Gersten-DNA: Muss die Geschichte der Guanchen umgeschrieben werden?

Diese Gerstenkörner sind rund 1.000 Jahre alt. Sie stammen aus den Kornspeicherhöhlen El Álamo in der Fundstätte Acusa in Artenara auf Gran Canaria. Fotos: Jacob Morales (EFE

Diese Gerstenkörner sind rund 1.000 Jahre alt. Sie stammen aus den Kornspeicherhöhlen El Álamo in der Fundstätte Acusa in Artenara auf Gran Canaria. Fotos: Jacob Morales (EFE

Eine Studie deutet darauf hin, dass es in vorspanischer Zeit doch einen Austausch zwischen den Ureinwohnern Gran Canarias und Teneriffas gegeben hat

Kanarische Inseln – Es könnte tatsächlich passieren, dass wegen einiger Tausend Jahre alter Getreidekörner die kanarische Geschichte umgeschrieben werden muss.
Bisher gehen Archäologen und Historiker davon aus, dass die Ureinwohner der Kanarischen Inseln alle von denselben Vorfahren abstammen: Berber, die die Inselgruppe vor rund 2.000 Jahren von Nordafrika aus besiedelten. Danach sollen die Bewohner der verschiedenen Inseln aber voneinander isoliert gelebt und keinen Kontakt mehr miteinander gehabt haben.
Obwohl die Ahnen der Guanchen, Canarios, Bimbaches, Benahoariten, Gomeros und Majos über das Meer auf die Inseln gelangt sein müssen, sollen sie ihr Wissen über die Seefahrt wieder verloren und in all den Jahrhunderten niemals versucht haben, herauszufinden, wer auf den für sie sichtbaren anderen Inseln lebt.

Bauer Manuel Quevedo bei der Gerstenernte Fotos: Jacob Morales (EFE
Bauer Manuel Quevedo bei der Gerstenernte Fotos: Jacob Morales (EFE

Das ist kaum zu glauben, doch die Chroniken der ersten europäischen Kolonisten behaupten eben das. Gestützt wird diese Annahme dadurch, dass es keinerlei archäologische Funde gibt, keine Keramik, keine Werkzeuge, keinen Schmuck oder Bildnis, welche das Gegenteil – einen Austausch zwischen den Inselbevölkerungen – belegen würden.
Eine wissenschaftliche Arbeit, die im September in der Zeitschrift African Archeological Review veröffentlicht wurde, steuert nun neue Erkenntnisse in dieser Frage bei. Die Untersuchung der Erbinformation von Gerste, einem Grundnahrungsmittel der kanarischen Ureinwohner, liefert Hinweise darauf, dass es auch nach der Besiedelung der Inseln Kontakte zwischen den Inselpopulationen gegeben haben könnte.
Einer der Verfasser der Studie, der Archäobotaniker Jacob Morales von der Universität Las Palmas de Gran Canaria (ULPGC), hatte schon vor einiger Zeit erkannt und veröffentlicht, dass die kanarischen Landwirte heute immer noch dieselbe Varietät der Gerste aussäen, die schon vor der Ankunft der Spanier angebaut wurde. Es handelt sich laut DNA-Analyse um die gleiche Gerstensorte, die in verschiedenen archäologischen Fundstätten erhalten geblieben ist, die gleiche, welche die Berber vom afrikanischen Kontinent mitbrachten.
Gemeinsam mit der Co-Autorin der Studie, der Genetikerin Jenny Hagenblad von der Universität Linköping in Schweden, führte Morales weitere Untersuchungen durch. Die beiden Wissenschaftler kommen zu dem Ergebnis, dass sich die kanarische Gerste vor rund 2.400 Jahren von der nordafrikanischen Art getrennt hat. Dies bestätigt in etwa die Annahmen über den Beginn der ersten Besiedelung der Kanaren. Die Gerstensorten der anderen Inseln hätten sich demnach vor 1.800 Jahren, unabhängig von der Varietät, die auf Lanzarote zu finden ist, weiterentwickelt. Und die Varietäten auf Teneriffa und Gran Canaria waren bis vor 1.200 Jahren genetisch identisch.
Die Studie setzt die Erstbesiedelung, welche durch die bisherige Geschichtsschreibung im Zeitraum zwischen 100 Jahren v. Chr. und 100 Jahren n. Chr. angenommen wird, also ein wenig früher als die Historiker an, und bestätigt, dass diese auf der Insel Lanzarote, die Afrika am nächsten liegt, ihren Anfang nahm.
Die große Überraschung ist, die DNA-Untersuchungen weisen darauf hin, dass es bis 500 Jahre vor der Ankunft der Spanier, Portugiesen und Normannen noch einen Austausch zwischen den beiden Hauptinseln gegeben haben muss, da sich deren beide Sorten erst viel später voneinander trennten.
Wie Jacob Morales erklärt, ist die Gerste ein Getreide, das sich selbst bestäuben kann, weshalb eine Sorte, die in einem Gebiet gepflanzt wird, sich recht schnell von einer anderen zu unterscheiden beginnt, es sei denn, es gibt einen Austausch von Samen. Die Studie zeige auf, dass in dieser Frage noch einiges an archäologischer Forschungsarbeit zu leisten ist.

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