Die sechste Jahreszeit


Gedanken für mich – Augenblicke für Gott

Ein sonnenklarer Tag in den Cañadas; eine stille Meeresbucht an einer wunderschön gelegenen Stelle im Norden Teneriffas; Strand zum Laufen oder auch nur zum Liegen soweit das Auge reicht im Süden Teneriffas.

Eine Brandung, die die Surfer in El Medano ausnutzen, um sich mit waghalsigen Aktionen auf dem Wasser zu bewegen; ein Abendhimmel in romantischen Farben, der einen die Nachbarinseln erkennen lässt und Vorfreude auf den nächsten Tag weckt. Auf der Terrasse der Ferienwohnung ein geschmackvoll gedeckter Tisch oder in den Hotels ein Salat mit saftigen Früchten, dazu noch Käse, Brot und Wein.

Viele bringen sich mit genau solchen Bildern eine Erinnerung ins Haus, die sie zu einer bestimmten Zeit des Jahres hier auf Teneriffa gemacht haben: Die Urlaubszeit! Wir könnten sie auch die sechste Jahreszeit nennen, um im Sprachjargon zu bleiben, der neben Frühling, Sommer, Herbst und Winter, eben auch noch die Zeit der unbeugsamen Narren – also Fasching oder Karneval – kennt!

Wie gerne erinnern wir uns solcher Augenblicke; wie gerne würden wir sie im wahrsten Sinne des Wortes „fest-halten“ oder sie wenigstens so lange ausdehnen, bis man sie richtig und ausgiebig auskosten konnte. Und wie oft machen wir – Sie und ich – die immer wieder selbe Erfahrung, dass die Urlaubszeit wie im Flug vergeht. Diese kurzen Momente, die einem das Leben auf so vielfache Art und Weise versüßen, sie lassen sich nicht einfach einfangen. Keine Kamera kann sie tatsächlich bannen und wenn wir ehrlich sind: Die Erinnerung daran wirkt später oft nur noch wie ein blasser Schatten.

Je mehr ich darüber nachdenke, umso mehr scheint es wirklich so zu sein als wäre die Urlaubszeit ein „Gut“, das sich genauso verbraucht, wie vieles andere auch. Mit den Erinnerungen verschwinden Erlebnisse und Erfahrungen und selbst so wunderschöne Gefühle und Empfindungen wie „Entspannung“ und „Erholung“ können nicht wie selbstverständlich durch den Alltag hindurch aufgespart werden.

Trotz allem aber glaube ich nicht, dass Urlaub nur ein Verbrauchsgut ist. Ich glaube nicht, dass ich im Urlaub nur ein klein wenig – sozusagen ein „bisserl“ – vom „anderen Leben“ tanke, das ich dann in meinem normalen Arbeitsalltag so nach und nach wieder verbrenne, wie ein Motor seinen Kraftstoff. Und ich glaube auch nicht, dass all die wunderschönen und so einmaligen Urlaubserinnerungen nur ein Fall fürs papierene oder digitale Museum im Fotoalbum oder dem PC sind. Zunächst kommt es ja auch gar nicht so sehr auf das Erinnern an, sondern auf das, was ich da im Augenblick erlebe. Urlaub ist nämlich eine „geschenkte Lebenszeit“; also eine Zeit, die ich gerade in diesen Tagen als geschenkte Zeit erleben kann.

Eine solch geschenkte Zeit könnte man auch – wenn man jetzt einen biblischen Ausdruck dafür verwenden möchte – eine „Gnadenzeit“ nennen. Denn Gnade ist immer ein Geschenk. Gnädig an dieser Zeit ist es, dass sie nicht verplant werden muss. Gnädig an ihr ist, dass sie nicht in bare Münze umgesetzt werden muss. Es ist eben keine Zeit, die mir dazu dient, mit ihr Geld zu erwirtschaften, sondern Zeit, die gerade von solchem wirtschaftlichen Druck frei bleiben soll. Gnädig an ihr ist aber auch, dass sie nicht „verdient“ werden muss. Sie ist uns nicht gewährt, weil wir gearbeitet haben, sondern damit wir arbeiten können – später, im Anschluss an diese Pause der Rekreation. Genau genommen ist deshalb geschenkte Zeit immer ein Vorschuss.

Nun spricht die Bibel nicht von „Urlaub“, sondern wenn es hier um diese geschenkte Zeit geht, dann ist vom „Sabbat“ die Rede – unserem Sonntag – der immer eine Unterbrechung des Alltags, eine Ruhepause bedeutet. Der erste Tag des Menschen auf der Erde war ja ein solcher Sabbat. Am 6. Tag, so wird uns da nämlich berichtet, wurde der Mensch erschaffen und der

ers­te Tag, den dieser frisch geschaffene Mensch erleben durfte – also der 7. Schöpfungstag – war ein Sabbat; ein Tag, an dem nichts mehr geschaffen, sondern nur noch geruht wurde. Ist das aber nicht ein besonderes Zeichen? Des Menschen erster Tag – ein Ruhetag, ein Urlaubstag. Vorschuss für all das, was kommen soll. Wenn ich im Urlaub diese Erfahrung machen kann, dass mir Zeit einfach geschenkt ist, frei von Zweck und Nutzen, dann hat der Urlaub einen Sinn gehabt – im Augenblick des Urlaubs und im Angesicht des Arbeits­alltags. Denn im Urlaub kann ich eine neue Sichtweise für mein Leben, auch mein Alltagsleben entdecken. Ich entdecke ein klein wenig, was es bedeutet, von „geschenkter Lebenszeit“ zu sprechen.

Und wenn dann für’s Fotoalbum auch noch was übrig bleibt – umso schöner – finden Sie nicht?

Bertram Bolz, Diakon

Kath. Touristen- und

Residentenseelsorger

Diesen und frühere Artikel können Sie nachlesen unter: www.katholische-gemeinde-teneriffa.de oder www.wochenblatt.es

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