Exklusiv-Interview mit Maestro Lü Jia


© OST

Der neue Chefdirigent des Symphonieorchesters von Teneriffa ist auch Leiter der weltberühmten Opernfestspiele in Verona

Am 16. November beginnt die erste, von Maestro Lü Jia als neuem Chefdirigenten des OST – Orquesta Sinfónica de Tenerife maßgeblich gestaltete Spielzeit. Ab nächster Ausgabe werden Wochenblatt-Leser wie gewohnt über die insgesamt 19 Abo-Konzerte ausführlich informiert. Wir trafen Lü Jia in der Probenphase mit seinem Orchester und erlebten einen gut aufgelegten, energiegeladenen Chefdirigenten.

Exklusiv für unsere Leser und die Hörer von Radio Megawelle offenbarte der Maestro musikalisch Spannendes, aber auch Unerwartetes aus seinem Privatleben. Im Gespräch zeigte sich Lü Jia als Künstler, der nicht nur Musik unendlich liebt. Mannigfaltig sind seine weiteren Begabungen und Hobbys. Dazu konnte er auf unsere Frage auch Meisterliches berichten: Begeistert lief er früher Marathon. Seine Bestzeit für die mehr als 42 Kilometer: 3 Stunden, 40 Minuten.

Peking – Berlin – Florenz – Triest

Wochenblatt: Maestro Lü Jia, Sie haben noch sehr jung 1990 den Antonio Pedrotti-Wettbewerb in Trient gewonnen und gelten inzwischen als einer der besten Dirigenten aus Asien. Sie arbeiten mit vielen große Orchestern der Welt in Europa, Amerika und Australien. Sie waren Chefdirigent in Italien und in Schweden. Jetzt sind Sie Leiter der weltberühmten Opernfestspiele in der Arena di Verona und Chef des „OST“, unseres Sinfonieorchesters. Sie verstehen auch die deutsche Sprache. Wo haben Sie diese erlernt?

Lü Jia: Ich habe drei Jahre in Berlin Musik studiert und erinnere mich noch genau. Am Tag des chinesischen Neujahrsfests 1989 kam ich dort an. Eine Woche hatte die Fahrt mit der Eisenbahn von Peking gedauert. Es ging über die Mongolei und Sibirien zunächst bis Moskau. Dort wurde der Zug auf eine andere Spurweite gebracht. Es blieben mir fünf Stunden Zeit zum Besuch des Tschaikowsky- Konservatoriums. Das erfüllte mich mit Ehrfurcht. Von Ostberlin  fuhr ich dann mit der S-Bahn in den Westteil der Stadt.

Wochenblatt: Wie kamen Sie zur Klassischen Musik? Kommen Sie aus einem musikalischen Elternhaus?

Lü Jia: Mein Vater ist Chordirigent, meine Mutter ist Sängerin. Als Junge in solcher Familie erlebte ich häufig Proben und Konzertaufführungen. Fünf Jahre lang erlernte ich Klavierspiel und Violoncello. Mit 15 Jahren kam ich dann auf das Konservatorium in Peking. Ich fand das okay, war da aber noch nicht übermäßig verliebt in Musik. Ich hatte viele andere Interessen wie Mathematik, Malerei, Dichtung und Geschichte. Dann wuchs die Begeisterung für Musik, besonders für die von Johannes Brahms, dann Bach – und dann weiter. Das hat meine Welt verändert. Alle gute Musik beseelt ja und weckt wahre Emotion; Musik ist Imagination, ist Phantasie; Musik ist unendlich, ohne Grenzen.

Wochenblatt: Ihre ersten großen Erfolge feierten Sie in Italien, im Land Rossinis, Verdis und Puccinis. War es einfach zwangsläufig, dass Sie deshalb viel Oper dirigierten, – oder gilt der Oper Ihre besondere Liebe?

