EU-Parlamentarier nehmen sich des Falls der geraubten Babys an


Im Mai übergab der Dachverband der Vereinigungen der Opfer illegaler Adoptionen dem Justizministerium 30.000 Unterschriften, um zu verhindern, dass Ascensión López Rodríguez wegen Beleidigung ins Gefängnis muss. Sie wurde als Säugling illegal adoptiert und hatte erklärt, eine Nonne habe ihre Adoption organisiert. Foto: EFE

Eine Gruppe Europa-Abgeordneter traf sich mit dem spanischen Generalstaatsanwalt, den Opfern und Kirchenvertretern

Madrid – Eine Gruppe von Abgeordneten des Europaparlaments ist Ende Mai nach Spanien gereist, um einen Bericht über den Fall der geraubten Babys zu erstellen. Es geht dabei um Neugeborene, die ihren Müttern in der Franco-Ära und auch noch in den darauffolgenden zwei Jahrzehnten (40er- bis 90er-Jahre) unter dem Vorwand, das Kind sei bei der Geburt gestorben, entzogen und in Adoption verkauft worden waren. Mehrere Tausend Anzeigen liegen diesbezüglich vor, doch die Justiz wird von sich aus nicht tätig, wälzt die Beweis- und Kostenlast der Ermittlung auf die oft wirtschaftlich schwachen Betroffenen ab. Die Generalstaatsanwaltschaft und die mit dem Fall befasste Staatsanwältin erklären, es gebe bei diesen Vorgängen kein organisiertes Verbrechen, sondern nur Einzelfälle.

Aufgrund von Anzeigen, die verschiedene Betroffene beim Petitionsausschuss des EU-Parlaments eingereicht haben, wurde schließlich ein Untersuchungsausschuss gebildet, der darauf hinarbeitet, die Ermittlungen wieder in Gang zu bringen. Die Vorsitzende der Gruppe, die britische Abgeordnete Jude Kirton-Darling, erklärte hierzu in einer E-Mail gegenüber der Tageszeitung El País, ihrer persönlichen Meinung nach habe man es mit zahlreichen, oft widersprüchlichen Beweisen zu tun, auch bezüglich des Ausmaßes des Skandals selbst und darüber, ob es sich um organisierten Kinderhandel oder um Einzelfälle handle. Die Opfer würden den politischen und kirchlichen Autoritäten ganz und gar nicht mehr vertrauen. Sie hätten eine ganze Reihe sehr anspruchsvoller Hürden zu überwinden, um überhaupt als Opfer anerkannt zu werden, was bedeute, dass die Beweislast bei ihnen liege und sie oft gezwungen seien, selbst Ermittlungen anzustellen, ohne jede juristische und psychologische Unterstützung. Es sei einiges geschehen, seitdem der Skandal im Jahr 2009 zutage trat, es könne jedoch wesentlich mehr getan werden, um die Opfer zu unterstützen. Es sei offensichtlich, dass dieser Skandal die schwerste noch offene Wunde des spanischen Bürgerkrieges und der Franco-Zeit sei.

Über 2.000 Anzeigen

Im Jahr 2011 unterschrieben 261 Menschen eine Anzeige, welche der Nationale Verband von Irregulärer Adoption Betroffener organisierte. Dadurch wurde das Thema in den Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Seitdem sind bei den Staatsanwaltschaften insgesamt 2.095 Anzeigen eingegangen. Von diesen sind rund ein Viertel an die zuständigen Gerichte weitergeleitet worden.

Doch die Zeit arbeitet gegen die Betroffenen. Im Jahr 2013 starb die Ordensschwester Sor María, die angeklagt war, das Netzwerk der illegalen Adoptionen organisiert zu haben. Einer der mutmaßlich beteiligten Ärzte wartet seit 2016 auf seinen Prozess.

„Wir glauben gar nichts mehr“, erklärt ein Sprecher des Vereins SOS Bebés Robados (SOS Gestohlene Babys), in der sich 400 betroffene Familien zusammengeschlossen haben. Man wolle keine Erklärungen mehr hören, sondern endlich Taten sehen.

„Es herrscht große Ernüchterung“, berichtet der Anwalt einer der Selbsthilfe-Organisationen, der sich in Madrid mit den EU-Abgeordneten getroffen hat. „Es gab durch die Sammelanzeige einen kraftvollen Start, doch der wurde ausgebremst, weil die Staatsanwälte die Fälle archiviert haben statt sie zu verfolgen. Eigentlich müsste der Staat die Fälle von sich aus verfolgen, doch er überlässt dies der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Privatpersonen, und das kann nicht sein.“

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