Ist Gott rund?


Gedanken für mich – Augenblicke für Gott

Ein altes Sprichwort sagt: „Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott!“ Es könnte durchaus auf die Fußballfans zutreffen – und zwar nicht nur, weil derzeit Fußball-WM ist.

Für mich deshalb kein Zweifel: Gott ist rund. Ob nun in den Stadien von Südafrika oder nach der Sommerpause wieder in der Allianz-Arena oder dem Gottlieb-Daimler-Stadion. Der Kult um das runde Leder ist groß. Zwar gibt es da sehr viele Konfessionen, aber die große Ökumene der Fangemeinde – das Spiel an sich – das verbindet über alles kleinkarierte Denken hinweg. Egal, um welche Liga es da geht; egal, was auf dem Spiel steht.

Der Gottesdienst dieser Gemeinde dauert 90 Minuten. Da wird aus dem Spiel ernst und es ist eine heilige Zeit. Ob nun am Samstag oder am Sonntag – erst bei diesem Spiel findet die Woche ihren Höhepunkt. Schon lange vor Beginn sind die Gläubigen in großer Vorfreude versammelt. Ganze Pilgerströme ziehen ins Stadion und die Fans haben sich herausgeputzt – Schal und Kutte sind ihre Festtagskleidung. Wenn dann aus 50.000 und mehr Kehlen ihre Choräle im Tempelrund erschallen, dann kann einem da schon ein Schauer über den Rücken laufen.

So viele Menschen, aus allen Schichten und doch vereint durch das Rund des Leders. Sie alle bilden eine große Gemeinschaft, die durch ihren Glauben, ihre Hoffnung, aber auch ihre Ängste verbunden sind. Für eineinhalb Stunden teilen sie das Leben miteinander; liegen sich wildfremde Menschen urplötzlich in den Armen, wenn das „erlösende Tor“ – womöglich noch kurz vor Schluss – fällt. Und gestandene Männer, die sonst im Alltag so hart sein können, fangen an zu weinen, wenn ihr Club absteigt oder keine Lizenz mehr bekommt. Ja, es sind große Gefühle, die man im Stadion erleben kann. Da verdichtet sich die menschliche Existenz auf zwei mal 45 Minuten und 68×105 Meter. Die Regeln sind einfach und klar; von den Rängen erklingt die Liturgie. Wie ein Gottesdienst, in dem alles vorkommt: Glück, Freude, Angst, Hoffnung, Verzweiflung und Erlösung. Wirklich alles nur ein Spiel?

Hartgesottenen Christen und Gottesdienstbesuchern geht wahrscheinlich schon seit ein paar Zeilen durch den Kopf: „Das ist doch Blasphemie!“ Das erste Gebot in der Bibel besagt doch klar und eindeutig: „Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.“ Da gibt es keinen Platz für andere Götter – auch nicht für welche in Fußballtrikots. Keine Bange. Ich sehe die Gefahr so auch nicht. Schließlich sind Fußballer auch nur Menschen. An ihnen ist nichts Göttliches – sie sind so schlau oder doof wie Sie und ich auch. Aber trotzdem muss man sagen: Es umgibt sie etwas Besonderes. Sie stehen im Rampenlicht und werden von den Medien auf Schritt und Tritt verfolgt – und: Sie verdienen eine ganze Stange Geld. Sie sind die Heiligen des Spiels, von ihren Fans verehrt.

Feine Dribblings, perfekte Ballbeherrschung, genau gespielte Pässe und Freistöße – das alles ist große Kunst. Und deshalb werden auch manche Kicker als „begnadete“ Spieler bezeichnet. Fußballer sind keine Götter und auch der Fußball an sich ist kein Gott. Aber eben nahe dran. Er ist allgegenwärtig, unterbricht den Alltag und entfaltet eine weltweite Macht. Er füllt Stadien und Köpfe, Fernsehkanäle, Zeitungen und wissenschaftliche Bücher, man entkommt ihm kaum. Selbst das Aufdecken von Hintergründen, von Kommerz, Manipulation, Geldfluss oder auch Täuschung reichen nicht aus, das Fußballfieber zu kurieren oder den Fans die Lust daran zu nehmen. Wer einmal infiziert ist, der bleibt resistent gegenüber kritischen Argumenten. Vielleicht nicht gegenüber der Wahrheit, aber zumindest gegenüber dem Versuch, den Spaß mit Informationen zu vertreiben. Sagen Sie mal einem Fußballfan, dieser Sport sei Schwachsinn oder Gehirnwäsche, ein zynisches Geschäft oder eine andere Form des Krieges, ein psychisches Ventil oder Kapitalismus in höchster Vollendung. Sie oder er wird vielleicht kleinlaut nicken, aber nie und nimmer damit aufhören, sich Fußballspiele anzuschauen. Ein fester Glaube also, inmitten einer doch mehr als aufgeklärten Zeit.

Im Gottesdienst wie im Fußball geht es also um die Dramatik des Lebens. Beim Fußball kann man gewinnen und verlieren. Das dramatische Spiel ist wie ein Spiegelbild für den alltäglichen Kampf ums Überleben. Das Ergebnis steht erst am Ende der Spielzeit fest, beim Schlusspfiff – da zeigt sich, wer Sieger oder Verlierer ist. In den christlichen Gottesdiensten erleben wir quasi Sonntag für Sonntag die Siegesfeier. Zwar erinnern wir uns auch daran, was Jesus für uns Menschen getan hat, wie Gott uns in ihm befreit hat, aber: Das Ergebnis steht immer schon fest. Ein WM-Finale ist da – ich geb es zu – sicherlich spannender.

Aber die Dramatik, mit der Gott um uns Menschen gerungen hat, erschließt sich eben erst richtig vom Ergebnis her. Die Entscheidung über unser Leben ist schon gefallen und Gott hat für uns gewonnen. Wenn das Fußballspiel abgepfiffen wird, ist der Zauber vorbei. Der Jubel verklingt, die Verzweiflung lässt nach. Gottes Nähe zu uns ist aber nicht auf 90 Minuten begrenzt, sie gilt ein Leben lang. Genau deshalb aber, ist Gott für mich eben auch nicht rund.  

 

Ihr

Bertram Bolz, Diakon

Kath. Touristen- und

Residentenseelsorger

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