Leben in einem anderen EU-Staat


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Die Krise hat viele Spanier zur Auswanderung gezwungen. Heute hält der Trend zur Auswanderung an, doch haben sich die Motive geändert.

Madrid – Die allgemeine Freizügigkeit für Unionsbürger, also das Recht, sich in den Mitgliedsstaaten der EU und des Europäischen Wirtschaftsraums frei bewegen und leben zu können, ist eines der am meisten geschätzten Rechte der EU-Bürger. Zusammen mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit, die das Recht umfasst, in jedem Mitgliedsstaat arbeiten zu dürfen, sowie dem freien Waren-, Kapital- und Zahlungsverkehr gelten diese Rechte bei 59% der EU-Bürger als größte Errungenschaften. Sie rangiert noch vor dem Frieden unter den Mitgliedsstaaten, wie aus dem jüngsten Eurobarometer hervorgeht.

Laut Eurostat lebten im Jahr 2017 knapp 4% der Europäer in erwerbsfähigem Alter, also zwischen 20 und 64 Jahren, in einem anderen als ihrem Heimatland. Dabei gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den Nationalitäten. Während 19% der Rumänen in einem anderen EU-Staat leben, sind es nur 1% der Deutschen. Bei den Spaniern beläuft sich der Anteil derjenigen, die in ein anderes Mitgliedsland abgewandert sind, auf 1,6% und fällt damit ebenfalls gering aus. Insgesamt sind die Daten über die Mobilität der EU-Bürger mit Vorsicht zu behandeln, denn es werden nur Personen erfasst, die mehr als ein Jahr in einem anderen Staat leben und sich zudem im dortigen Konsulat gemeldet haben.

Die Wirtschafts- und Finanzkrise veranlasste seit 2008 wieder eine wachsende Zahl von Spaniern zur Auswanderung, nachdem diese Tendenz seit den 60er-Jahren erheblich abgeflaut war, wie Joaquín Arango, Professor für Soziologie an der Universität Complutense, feststellte. Nachdem sich spätestens 2011 abzeichnete, dass noch lange kein Ende der Arbeitslosigkeit und der Kürzungen absehbar sein würde, nahm die Auswanderung weiter zu.

Zwischen 2008 und 2017 trieb es laut Nationalem Statistikinstitut (INE) 647.458 Spanier ins Ausland. Von ihnen ließen sich 283.448 (44%) in einem andere EU-Mitgliedsstaat, hauptsächlich Großbritannien und Deutschland, nieder. Die Demografin Amparo González berichtete, dass es sich bei einem erheblichen Anteil von etwa 35% um Personen handelte, die aus einem anderen Land stammten, in den 90er-Jahren nach Spanien eingewandert waren und später die spanische Staatsangehörigkeit angenommen hatten, die jedoch angesichts der Krise wieder in ihre Ursprungsländer zurückgekehrt waren.

Professor Arango stellte einige interessante Überlegungen zur Mobilität der EU-Bürger an. So stufte er den Brexit als ein Beispiel für die Politisierung der Freizügigkeit ein. Es habe eine starke Ablehnung der europäischen Einwanderung beispielsweise von Polen oder Litauen gegeben, obwohl diese als Chance zur Abdeckung von Lücken im Arbeitsmarkt hätte ausgelegt werden können. Stattdessen sei die Einwanderung als Bedrohung für die Souveränität angesehen worden, als nicht aufhaltbar, als nicht zu verhindern.

Dolores López, Professorin für Humangeografie an der Universität von Navarra, zeichnete ein aktuelles Bild der Auswanderung von Spaniern in andere EU-Mitgliedsstaaten. Demnach halte diese trotz Verbesserung der Wirtschaftslage an und sei nicht wieder auf das geringe Vorkrisenniveau zurückgefallen. Allerdings sei auch die Zahl der Einwanderer seit 2016 und insbesondere 2018 erheblich angestiegen und würde die Zahl der Auswanderer übertreffen.

Für Amparo González hat die Krise dazu geführt, dass sich der spanische Auswandererstrom gefestigt hat. Allerdings würden aktuell die Spanier weniger wegen der Chancenlosigkeit im Inland praktisch zur Auswanderung gezwungen, sondern im Rahmen einer globalen Welt und zur Verbesserung der Zukunftsaussichten aus freiem Willen ins EU-Ausland abwandern.

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