Lü Jia: Klar. Ich liebe Oper. Ebenso sehr aber liebe ich alle anderen Arten klassischer Musik. Ich bin original klassischer, sinfonischer Dirigent. Mein Beginn zunächst auf dem Gebiet der Oper war allenfalls Zufall. Nach dem Gewinn des Antonio Pedrotti  -Wettbewerbs fragte mich Giorgio Vedusso, der Intendant der Oper in Florenz, ob ich mit ihm arbeiten wolle. Das habe ich gemacht, unendlich viel gearbeitet, und dabei gelernt. Das Funktionieren von Orchester und Chor, die Organisation von Proben und Aufführungen, das Arbeiten mit Sängerinnen und Sängern, – das alles ist sehr komplex und hat immer auch eine soziale Dimension. Nach zwei Jahren wurde ich als Chefdirigent an die Oper in Triest berufen. So bin ich im November 1991 also ganz nach Italien gezogen. Eigentlich war die Aufgabe kaum   für mich zu bewältigen. Als Opern-Chefdirigent muss man ja über Erfahrung und ein großes Repertoire verfügen. Man ist verantwortlich, dass alle Sektionen zusammen gut funktionieren; Arbeit und Verständnis mit den Regisseuren müssen stimmen. Dazu müssen Leistung von Solisten, Chor und Orchester möglichst immer perfekt sein. Oft ist es der reine Wahnsinn, aber wenn es gelingt, ist es unvergleichlich. Eine wirklich gelungene Aufführung ist der Himmel.

Wochenblatt: Sie haben Ihre Aufgabe damals dennoch bravourös bewältigt und dieses Amt nach erfolgreichen Jahren 1995 niedergelegt. Nun arbeiten Sie weltweit als sinfonischer Dirigent, wobei Ihre Liebe zur Oper ja bleibt. Schließlich sind Sie auch Leiter der Opernfestspiele in Verona. Haben Sie Pläne, die Sparte Musiktheater auf Teneriffa auszuweiten?

Opernpläne – Bühnenmusik – Tango

Lü Jia: Beide Sparten sind gleich wichtig. Drei Wochen im Jahr hier für Opern von Verdi oder Puccini sind da nicht ausreichend. Das aber kann sich nur über mehrere Jahre entwickeln. Es ist  schwer, gute Sänger zu finden, um mehr Bandbreite bei der Oper zu  bieten. Die Werke Wagners, Strauss, auch die Komischen Opern der Italiener Rossini, Donizetti; es gibt da unendlich viel Schönes. Und dann die herrlichen Bühnenmusiken! Deutschland hat wie Frankreich eine große Tradition darin entwickelt. Diese Saison bringen wir Beethovens Schauspielmusik zu Goethes Drama „Egmont“ vollständig, und nicht nur immer die Ouvertüre daraus! Nächstes Jahr soll Schuberts „Rosamunde“ folgen, ein Schauspiel von geradezu überirdischer Schönheit der Musik.

Wochenblatt: Bei Durchsicht Ihres Saisonprogramms fiel uns auf, dass Sie neben Klassik, Klassischer Moderne und Avantgarde am 13. Juni zum Abschlusskonzert auch Tango spielen lassen. Ihnen ist gelungen, den weltberühmten Oscar-Preisträger für Filmmusik, den Komponisten Luis Bakalov aus Buenos Aires, als Dirigent seiner eigenen „Misa Tango“ zu gewinnen. Tanzen Sie gern Tango?

Lü Jia: Tango ist phantastisch! Ich war in Buenos Aires. Da gibt es einen Ort, wo jeden Samstagmorgen Frauen und Männer jeden Alters Tango tanzen, wo Tango-Theater stattfindet, wo unglaublich lebendig musiziert wird. Tango ist auch musikalisch so elegant und erotisch! Große Musiker-Kollegen, wie mein Landsmann Yo Yo Ma, haben immer mal wieder Tango-Musik in ihrem Konzert-Repertoire. Ich habe meine Freundin und zukünftige Frau übrigens beim Tangotanzen in Peking kennen gelernt.

Wochenblatt: Sie werden hier regelmäßig Gelegenheit zum Tangotanzen haben. Über das Tango-Café ab 11. November im Tanzsalon des Hotel Florida in Puerto de La Cruz werden wir Sie gern informieren. Welche Musik außerhalb der Klassik gefällt Ihnen denn noch?

Lü Jia: Oh! Ich bewundere Celine Dion, mag Frank Zappa, Barbara Streisand und Elton John. Der ist ein wirklich großer Künstler. Michael Jackson habe ich eher als Tänzer denn als Sänger bewundert. Die Beatles haben Musik für ein Jahrhundert geschrieben. Manches gefällt mir in der Welt des Pop und Rock.

