Offene Türen


Gedanken für mich – Augenblicke für Gott

Kennen Sie diese Geschichte? „Einst lebten die Menschen in offenen Häusern. Die Menschen selbst waren so offen wie ihre Häuser und Wohnungen. Eines Tages beobachteten sie, wie einer von ihnen eine Tür anfertigte und damit sein Haus für andere zumachte.

Andere machten es ihm nach und versahen ihre Häuser mit mehr oder weniger kunstvollen Türen. Dann brachte der erste ein Schloss an seiner Türe an und trug von nun an den Schlüssel ständig mit sich. Und was geschah? Bald darauf machten ihm auch das die anderen nach; sie verschlossen ihre Türen und verschlossen sich so aber auch voreinander. Es dauerte dann auch gar nicht lange, da schleppten sie einen aus ihren Reihen vor den Richter. Er hatte bei seinem Nachbarn trotz Tür und Schloss eingebrochen – und solches war doch bislang im Dorf noch nie vorgekommen.“

Bei dieser Geschichte kann man sehr nachdenklich werden. Sie zeigt uns etwas von dem Vertrauen welches Menschen mal in- und zueinander hatten. Zum anderen kann diese Geschichte aber auch als Bild für unsere Gesellschaft dienen, in der es ja ähnlich zugeht. Wie oft höre ich von Menschen, dass sie sich ausgeschlossen fühlen. Sie nehmen für sich selbst wahr, als lebten sie außerhalb einer geschlossenen Gesellschaft; einer Gesellschaft, in der es Außenseiter – gleich welcher Art – schwer haben, Kontakte zu knüpfen. Gleichzeitig werde ich aber den Eindruck nicht los, als fühlten die Menschen dieser Gesellschaft sich höchst unsicher. Wie sonst könnte es sein, dass gerade der Markt, der sich Türen, Schlössern, Riegeln und elektronischen Überwachungsanlagen widmet immer boomt und von wirtschaftlichen Talfahrten weitestgehend verschont bleibt?

Jesus setzt genau dagegen aber das Zeichen der offenen Tür. Das wird für mich in den verschiedenen Evangelienberichten deutlich, die uns nach Ostern zu Gehör gebracht werden. Ja, Jesus selbst ist die Tür, aber eben nicht um blockierend im Rahmen zu stehen und auszuwählen, sondern er steht einladend davor. Durch ihn ist alles offen und frei. Worte, die sicherlich dem einen oder anderen merkwürdig vorkommen, angesichts so vieler verschlossener Kirchentüren – im realen wie im übertragenen Sinn. Auch in der Kirche scheint ein extremes Sicherheitsdenken vorzuherrschen. Aber das entspricht eben einem weit verbreiteten Bedürfnis: Nicht nur in der Kirche, auch mit Gott selbst möchten wir am liebsten auf Nummer Sicher gehen – und da erscheint es dann doch nur sinnvoll und legitim, wenn uns jemand klar und eindeutig zeigt, wo es für uns langgeht.

Dennoch möchte ich mich hier und heute auf die Freiheit der offenen Tür und damit eben auf Jesus selbst berufen. Es gibt, wenn wir das Evangelium richtig lesen und wahrnehmen, einen freien Zugang zu Jesus und einen freien Ausgang. Niemand wird zum Kommen gezwungen und keiner wird festgehalten. Die persönliche und politische Freiheit ist nur durch einen hohen Preis zu haben und bei der religiösen Freiheit ist dies kein Haar anders. Der Preis ist oft mit Anfechtungen und Missverständnissen zu zahlen, mit Einsamkeit und manchmal auch mit Redeverbot. Viele können und viele wollen diesen Preis nicht bezahlen und quälen sich stattdessen mit strengen Hausordnungen herum bei denen ich mich mitunter frage, ob Jesus sie so wohl unterschreiben würde. Als Kirche dürfen wir aber nicht aus lauter Angst die Türen vor jedem Glaubensrisiko verschließen, weil wir damit eben immer auch Andersdenkende, die unser Leben doch auch bereichern könnten, ausschließen.

Jesus hat nicht gesagt: Ich bin der prächtige Tempel! Dann wäre ja alles ganz einfach – man wüsste ihn zu finden und könnte sich daran festhalten. Aber Jesus sagt: Ich bin die Tür! Und eine Tür ist in erster Linie ein Durchgang, der alles in Bewegung hält. Deshalb spricht Jesus auch vom Weg und deshalb nennt er alle, die mit ihm gehen, eben auch Nachfolger. Aus diesem Grund nannten sich die ersten Christen auch nicht „Kirche“, sondern „der neue Weg“. Jesus selbst steht nicht nur an der Tür zum Leben – er ist diese Tür.

Wenn wir nun für uns in Anspruch nehmen, ihm und seinem Weg zu folgen, dann muss sich die Tür zur Freiheit eines Christenmenschen nicht nur im Umgang mit den Menschen zeigen, sondern sich auch bewähren. Die engen Grenzen einer Religion, auch der christlichen Religion, müssen überwunden werden, wenn wir unsere Mitmenschen als Schwestern und Brüder in Gott betrachten wollen und wenn die Welt nicht erstarren soll in dem, was die kleine Eingangsgeschichte andeutet: nämlich Enge, gegenseitiges Misstrauen, Feindschaft, Hass und Terror – all das ist nur ein Ergebnis verschlossener Türen und verschlossener Menschen. Nur eine offene Religion – eine der Welt zugewandte Kirche hat das befreiende Potential, um über alle Politik hinaus schon jetzt für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung einzustehen und sich dafür stark zu machen.

Bertram Bolz, Diakon

Kath. Touristen- und

Residentenseelsorger

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