Nonnen und andere Individualisten


Gedanken für mich ­– Augenblicke für Gott

Im Sommer las ich bei Bekannten ein Buch mit dem Titel: „Die emanzipierte Nonne und andere Portraits von heiligen Individualisten“. Darin werden nicht nur Lebensläufe von Heiligen beschrieben, sondern auch, weshalb und warum der Autor dieses Buch überhaupt geschrieben hat.

Er war als junger Mann auf der Suche nach Gott und glaubte, ihn bei einem heiligen Hindu in Indien zu finden. Der Guru empfängt ihn nach der langen Reise überaus freundlich, aber er lacht ihn auch ein wenig aus: „Um Gott zu finden,… brauchst du doch nicht in Indien herumzufahren … Kehre lieber heim in die Religion, in der du aufgewachsen bist. Es gibt im Westen echte Heilige genug.“ Dieser Rat hatte Erfolg. Der Gottsucher – Hans Conrad Zander – sah sich unter den Heiligen Europas ein wenig um, und wurde fündig. Neun von ihnen beschreibt er in dem genannten Buch, das von Humor und Sympathie für diese heiligen Personen nur so sprüht.

Ja, was sind das denn nun – Heilige? Warum wird ihnen in der katholischen Kirche am ersten November sogar ein eigenes Fest gewidmet: das Fest Allerheiligen? Was Heiligkeit ausmacht, das bringt das kleine Buch gleich zu Beginn auf den Punkt: „‘Liebe Gott und tue, was du willst.‘ An dieses Wort des heiligen Augustinus haben sich alle Heiligen gehalten.“ Treffender kann man es eigentlich nicht sagen. Heilige waren und sind nicht in ersten Linie Menschen ohne Fehl und Tadel – beim besten Willen nicht. Manchmal sind sie sogar das krasse Gegenteil. Das Wesentliche ist aber, dass sie ihr ganzes Leben auf die Karte „Gott“ gesetzt haben und das ohne Wenn und Aber. Von diesem Gott geliebt zu werden ist eine Erfahrung, die manchmal wie ein Wirbelsturm über diese Menschen kommt und dann ihr ganzes Leben verändert.

So zum Beispiel Teresa von Avila; ein wirklich junges Mädchen aus gutem Hause, das jahrelang in einem Kloster lebte, wo die geistlichen Damen sich reichlich mit Klatsch und Tratsch unterhielten und eine mehr als laue Frömmigkeit praktizierten. Teresa wurde schwer krank – heute würde man wohl von einer psychosomatischen Erkrankung sprechen – was aber die Wende brachte. In einem aufwühlenden, inneren Erlebnis, wurde sie von der Wirklichkeit und Nähe Gottes total erfasst. Von diesem Erlebnis „beseelt“ oder auch „begeistert“, bricht sie nun ganz mutig alle Dämme. Heimlich entweicht sie aus dem bisherigen Kloster, gründet mit ein paar anderen Frauen ein neues, und gerät von dem Zeitpunkt an quasi in Dauerclinch sowohl mit der kirchlichen als auch der weltlichen Obrigkeit. Aber trotz dieser gewaltigen Widerstände aus allen Richtungen, lebt Teresa aus einer inneren Gelassenheit, die ihre ganze Verankerung in Gott hat. So schreibt sie dann: „Obschon er der Herr ist, kann ich mit ihm umgehen wie mit einem Freund.“ Und: „Ganz in seinem Inneren erfährt der Mensch, wie in einem tiefen Abgrund, die Anwesenheit Gottes.“ Solche Aussagen mögen in uns eher Skepsis oder auch Abwehr hervorrufen, als Sehnsucht oder Zustimmung. Kann es eine solche Gottesnähe heute überhaupt noch geben? Und da stelle ich fest, sind die Heiligen mir wichtig geworden. Denn sie sind wie Kirchtürme, die nach oben zeigen; die mich in meinem Alltag einladen, fest auf dem Boden zu stehen und doch dort hin zu weisen, wo unsere Zukunft liegt – nämlich in Gott.

Oder wie viele Heilige hatten sich in ihrem Leben ganz der Nächstenliebe verschrieben? Haben mit ihrem Leben deutlich gemacht, wie Gott für die Menschen in ihrem Leben erfahrbar und spürbar sein will. Es waren Menschen, die Armen, Kranken, Behinderten und Sterbenden zur Seite standen; die für junge, einsame, verzweifelte und entwurzelte Menschen einfach da waren. Und doch wäre es ein Missverständnis, Heiligkeit immer nur mit spektakulären Taten gleichzusetzen. Wie sagte Teresa von Avila: „Herr, du verlangst von einem Menschen, der entschlossen ist, dich zu lieben und sich dir zu überlassen, weiter nichts, als dass er sich gut in das hineinfindet, was du ihm aufträgst! Denkt also daran, dass der Herr auch in der Küche zwischen den Töpfen umhergeht und dass er innen und außen bei euch ist.“

Ich bin überzeugt, dass es in diesem Sinne viele unerkannte Heilige unter uns gibt, die für ihre Mitmenschen da sind und für Gott – und das alles, ohne es an die berühmte „große Glocke“ zu hängen: die Frau, die ihren bettlägerigen Mann pflegt; der sogenannte „kleine“ Angestellte, der immer ein offenes Ohr für die Freuden und Nöte der Kolleginnen und Kollegen hat; die Nachbarin, die sich in liebevoller Sorge der älteren Dame von Nebenan annimmt und ihr so zu verstehen gibt, dass sie auch im Alter und in der Gebrechlichkeit „Ja“ sagen kann zu ihrem mühselig gewordenen Leben.

Wie umschrieb die Ärztin und Benediktinerin Kyrilla Spieker mal die Heiligen: „Sie sind wie Stimmgabeln in einer verstimmten Welt.“ Genau deshalb aber lohnt es sich, Allerheiligen zu feiern.

Ihr

Bertram Bolz, Diakon

Kath. Touristen- und

Residentenseelsorger

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