Nicht mit allen Wassern gewaschen


Gedanken für mich ­– Augenblicke für Gott

Der Mensch ist flexibel, clever und cool – wer wollte das bestreiten? Schließlich hört man genau diese Ansage von allen Seiten; vorab von der Wirtschaft – und natürlich in deren Schlepptau auch von der Politik. Flexibel sei der Mensch und gemeint ist letztendlich nichts anderes, als dass er biegsam und angepasst ist.

Schließlich heißt heutzutage das Motto vielfach: Wer stehenbleibt, verliert – beständig ist nur der Wandel. Unsere Supermärkte und Einkaufszentren sind der beste Beweis dafür. Stetig gibt es neue Produkte, Altbewährtes erscheint wenigstens in neuer Verpackung und ab und an wird alles umgeräumt, damit das Gefühl von „Veränderung“ entsteht.

Die Folgen eines solchen Verhaltens sind aber ebenso naheliegend wie weitreichend. Warum sich denn überhaupt noch tiefer in eine Sache einlassen? Es genügt doch die oberflächliche Kooperation – ganz cool – auf Distanz. Der neue Siegertyp ändert ganz rasch seine Bindungen an Umstände und Menschen; er ist mit allen Wassern gewaschen und schwimmt im Mainstream auf jeden Fall ganz oben. Wer da nicht mitschwimmt, der geht baden. Bleibt die Frage: Was um alles in der Welt, ist denn in einer solch mobilen, sich ständig wandelnden Gesellschaft überhaupt noch von bleibendem Wert? Alles scheint austauschbar und ersetzbar, auch der Mensch mit seinen Beziehungen. Nicht umsonst spricht man heutzutage auch von einer sogenannten „Ehemobilität“. Und was so für die Partnerschaften gilt, das gilt in derselben Weise auch für die ganz persönlichen Überzeugungen. Auch da zeigt „man/frau“ sich heute mehr als mobil. Es scheint heute chic, Positionen stetig zu wechseln und ja nicht mehr sein Herz, geschweige denn sein Leben an eine Überzeugung zu hängen. Sagte einst Martin Luther noch: „Hier steh ich und kann nicht anders“, heißt es heute nur: „Hier stehe ich und kann auch ganz anders.“

Ist der Mensch wirklich flexibel, wie es immer wieder gesagt wird? Flexibel meint ja laut Lexikon: Biegsam, geschmeidig, unbeständig und haltlos. Das kann’s nun doch aber nicht sein, dass der Mensch haltlos ist – oder doch? Ich vermute jetzt mal, dass die eine oder der andere von Ihnen wahrscheinlich denkt: „ Das ist doch mal wieder typisch für einen Kirchenvertreter. Bei denen ändert sich doch sowieso nichts; immer dasselbe, langweilig und starr. Und wohin, bitte schön, führt das? In einen Fundamentalismus, den auch niemand will.“ Nur: Das stimmt nicht! Ich behaupte nicht, dass Wandlungsfähigkeit nicht auch Gutes in sich trägt. Wir Christen halten viel von Wandlung – auch und gerade weil es Pfingsten gibt. Pfingsten macht mir deutlich: Flexibel zu sein, ist nicht in jedem Fall schlecht. Fatal ist doch nur die Veränderung um jeden Preis, ohne dass es dafür erkennbare Maßstäbe gibt. In meinen Augen erfordert nichts so viel an Treue und Beständigkeit, wie ein lebendiger Wandel. Klingt kompliziert, ist es aber nicht.

Vielleicht kann das ein Wort von der Dichterin Hilde Domin deutlich machen, das mir wichtig geworden ist. Es heißt: „Man muss weggehen können und doch sein wie ein Baum: Als bliebe die Wurzel im Boden…“ Ja, „man muss weggehen können…“ – denn wer immer nur auf der Stelle tritt, dem kann man nicht nur eine gewisse Standfestigkeit nachsagen, sondern der- oder diejenige kann ja auch lahm oder starr sein. 

„Man muss weggehen können und doch sein wie ein Baum: Als bliebe die Wurzel im Boden…“

Die Wurzel bringt Nahrung in den Baum, mit dem Wasser das Leben. Und da bleibt dann doch für uns alle die Frage bestehen: Wo haben denn wir unsere „Wurzel im Boden“ zum Lebenswasser, das uns nährt? Ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass wir eben nicht mit allen Wassern gewaschen sind, sondern mit einem ganz bestimmten. „Wer Durst hat“, so ruft Jesus, „komme zu mir, und es trinke, wer an mich glaubt.“ Genau an diesen Quellen aber scheiden sich die Geister. Damals genauso wie heute. Denn da zeigt sich, wes Geistes Kind jemand ist. Und als Christ bin ich eben neu geboren in der Taufe – sowohl aus dem Wasser, das Leben schenkt, als auch aus dem Heiligen Geist, der mich führt.

Sicherlich: Man kann der Kirche – vor allem meiner Kirche – viele Vorhaltungen machen. Man kann ihr in manchen Punkten Sturheit oder auch Starrköpfigkeit, manchmal auch Rückständigkeit vorhalten; in manchen Punkten auch eine große Schuldhaftigkeit, wenn ich an die letzten Monate und die vielen Missbrauchsfälle denke. Da würde ich mir weit mehr Flexibilität meiner Kirche wünschen; einen offeneren Umgang mit vielen Anfragen und vor allem keine Angst vor internen Diskussionen. Aber für alle Veränderungen und Wandlungen in dieser Kirche muss das einzig und entscheidende Kriterium sein: Dass die Wurzel im Boden bleibt und sie ihre Nahrung bekommt vom Wasser des Lebens – von Jesus selbst.

In diesem Sinne wünsche ich der Kirche, aber auch uns allen ein Pfingstfest, welches uns den Geist spüren lässt, der uns in genau diesem Sinne flexibel sein lässt.

Ihr

Bertram Bolz, Diakon

Kath. Touristen- und

Residentenseelsorger

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