Wo die Lavaströme des Teide zwischen San Juan de la Rambla und Santo Domingo die Nordküste Teneriffas erreichten, können wir auf der östlichen Wand des größten bekannten Lavakanals der Welt wandern. Der Weg beginnt bei Santa Catalina und führt bis zum Charco del Viento, einer im Sommer beliebten Badebucht. Über die geologischen Besonderheiten, die man entlang des Weges sehen kann, informieren mehrsprachige Tafeln. Wir sollten es in dieser Jahreszeit jedoch nicht versäumen, die ebenfalls sehr vielfältige Pflanzenwelt in Augenschein zu nehmen.
Nach den Regenfällen des vergangenen Monats verändert sich die Vegetation dort zunehmend. Auf dieser Höhenstufe befinden wir uns in der Zone des Sukkulentenbuschs, die als mehr oder weniger breiter Ring die küstennahen Bereiche der ganzen Insel umfasst. Klimabedingt reicht er im Norden bis in Höhen von 300 – 400 m, im Süden bis zu 800 m. Starke, nahezu ganzjährige Sonneneinstrahlung und nur selten einmal winterlicher Regen bestimmen hier die Lebenssituation. Ohne intensive Bewässerung könnten die Bananenstauden, die im ehemaligen Kanalbett wachsen, nicht gedeihen. Sie benötigen zwar die Wärme, aber wesentlich mehr Feuchtigkeit als diese (Halb-) Wüstenlandschaft bieten kann. Pflanzen, die an solchen Standorten von Natur aus vorkommen, können mit der langdauernden Trockenheit und der Sonnenstrahlung umgehen. Je nach Art haben sie dazu sehr eigene Strategien entwickelt. Charakteristisch sind in dieser Landschaft sukkulente Pflanzen, die in verdickten Teilen Wasser speichern können: vor allem Bittere Tabaiba (Wolfsmilch) und Verode (Kleinia). Einige andere speichern kein Wasser, sondern schützen sich vor dem Vertrocknen durch harte ledrige Blätter, die wenig Wasser verdunsten. Das setzt allerdings voraus, dass ihre Wurzeln tief genug ins Erdreich eindringen können, um auch noch dann an Wasser gelangen zu können, wenn das den Sukkulenten schon nicht mehr möglich ist. Zwei, die das können und hier wachsen, sind der Kanarische Zwergölbaum (Orijama) und der wilde Ölbaum (Acebuche).
Zwergölbäume sind eine eigene Familie von Sträuchern, die mit den eigentlichen Ölbäumen nicht näher verwandt sind. Ein Blick auf ihre sehr verschiedenen Blüten zeigt das deutlich. Botaniker ordnen Blütenpflanzen nach Blütenmerkmalen; wer gleiche oder sehr ähnliche Blüten hat, ist mehr oder weniger nah verwandt. Bei Ölbäumen und Zwergölbäumen sind nur die Formen der Laubblätter sehr ähnlich. Das ist zwar kein Verwandtschaftskriterium, hat aber den Zwergölbäumen ihren Namen eingetragen. Der Kanarische Zwergölbaum ist eine endemische Art, die außer auf Fuerteventura und Lanzarote auf allen Kanarischen Inseln – und weltweit nur dort – heimisch ist. Im Mittelmeerraum gibt es eine weitere Zwergölbaumart, und von dieser kommt die deutsche Bezeichnung der Familie. Für die Mittelmeerart gibt es auch die ältere Bezeichnung „Zeiland“. Deswegen bekam die kanarische Art auch in deutschen Pflanzenbestimmungsbüchern den Namen „Staubiger Zeiland“, obwohl dieser Strauch nie in Deutschland lebte und ein deutscher Name etwas aufgesetzt erscheint. „Staubig“ wirken seine Blätter tatsächlich; denn sie sind von vielen kleinen weißen Härchen bedeckt. Diese reflektieren das Sonnenlicht und schützen so die Pflanze vor Strahlungsschäden, eine wichtige Anpassung an die herrschenden Bedingungen. Einheimische nennen den Strauch „Leña buena“ oder „Orijama“, wobei diese letztere Bezeichnung aus der Sprache der Ureinwohner stammt, aber dasselbe meint: gutes Brennholz. Denn dieses Holz lässt sich auch in feuchtem Zustand anzünden. Der gelegentlich auch benutzte Name „Leña santa“ verweist eher auf die verschiedenen medizinischen Wirkungen dieser Pflanze, die deswegen auch in den Bestattungsriten der Ureinwohner Verwendung fand. Sie wirkt gegen Bakterien und Pilze und konserviert deswegen auch Tote. Die roten Früchte des Orijama gehörten früher auch zur Nahrung der Rieseneidechsen der verschiedenen Inseln. Die unverdaulichen Samen wurden durch diese verbreitet. Heutzutage spielt das nur noch eine untergeordnete Rolle; denn es gibt kaum noch Rieseneidechsen, und für kleinere Eidechsenarten sind die Früchte zu groß.
Während der Orijama in diesem Gebiet häufig ist, könnten wir den wilden Ölbaum, den Acebuche, leicht übersehen. Er wird zwar deutlich größer, sein eigentlicher Lebensraum ist aber der sich nach oben an den Sukkulentenbusch anschließende wärmeliebende Wald. Dort sollte er eigentlich häufig sein und, wo dieser Waldtyp auf Teneriffa noch einigermaßen erhalten ist, ist er auch öfter anzutreffen. Überwiegend wurde der Acebuche aber längst durch Nutzung und Rodung aus dem Landschaftsbild verdrängt. Schließlich wächst er bevorzugt in der Klimazone, die dem Menschen am angenehmsten ist und auch gute Voraussetzungen für die Landwirtschaft bietet. An begünstigten Orten kann er jedoch auch in der Sukkulentenregion gedeihen. Deswegen finden wir hier ein Exemplar genau an der Stelle, an der der Weg, von Santa Catalina kommend, die letzten Häuser hinter sich lässt. Er führt hier etwas abwärts, und man tut gut, sich auf seinen Verlauf zu konzentrieren. Den einzigen Ölbaum übersieht man so leicht, obwohl er direkt neben dem Weg wächst und seine Blätter uns berühren. Dem wilden Ölbaum und dem Öl seiner kleinen Früchte werden ebenfalls Heilwirkungen nachgesagt. Begehrt war aber vor allem sein hartes und elastisches Holz. Hirten stellten daraus gerne ihre Gerätschaften her, vor allem ihre Stöcke. Schon die Ureinwohner sollen Stangen aus Acebuche für den Salto del Pastor, den Sprung der Hirten, bevorzugt haben. Es handelt sich dabei um eine Technik, mit der man sehr schnell unwegsames und steiles Gelände bewältigen kann. Und auch die hölzernen und oftmals tödlichen Waffen der Ureinwohner wurden daraus gefertigt. Mehrere Exponate im Museo de Naturaleza y Arqueología in Santa Cruz zeugen davon. Im Juego de Palo, dem heute unblutigen traditionellen kanarischen Stockkampf, gelten Stöcke aus Acebuche als besonders gut: „con el acebuche, no hay palo que luche“. Sinngemäß bedeutet das: „Gegen Acebuche hat man keine Chance.“
Michael von Levetzow
Tenerife on Top