Die Schiffbrüchigen von La Restinga


© F. Echtermeier

Eine wahre Legende

Die kleinste Kanareninsel El Hierro bringt erstaunlicherweise oft die unglaublichsten Geschichten und Legenden hervor, hier ist eine davon.

Vor ein paar Wochen wurde vom Cabildo-Präsidenten Tomás Padrón persönlich in La Restinga der Dorfplatz umbenannt bzw. neu eingeweiht.

Vormals wurde diese Ecke, wo sich traditionell abends die Senioren zum täglichen Plausch einfinden, augenzwinkernd „Mentidero“ (Lügenplatz) genannt, nun heißt die Plaza offiziell „Rincon Nedroma“ und dies hat seine Bewandtnis in einer mittlerweile 23 Jahre zurück liegenden, sehr beeindruckenden und unvergessenen Geschichte.

1983 war das südlichste Dorf der Kanarischen Inseln ein verschlafenes Fischerörtchen mit kaum 150 Einwohnern, 2 kleinen Bars und einem Tante-Emma-Laden, der auch als Postamt mit dem einzigen öffentlichen Telefon fungierte.

Im Januar 83 machten sich 3 Restingeros, Inoel Machín, Manuel „Manolo“ Álvarez und Benito Morales auf nach Teneriffa, um ein neues, größeres Fischerboot zu kaufen, wurden auch rasch fündig und tätigten einen guten Kauf – wie sie zunächst meinten.

Dieses Schiff wäre das größte der seinerzeit noch sehr bescheidenen Fischereiflotte Restingas gewesen, dementsprechend ungeduldig und neugierig wurde das Eintreffen erwartet.

Am 21. Januar verließ die aus 2. Hand gekaufte „Moncho II“  sodann Teneriffa mit Kurs auf San Sebastian de La Gomera, wo man die Nacht verbringen wollte, um das Boot tags darauf in seinen künftigen Heimathafen nach El Hierro zu überführen.

Ein Telefonat am Morgen des 22. Januar unmittelbar vor Verlassen Gomeras war das letzte Lebenszeichen der Moncho II, denn sie kam nie in La Restinga an. Sofort eingeleitete Suchaktionen mit Schiffen und Flugzeugen blieben erfolglos, da die Sicht wegen starker Calima gleich Null war.

Wie wir heute wissen, befand sich die Moncho II bereits in den Inselgewässern vor El Hierro, als plötzlich das Getriebe streikte und man manövrierunfähig den Naturgewalten ausgeliefert war.

Manolo erzählt: „Wir konnten schon die Wälder riechen und Autoscheinwerfer sehen, so nahe waren wir an unserer Insel“.

Infolge der kolossalen Meerestiefen, auch in unmittelbarer Küstennähe war es den Männern unmöglich, das Boot mittels Anker vom Abdriften abzuhalten und so wachte man am nächsten Morgen auf und sah in allen Himmelsrichtungen nur endlosen Horizont, kein Land mehr in Sicht !

Erst am 29. Januar, also exakt eine Woche später, wurden die Schiffbrüchigen, die physisch sowie psychisch völlig am Ende waren, sich selbst schon längst aufgegeben hatten, wie durch ein Wunder ca. 180 Seemeilen (350 km) nordwestlich der Insel La Palma vom algerischen Frachter „Nedroma“ gerettet.

Die Nedroma war unterwegs nach Baltimore/USA und änderte nur wegen der Wetterlage (Calima) kurzfristig ihren Kurs. Ohne diesen außerordentlichen Zufall wären die 3 Fischer  verloren gewesen.

Diesem Schiff aus Algerien ist der Name der Plaza gewidmet – „Rincón Nedroma“.

Man muss sich vor Augen halten, dass die Männer von Gomera aus mit einer  „Tagesration“, bestehend aus etwas Wasser, Brot und Früchten in See gestochen waren, denn man hatte für den Transfer nach Hierro maximal 10 Stunden kalkuliert, insofern scheint es fast unglaublich, wie die 3 Jungs diese schlimmen 7 Tage auf See lebend überstehen konnten.

Wie mir die Beteiligten selbst und ihre Familien unzählige Male selbst erzählten, spielten sich auf See und zu Hause dramatische Szenen ab.

Während die 3 Desesperados in ihrer ausweglosen Lage sich Treue bis in den Tod schworen, ihre Messer über Bord warfen und das letzte Stück Brot brüderlich teilten, verweigerten ihre Ehefrauen das Essen und erlitten Nervenzusammenbrüche.

Das kleine Dorf, ja die ganze Insel war im Ausnahmezustand.

Kaum einer arbeitete, das Alltagsleben stand de facto still und man wartete nur gebannt im kleinen Dorf-Laden auf die erlösende Nachricht.

Unsere drei Helden mussten allerdings auf der Nedroma mit nach Baltimore fahren, denn das Frachtschiff hatte eine Ladung Mais zu befördern, was keine Zeitverzögerung erlaubte.

In Baltimore verhinderten jahreszeit-bedingte Schneestürme eine sofortige Rückkehr per Flugzeug und so kam es, daß die Lieben daheim auf Hierro noch einige Zeit warten mussten, bis sie die bereits Totgeglaubten endlich wieder in die Arme schließen konnten.

Manolo kommentiert das heute mit seinem typisch trockenen Inselhumor:

„Hombre, waren wir langsam! Es hat wohl kaum einer von Gomera bis Hierro einen Monat gebraucht!“

Es erübrigt sich zu erwähnen, dass man hier dieses „Wunder“ der Hilfe unserer Inselpatronin Virgen de Los Reyes zuschreibt und wer weiß, vielleicht ist es ja sogar wahr…

Frank Echtermeier

La Restinga/El Hierro

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