu hören. Das Schiff schaukelte gemächlich auf dem Meer dahin, bis sie endlich im Hafen von Triest anlegten. Auch hier herrschte reger Betrieb. Schiffe wurden be- und entladen. Große Lkws fuhren umher, um die Güter weiter in das Landesinnere zu transportieren. Ihr Container wurde auf einen Lkw verladen, der auf dem Weg nach Norden war. Vor Udine nutzten sie die Fahrtpause, um unbeachtet den Container zu verlassen. Wenig später kamen sie in ein kleines Dorf. Sie waren müde und erschöpft und suchten Herberge für eine Nacht. Ein Dach über dem Kopf, etwas warmes Wasser, um sich zu waschen und eine Schlafmöglichkeit – das hätte ihnen schon gereicht. Doch niemand war gewillt, sie aufzunehmen. Also schüttelten sie den Staub von ihren Sandalen und gingen weiter. 

Wie lange sich die beiden so durchschlugen, ist nicht bekannt. Nur eines wissen wir. Wochen später, abgemagert und völlig erschöpft, erreichten sie ihr Ziel – Deutschland. Auf dem Weg waren sie vielen Menschen begegnet. Manche waren gewillt, ihnen zu helfen. Andere wiederum waren kühl und abweisend. Zu viele Vorurteile trennten sie von helfenden Händen und offenen Türen. Die größte Angst der Menschen – die beiden könnten kriminelle, gewaltbereite Gotteskrieger sein.

Dabei wäre es so viel menschlicher gewesen, die Ängste und Vorurteile für einen Moment hintenanzustellen, und den beiden Zeit zum Erzählen zu geben. Ihre Geschichte anzuhören, um zu erkennen, dass es sich bei den beiden um einfache syrische Männer handelte, die ihre Heimat verließen, weil sie in Ariah um ihr Leben bangen mussten.“

Nein, es ist dies nicht die Geschichte zweier Apostel, die das Evangelium in die Welt trugen. Es ist die Geschichte zweier Flüchtlinge, die dennoch eine Geschichte zu erzählen hatten – ihre Lebensgeschichte. Was sie mit den Aposteln verbindet, ist ihre Reise mit ungewissem Ausgang, sowie die Art und Weise, wie sie auf Menschen zugingen. Einfach und besitzlos und doch mit einem ungeheuren Schatz, der ihnen die Hoffnung gab, auf offene Ohren und helfende Hände, auf Menschlichkeit und Barmherzigkeit zu stoßen. Das ist das moderne Evangelium, das uns auch heute noch – 2000 Jahre nach der Aussendung der Zwölf – erreichen möchte. Es liegt jedoch an uns, ob wir diesem Evangelium, mit dem auch wir auf die eine oder andere Weise konfrontiert werden, Gehör verleihen!

Herzlichst, Ihr

Bertram Bolz, Diakon

Kath. Touristen- und 

Residentenseelsorger

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