Ende des Alarmzustands: Ungewissheit und drohendes Chaos

Regierungssprecher Julio Pérez wies darauf hin, dass die übrigen Maßnahmen weiter gelten. Foto: EFE

Regierungssprecher Julio Pérez wies darauf hin, dass die übrigen Maßnahmen weiter gelten. Foto: EFE

Die Kanaren wollen die Einschränkungen zur Eindämmung des Virus beibehalten und stoßen dabei auf die Ablehnung seitens der obersten regionalen Justizinstanz – Nun soll das Oberste Gericht in Madrid entscheiden

Kanarische Inseln/Madrid – Nachdem die spanische Regierung den vor sechs Monaten zum zweiten Mal verhängten „Estado de Alarma“ am 9. Mai für beendet erklärt hat, haben verschiedene Regionen, darunter die Kanarischen Inseln, die Beibehaltung der Einschränkungen angekündigt. Zeitgleich mit dem Ende des Alarmzustands um 00.00 Uhr am 9. Mai sind auf den Inseln diese Regeln, die im regionalen Amtsblatt veröffentlicht wurden, in Kraft getreten. Nach dem Wunsch der kanarischen Regierung sollen sie bis zum 31. Juli 2021 gelten.

Ausgangssperre vorerst ausgesetzt

Zu den Einschränkungen, die auf den Kanaren beibehalten werden sollten, zählte auch die nächtliche Ausgangssperre, die bislang zwischen 23.00 und 06.00 Uhr auf Inseln in Warnstufe 2 und zwischen 00.00 und 06.00 Uhr auf Inseln in Warnstufe 1 galt.
Auch bezüglich der Ein- und Ausreise auf Inseln mit Warnstufe 3 oder 4 (aktuell gelten diese Warnstufen auf keiner Insel), sah die regionale Regulierung vor, dass diese weiterhin eingeschränkt bleiben bzw. triftige Gründe nachgewiesen werden müssen.
Das neue „Regelwerk“ für die Region wurde dem Obersten Kanarischen Gerichtshof (Tribunal Superior de Justicia de Canarias, TSJC) zur Prüfung vorgelegt, der es allerdings nur zum Teil ratifiziert hat.
Der TSJC genehmigt die Einschränkung der Personenzahl bei öffentlichen und privaten Treffen, ebenso wie den Abschnitt der Kirchenbesuche. Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit zwischen Inseln in Warnstufe 3 oder 4 hingegen wies das Gericht ab, und auch die nächtliche Ausgangssperre wurde mit der Begründung abgelehnt, es würde sich dabei um einen regelrechten nächtlichen Lockdown handeln, der lediglich auf der Uhrzeit basiere. In diesem Sinne argumentierte das Gericht, dass es andere juristische Instrumente gebe, um gewisse Aktivitäten, die erfahrungsgemäß während der Nachtstunden stattfinden und die ein Risiko für die Gesundheit darstellen können, zu unterbinden.
Die kanarische Regierung war auf das Urteil des Obersten regionalen Gerichts vorbereitet und teilte die Absicht mit, umgehend eine Revisionsklage beim Obersten Gerichtshof (Tribunal Supremo) in Madrid einzureichen.
Das Tribunal Supremo wurde von der Regierung Sánchez als oberste juristische Instanz für zuständig erklärt, bei Uneinigkeit zwischen den Regierungen der autonomen Gemeinschaften und ihren jeweiligen obersten Gerichten Klarheit zu schaffen und eine einheitliche Lösung festzulegen (siehe Artikel auf Seite 32).
Das Tribunal Supremo wird innerhalb von fünf Tagen darüber entscheiden, ob die Regionalregierung die Maßnahmen zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit aufrechterhalten darf. Bis dies geschieht, ist die nächtliche Ausgangssperre aufgehoben.
Die Regionalregierung hatte zunächst mitgeteilt, dass die Ausgangssperre bis zur Entscheidung des Tribunal Supremo in Kraft bleiben würde, erhielt jedoch einen Dämpfer vom obersten regionalen Gericht, das seine Entscheidung in einer „Klarstellung“ für unmissverständlich erklärte und unterstrich, dass eine Ausgangssperre und die Einschränkung der Bewegungsfreiheit zwischen den Inseln (bekannt als „cierre perimetral“) nicht angewandt werden dürfen.

