Erwachsen werden


Gedanken für mich – Augenblicke für Gott

So sehr Eltern auch ihre Kinder bei sich haben möchten, aber eines Tages heißt es eben doch, sie loszulassen und ihnen die eigene Verantwortung für ihr Leben zu geben. Kein leichter Prozess – weder für Eltern noch für Kinder. Aber dieses Loslassen muss sein, wenn man als Eltern wirklich will, dass die Kinder erwachsen werden können.

Mir gehen diese Gedanken durch den Kopf, wenn ich an das Fest denke, welches in diesem Jahr Gefahr läuft, durch den 1. Mai (und dann folgt ja gleich der 3. Mai – „Dia de la Cruz“ – als nächster Feiertag) etwas in den Hintergrund zu geraten. Ich meine das Fest Christi Himmelfahrt. Auch da müssen Jesus und die Apostel lernen, einander loszulassen. Nach den Jahren des gemeinsamen Weges und nach den 40 Tagen, in denen Jesus seinen Aposteln immer wieder erschienen ist und ihnen die Gewissheit geschenkt hat, dass er lebt – heißt es nun eben für alle Abschied zu nehmen.

Nur – können die Apostel wirklich schon auf ihren Lehrer verzichten? Sind sie in ihrem Glauben an ihn und seine Botschaft so gestärkt, dass sie sein Werk auch ohne seine leibhaftige Gegenwart fortsetzen können? Mir scheint, dass doch noch recht viele Fragen offen waren. Und statt diese seinen Jüngerinnen und Jüngern zu beantworten, hinterlässt Jesus ihnen „nur“ ein Versprechen; er verspricht ihnen die Kraft des Heiligen Geistes. Mit diesem Beistand werden sie das erfüllen können, was Jesus den Frauen und Männern aufträgt: Sie sollen seine Frohe Botschaft bis an die Grenzen der Erde tragen und sie bezeugen.

Für mich ist faszinierend, dass Jesus sein Werk aus der Hand gibt, obwohl er um die Schwächen seiner Mitstreiter weiß. Das Christentum wäre nie eine weltweite Religion geworden, wären die Frauen und Männer immer nur am Rockzipfel ihres Rabbis hängen geblieben. Weil Jesus seine Anhängerschar loslassen konnte, weil er den Aposteln etwas zugetraut hat, nur deswegen konnten sie dann auch zum Fundament dieser weltumspannenden Kirche werden. 

Wenn man nun allerdings die beiden Jahrtausende der Kirchengeschichte so über­blickt, dann dürfen einem aber doch Zweifel kommen, ob es nun richtig war, uns Menschen so viel zuzutrauen. Wie viele Katastrophen wurden von Menschen im Namen Jesu herbeigeführt? Was wurde in seinem Namen nicht alles gemacht, was ER so sicherlich nie gemacht hätte? Dabei brauchen wir nicht nur an die ganz finstere Zeit des Mittelalters zu denken … Wir fragen uns doch oft: Müsste Jesus nicht wiederkommen und uns auf den richtigen Weg bringen? Und wir fragen so, weil wir eben doch in so manchen Punkten recht unsicher sind.

Aber bis heute hat er es eben nicht getan. Er ist nicht wiedergekommen und so bleibt es für uns dabei: Der Auftrag an seine Jüngerinnen und Jünger der gilt heute auch uns. Jesus nimmt uns unsere Verantwortung nicht ab. Deshalb denke ich ist es wichtig, diesen Feiertag Christi Himmelfahrt zu begehen – als Erinnerung daran, was Jesus uns zutraut. Wir sollen Botinnen und Boten der Liebe Gottes sein. Uns allen, Ihnen und mir, traut Jesus zu, seine Frohe Botschaft gegenüber allen Menschen zu bezeugen. Und wir sind deshalb nicht damit überfordert, weil auch uns zugesagt ist, was den Frauen und Männern am Anfang unserer Kirche zugesagt war: „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen.“

Christi Himmelfahrt sagt mir: Jesus traut mir etwas zu. Ich trage Verantwortung für mich, für die Menschen um mich herum und für die Welt, in der ich lebe. Ich muss diesen Auftrag ernst nehmen, auch wenn ich manchmal das Gefühl habe, dass ich ihm nicht gewachsen bin und ihn deshalb am liebsten an Jesus zurückgeben würde. Aber auch in meinem Glaubensleben ist es eben unverzichtbar, dass ich erwachsen werde und Verantwortung übernehme. Denn nur wenn ich in meinem persönlichen Glauben gereift und erwachsen geworden bin, kann ich werden, wozu Gott mich und uns alle bestimmt hat: zu Zeuginnen und Zeugen für Jesus und seine Botschaft in dieser Zeit.

Bertram Bolz, Diakon

Kath. Touristen- und

Residentenseelsorger

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