Über Jahre gelang es den Behörden nicht, die fünf Millionen Altreifen zu beseitigen
In der Nacht auf den 13. Mai wurde Europas größter illegaler Reifenfriedhof bei Seseña in der Nähe von Toledo in Brand gesetzt.
Die Behörden sind davon überzeugt, dass es sich um Brandstiftung handelt. Rund 75% von mehreren Millionen dort gelagerten Reifen sind verbrannt und haben eine giftige Wolke hinterlassen. Kastilien-La Mancha und Madrid lösten den Katastrophenalarm aus und evakuierten die Bevölkerung des am nächsten gelegenen Ortsteils von Seseña. Zwar konnten die Einwohner bereits am nächsten Tag in ihre Wohnungen zurückkehren, doch ist das Ausmaß der Auswirkungen auf die Umwelt noch ungewiss.
Das Umweltdesaster wirft zahlreiche Fragen auf, beispielweise, warum die Behörden Europas größte illegale Reifendeponie nicht längst beseitigt haben und wie es zu dem verheerenden Brand kam, der zwei Wochen nach einer offiziellen Warnung aus Brüssel gelegt wurde.
Altreifenlager seit fast zwei Jahrzehnten
Ende der 90er-Jahre begann ein kleinerer Reifenproduzent, auf zwei von Privatleuten gemieteten Grundstücken bei der Ortschaft Seseña (Kastilien-La Mancha) ohne Genehmigung Reifen zu lagern. Im Jahr 2000 kam es zum ersten Mal zu einem kleineren Brand.
Erst fünf Jahre nach Beginn der Aktivität, also im Jahr 2003, beantragte das Unternehmen eine Genehmigung für das Schreddern der Reifen, allerdings nicht für deren Lagerung. Obwohl eine entsprechende Genehmigung fehlte, wurden immer weiter Reifen abgeladen. Die Deponie wuchs über die zu Seseña gehörenden Privatgrundstücke hinaus in die autonome Region Madrid hinein. Es kam immer wieder zu Untersuchungen, bis 2006 die Lizenz entzogen, das Unternehmen zwangsgeräumt und die Deponie abgesperrt wurde. Der Firmeninhaber wurde 2009 wegen eines Umweltdelikts zu drei Monaten Haft verurteilt und mit Geldstrafen von insgesamt 690.000 Euro belegt. Danach verschwand er. Bis heute ist sein Aufenthaltsort den Behörden nicht bekannt.
In den letzten zehn Jahren lag die illegale Reifendeponie brach. Der riesige Berg war auf fünf Millionen Reifen bzw. knapp 100.000 Tonnen angewachsen und bedeckte eine Fläche, die der Größe von 14 Fußballfeldern entspricht, von der ein Drittel zur Region Madrid gehört.
Umweltschützer mahnten wiederholt dringenden Handlungsbedarf an. Insbesondere bei der Gemeinde Seseña, die ganz in der Nähe der Deponie liegt. Aber auch der Region Madrid war die Müllhalde stets aus ästhetischen, aber vor allem aus Sicherheits- und Umweltgründen ein Dorn im Auge. Dennoch schafften es die vier beteiligten Behörden – die Gemeinde Seseña, die Region Kastilien-La Mancha, die Region Madrid und das Umweltministerium – innerhalb von zehn Jahren nicht, diese Müllhalde verschwinden zu lassen.
Entsprechende Anstrengungen hat es allerdings gegeben. Im Jahr 2011 erreichte die Gemeindeverwaltung, dass die beiden Grundstücke gerichtlich als „aufgegeben“ deklariert wurden, womit die Gemeinde zuständig wurde und eingreifen konnte. Zuerst wurde ein senegalesisches Unternehmen mit der Beseitigung der Reifen beauftragt, doch die Firma trat wegen der Menge und des Ausmaßes der Aufgabe zurück.
Auch das im Jahr 2013 beauftragte spanische Unternehmen war dem Auftrag der Beseitigung von Europas größter Reifendeponie nicht gewachsen, baute jedoch immerhin über drei Jahre hinweg 40.000 Tonnen des Materials ab. Im Februar dieses Jahres wurde der Vertrag übereinstimmend aufgelöst, weil sich der schlecht bezahlte Auftrag für das Unternehmen nicht rentierte und der Abbau zu langsam voranging. Mit der Folge, dass die Deponie nur noch vormittags überwacht wurde und der Deckungsschutz einer Haftpflichtversicherung entfiel.
