Erntedank – ein Plädoyer für den Überfluss


Gedanken für mich ­– Augenblicke für Gott

In diesen Tagen feiern die christlichen Kirchen das Erntedankfest, und genau zu diesem Fest möchte ich mit den heutigen Zeilen ein Plädoyer für den Überfluss halten. Sicherlich: Wenn Sie das so lesen, dann klingt das vielleicht in Ihren Ohren nicht unbedingt nach einer christlichen Lebenshaltung, ganz bestimmt nicht.

Aber trotzdem finde ich es angemessen. Schon allein rein optisch. Wie sähe denn – bitteschön – ein Erntedankaltar bei uns aus, auf dem z.B. nur eine einzige Banane vor sich hin kümmert? Nein, das geht doch nicht. Da müssen sich Früchte und Ähren häufen, da sollen Obst und Gemüse so viel Platz einnehmen, dass einem schon vom Anblick allein das Wasser im Munde zusammenläuft. Überfließend muss er sein, der Erntedankaltar. Schließlich danken wir einem liebevollen Gott, und alles, was mit der Liebe zu Gott und zu seinen Menschen zu tun hat, das bekommt eben sofort auch einen überfließenden Charakter. Wie ich das meine? Nun, unsere Augen sollen uns beim Anblick des Erntealtares eine Predigt halten in dem Stil: „Schaut nur! All diese Herrlichkeiten, sie erzählen uns von einem Gott, der all dies zu unserem Genuss geschaffen hat. Diese Art von Liebe will sich verschwenden. Gott will uns und andere damit glücklich machen.“

Wenn wir nämlich in das Neue Testament schauen, stellen wir fest, dass Jesus sich das Himmelreich immer als Festmahl vorgestellt hat. Dabei, glaube ich, hatte er aber keine Scheibe Knäckebrot mit Magerkäse vor seinem geistigen Auge, sondern bei einem Festmahl, da gehen einem die Augen über, da „biegen“ sich die Tische und die Menschen haben einfach Lust zuzugreifen. Gott ist so überfließend wie ein solch üppiges Mahl – und so wie er sich mit seiner Liebe an uns Menschen verströmt, so sollen auch wir dies untereinander tun. Aber halt: Was ist mit denen, denen es am Notwendigen mangelt? Wer kein Geld hat und wer im buchstäblichen Sinne hungert, der hat doch kaum die Muße, sich über solch feinsinnige Beziehungen Gedanken zu machen – oder nicht? Deshalb meine ich: Unser Erntedankfest ist ein Fest, das für den Überfluss dankt. Doch dort, wo noch nicht einmal genügend da ist, um die eigenen Kinder oder den eigenen Leib zu erhalten, da ist dafür kein Raum. Ja schlimmer noch: Wenn direkt neben dem größten Mangel Menschen sitzen, die sich an der Armut anderer noch bereichern und sich weiter mästen, wenn andere mit dem Hunger von Menschen spekulieren und davon profitieren, dann ist das unmenschlich, und das kann nicht gottgewollt sein – beim besten Willen nicht. Nehmen wir doch nur die derzeitige Situation, die uns deutlich vor Augen führt, wie weltweit Hunger „produziert und geschaffen“ wird. Und warum? Weil wertvolle Ackerflächen für die Herstellung von Biosprit benutzt werden, anstatt für Überfluss in der Nahrungsversorgung der Menschen zu sorgen. Sollten wir da aber nicht ehrlicherweise den Erntedank sein lassen, und eher: Ernte-Tank feiern?

Ich bleibe dabei: Menschen brauchen den Überfluss, um menschlich leben und kreativ denken zu können. Denn es muss ja genug da sein, damit Menschen sich satt essen und auch noch für die nächste Ernte aussäen können. Sonst wächst nicht der Weizen, sondern der Hass. Der Hunger in der Welt ist nämlich auch eine Brutstätte des Fanatismus und der Gewalt; ich glaube, das ist uns allen mehr als bewusst geworden in den letzten Jahren. Und: Über Gott nachdenken, das kann man nur schwer, wenn man ein verzweifeltes Leben fristet. Da bleiben nämlich keine überfließenden Gedanken; da stirbt die Liebe, da sterben Menschen. Deshalb ist das Erntedankfest auch nicht nur ein Plädoyer, sondern eher schon eine Mahnung zum Überfluss. 

Nun feiern wir in diesen Tagen noch einen Gedenktag: den Tag der Deutschen Einheit. Da mag einem das Stichwort Überfluss durchaus auch einfallen, selbst wenn manche immer noch der Ansicht sind, dass wir im Osten Deutschlands von blühenden Landschaften immer noch weit entfernt wären. Sicherlich: Mit Bananen und Orangen allein ist es nicht getan. Aber von Armut im eigentlichen Sinne kann man ja nun auch nicht reden. Da sollte man doch bitte „die Kirche im Dorf lassen“. Aber was uns Christen guttut, nämlich ein Tag des Überflusses am Erntedankfest, das könnte doch auch allen Bundesbürgern guttun, gleichgültig, welchen Glauben sie teilen: Sich einen Tag gönnen, einen Festtag, an dem sich Dankbarkeit entwickeln kann und geistreiche Ideen und Visionen darüber, wie sich Reichtum austeilen und verteilen lassen kann. Das wäre dann ein Festtag gegen jegliche Art von Geiz und Knickertum – ein lebendiges Zeichen gegen eine armselige Lebenseinstellung, die nur den eigenen Bauchnabel sehen kann und nicht mehr den anderen Menschen. Denn richtig feiern kann man doch nur mit anderen gemeinsam. Ein Erntedankfest, bei dem wir neben Obst und Ähren auch für unsere Einheit danken und feiernd überlegen, wie wir dieses Geschenk gestalten können: voller Fantasie und beschwingt, eben in der Stimmung, in die uns nur ein gelungenes Fest versetzen kann.

Ihr

Bertram Bolz, Diakon

Kath. Touristen- und

Residentenseelsorger

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