Appell an die Vernunft und das Verantwortungsbewusstsein

Nach der „Klarstellung“ durch den Obersten Kanarischen Gerichtshof am 10. Mai tagte die Regionalregierung in einer Sondersitzung, in deren Anschluss bekanntgegeben wurde, dass die Ausgangssperre mit sofortiger Wirkung aufgehoben wird. Regierungssprecher Julio Pérez wies aber darauf hin, dass die übrigen Maßnahmen weiter gelten. Außerdem appellierte Pérez an die Vernunft und das Verantwortungsbewusstsein jedes einzelnen, und bat die Bevölkerung, trotz der Bewegungsfreit die Regeln weiter einzuhalten. In diesem Zusammenhang betonte er, dass es nach der Schließung von Bars und Restaurants sowie Freizeiteinrichtungen wie öffentliche Parks ab 23.00 bzw. 00.00 Uhr keine Veranlassung mehr bestehe, sich auf der Straße aufzuhalten. „Wir wollen auf den Inseln nicht die Bilder sehen, die es in anderen Regionen gegeben hat“, erklärte er.

Maßnahmen, die weiterhin gelten

Maßnahmen, die vorerst weiterhin gelten, sind die Begrenzung der Personenzahl bei Zusammenkünften in der Öffentlichkeit und im privaten Raum sowie die Einschränkung der Öffnungszeiten in der Gastronomie.
Die Zahl der Personen, die sich im öffentlichen wie privaten Raum treffen dürfen, bleibt wie folgt festgelegt:
Warnstufe 1: 10 Personen
Warnstufe 2: 6 Personen
Warnstufe 3: 4 Personen
Warnstufe 4: 2 Personen
In der Gastronomie gelten weiterhin Beschränkungen der Gästezahl in geschlossenen Räumen sowie im Freien:
In Warnstufe 1 dürfen Terrassen zu 100% belegt werden, Innenräume zu 75%. Pro Tisch dürfen im Freien bis zu 10 Personen, in Innenbereichen bis zu 6 Personen zusammensitzen.
In Warnstufe 2 wird die Belegung auf Terrassen auf 75% und in Innenräumen auf 50% herabgesetzt; pro Tisch dürfen höchstens 6 Personen (im Freien) bzw. 4 Personen (innen) zusammensitzen.

Unterschiedliche Handhabung der „neuen Normalität“

Wie unterschiedlich die autonomen Gemeinschaften in Spanien mit der vielzitierten und nun tatsächlich eingetretenen „neuen Normalität“ umgehen, zeigt sich an einigen Beispielen. In Madrid gibt es seit dem 9. Mai keine nächtliche Ausgangssperre mehr, obschon die Gastronomie weiterhin um 00.00 Uhr schließen muss und empfohlen wird, private Treffen auf einen Haushalt zu beschränken. Auch in Katalonien und vielen anderen Regionen ist die nächtliche Ausgangssperre weggefallen. Lediglich vier Regionen – die Balearen, die Kanaren, Valencia und Navarra – wollen am nächtlichen Lockdown festhalten. Auch die Regierung des Baskenlandes strebte die Verlängerung der Ausgangssperre in der Nacht an, scheiterte jedoch mit der Ablehnung durch das regionale Oberste Gericht und beschloss, keine Revisionsklage einzureichen. Auf den Balearen hingegen ist die Ausgangssperre zwischen 23.00 und 06.00 Uhr vom regionalen Obersten Gerichtshof bereits abgesegnet worden, ebenso in der Region Valencia.

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