Die Gemeinde übertrug die Problemlösung erneut auf das Umweltministerium und die regionalen Umweltressorts, um die effektivste Lösung zu ergreifen. Ab Anfang 2015 bemühte sich die Regionalregierung Madrids intensiver um die Angelegenheit, konnte jedoch aufgrund der fehlenden Zu-
ständigkeit und des noch gültigen Vertrages nicht eingreifen, obwohl sie stets die Langsamkeit des Abbaus bemängelte.
Zuletzt war ein erneutes öffentliches Vergabeverfahren angekündigt worden. Für den 26. Mai war ein Treffen der Vertreter der implizierten Behörden anberaumt, um die Kostenverteilung zu klären. Der nun endlich ernsthaft scheinende Versuch, die Deponie abzubauen, sollte drei Jahre dauern und 5,6 Millionen Euro kosten.
Am 28. April – zwei Wochen vor dem Brand – hatte die EU-Kommission bei der spanischen Regierung Informationen über die vorgesehenen Maßnahmen zur endgültigen Beseitigung von Europas größter illegaler Reifendeponie angefordert.
Drei Brandherde gelegt
Das jahrelange Aufschieben der Lösungsfindung kam nun teuer zu stehen. In der Nacht auf den 13. Mai wurde gegen 1.30 Uhr an drei Stellen der Deponie Feuer gelegt, wie die Polizei auf einem von einer Zeugin gelieferten Video erkennen konnte. Trotz des sich im Inneren der Reifen angesammelten Wassers – wenige Stunden zuvor hatte es geregnet – breiteten sich die Flammen außerordentlich schnell aus, was den Schluss zulässt, dass ein Brandbeschleuniger verwendet wurde. Diese These wird dadurch gestützt, dass es laut Experten äußerst schwierig ist, einen Reifen in Flammen zu setzen. Außerdem muss der Brandstifter die Müllhalde und die näheren Umstände gut gekannt haben, wurde doch das Feuer an einer von den Sicherheitskameras nicht erfassten Seite gelegt. Auch machte er sich den Wind zunutze. Innerhalb kürzester Zeit stand ein Großteil der fünf Millionen Reifen in Flammen. Eine dicke schwarze Rauchsäule war bis ins 48 km entfernte Madrid sichtbar.
Kastilien–La Mancha und Madrid riefen den Notstand aus. 9.000 Einwohner aus Seseñas Ortsteil El Quiñón wurden evakuiert. Bereits am Nachmittag des 13. Mai waren 70% der Reifen verbrannt. Sechzehn Feuerwehreinheiten bekämpften die Flammen aus der Luft und am Boden.
Am 14. Mai konnte der Brand eingedämmt werden. Die Einwohner kehrten in ihre Wohnungen zurück, mussten jedoch Türen und Fenster geschlossen halten.
Einige Tage noch schwelte das Feuer. Die Behörden gehen davon aus, dass der Brand erst zwei Wochen nach Ausbruch komplett gelöscht sein wird.
Durch die giftige Rauchwolke werden Umweltschäden befürchtet. Nach Expertenmeinung sind jedoch die klimatischen Bedingungen zumindest für die Bevölkerung günstig, denn der Rauch ist in die Atmosphäre gestiegen und nicht auf den Boden abgesunken.
Die Wassermassen, die bei den Löscharbeiten eingesetzt wurden, erschweren der Kriminalpolizei die Ermittlungen zur Täterschaft.
Was mit den 30.000 Tonnen Altreifen geschehen soll, die von dem Brand nicht betroffen waren, ist noch unklar. Madrid plädiert für die Verbrennung in einem Zementwerk– diese Lösung wird von den Umweltschützern wegen des erneuten Ausstoßes umweltschädlicher Materialien abgelehnt –, Kastilien-La Mancha für die Umwandlung in Diesel, um öffentliche Gebäude zu beheizen.
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