Papas – Autopistas – Ausblick

Wochenblatt: Sie waren ja schon vor Ihrer Zeit als neuer Chef hier öfters Gastdirigent unseres Orchesters. Kennen Sie unsere Insel des Ewigen Frühlings schon ein wenig? Mögen Sie „Papas arugadas“?

Lü Jia: Also „Papas“, diese kleinen Runzelkartoffeln mag ich sehr, obwohl ich sonst kein Freund von Kartoffeln bin. Und zur Frage, was ich von Teneriffa weiß: es ist eine wunderbare Insel! So unglaublich vielfältig, dass ich immer wieder staunen muss.  Dieser grüne Norden, das Wandern im Anaga-Gebirge – ein Traum! Seit ich im Jahr 2002 zum ersten Mal hier war, schwärme ich davon. Meine zukünftige Frau und ich möchten uns in der Region von El Sauzal bald ein Haus kaufen. Es liegt verkehrsgünstig nach Santa Cruz. Dann der Teide, die Cañadas, die Berglandschaften des Südens; ich bin begeistert von der Schönheit Teneriffas und entdecke immer wieder völlig Neues auf der Insel.

Wochenblatt: Keine Rose aber ohne Dornen! Drücken wir es so aus: Was halten Sie für gewöhnungsbedürftig hier?

Lü Jia: Nun ja, der Verkehr auf den Autopistas ist manchmal arg. Fahre ich vom Auditorio nach El Sauzál, so benötige ich am späten Abend vielleicht 20 Minuten. Umgekehrt kann das am Tag manchmal 45 Minuten betragen oder auch eine ganze Stunde. Manches hat sich seit meinem ersten Besuch hier enorm entwickelt, aber leider auch der Verkehr. Immerhin, eine Straßenbahn von La Laguna nach Santa Cruz bringt Entlastung, und die Inselregierung gibt sich Mühe. Manche Autobahnabschnitte wurden ausgebaut. Leicht ist es – wie anderswo – auch hier nicht.

Wochenblatt: Zum Schluss noch natürlich die Frage nach Ihren Plänen mit dem Sinfonieorchester von Teneriffa. Sie möchten es zu einem führenden Klangkörper nicht nur Spaniens, sondern in Europa machen. Das hörten wir neulich sogar in einem deutschen Radiosender von Ihnen. Haben Sie Gastspiel- oder Schallplatten-Pläne mit dem „OST“ zur Demonstration seiner Qualitäten?

Lü Jia: Das „OST“ ist ein gutes Orchester und spielt auf hohem Niveau. Jedes Orchester aber braucht seine eigene, unverwechselbare Persönlichkeit. Diese möchte ich herausarbeiten und das gemeinsam  mit meinen phantastischen Musikern in den nächsten Jahren  entwickeln. Dann ist das Orchester auch reif für Schallplatten, die heute nur noch auf allerhöchstem Niveau zu produzieren Sinn macht. Wir werden Gelegenheiten haben, zu zeigen, dass Teneriffa mit dem „OST“ über ein Orchester der Spitzenklasse verfügt. Der neue Chef des Gran National Theater in Peking hat uns gefragt, ob wir im Oktober 2008 neben Chinas Hauptstadt auch in Hong Kong gastieren können. Wir wollen in Italien und Deutschland auftreten. Viel intensive Arbeit und viele spannende Aufgaben liegen vor uns.

Das Interview führte

Hans Rueda.

hans.rueda@wochenblatt.es

Mit Musik aus den neuen Konzertprogrammen ist das Interview zu hören am 28. Oktober von 10.00 bis 12.00 Uhr bei Radio Megawelle.

Maestro Lü Jia

Geboren 1964 in Shanghai, gehört Lü Jia zur jüngeren Generation der Dirigenten, die im internationalen Musikleben bereits früh arrivierten.  Seine musikalische Ausbildung erhielt Lü Jia an der Musikhochschule in Peking und ab 1989 in Berlin. Mit dem Gewinn des Antonio Pedrotti-Wettbewerbs 1990 in Trento begann seine glänzende Karriere als Dirigent führender Orchester und Opernhäuser Italiens. Ob an der Oper in Rom, mit dem Orchestra di Santa Cecilia an der Turiner Oper oder mit dem Orchester der RAI in Bologna – schnell wurde er dort und dann überall auf der Welt zu einem der erfolgreichsten Pultstars aus Asien der letzten Jahre. Die Liste der Erfolge des Maestros aus Shanghai ist heute weltumfassend.

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