Pfingsten – Endlich raus…


Gedanken für mich ­– Augenblicke für Gott

Mit der Schlagzeile „Raus aus den vier Wänden“ gab eine deutsche Tageszeitung das Ergebnis einer Umfrage wieder, in der Leute sagen sollten, wie sie die Pfingstfeiertage verbringen. Ausflüge und Kurzreisen wurden am häufigsten genannt, in die Kirche gehen rangierte unter ferner liefen.

Schade. Denn die Überschrift „Raus aus den vier Wänden“ passt eigentlich ganz gut zu dem, was wir Christen in unseren Gottesdiensten an Pfingsten feiern. 50 Tage nach Ostern verlassen die Jünger Jesu ihre vier Wände und werden zu mutigen Zeugen des Glaubens.

Nach all dem, was sie erlebt hatten, war das alles andere als selbstverständlich. Der Schrecken des Karfreitags saß noch immer tief in ihren Gliedern. Es war ein Schrecken, der Menschen dann überfällt, wenn sie vor dem Unbegreiflichen wie vor einem Abgrund stehen. Wie einen Verbrecher hatte man Jesus hingerichtet – und für sie war damit eine Welt zusammengebrochen. Aus der Traum! Aus war es mit vielen Wundern und Zeichen! Bis, ja bis dann die Frauen am Ostermorgen mit der Nachricht vom leeren Grab für Furore sorgten. Er lebt! Er ist auferstanden! Sicherlich: Einige konnten es nicht sofort glauben, aber nach und nach wurden ihnen vom Auferstandenen selbst die Zweifel genommen, indem er sich ihnen zu erkennen gab. Aber die Öffentlichkeit scheuten sie weiterhin – aus Angst, es könnte ihnen ähnlich ergehen wie Jesus selbst. Doch das änderte sich mit einem Schlag. Furcht und Resignation waren auf einmal wie weggeblasen und das kleine, eben noch so verängstigte Häuflein traut sich urplötzlich etwas zu, wird buchstäblich „Feuer und Flamme“ für die Sache Jesu.

Was war passiert? Keiner weiß es so richtig zu sagen. Deshalb müssen Bilder herhalten, um denen, die nicht dabei waren, wenigstens ein klein wenig einen Eindruck davon zu vermitteln. So wird erzählt, dass an jenem Pfingsttag in Jerusalem ein plötzliches „Brausen“ entsteht, wie wenn ein „heftiger Sturm daherfährt“; „Zungen wie von Feuer“ erscheinen, die sich dann verteilen und auf jeden Einzelnen niederlassen. Auf einmal beginnen die Menschen in Sprachen zu reden, die sie vorher nicht kannten, und alle, die dabei waren, geraten darüber außer sich vor Staunen.

Seit diesem Ereignis sind Sturmesbrausen und Feuerzungen Bilder für den Geist Gottes. Denn es heißt ja in der Erzählung, dass der Geist Gottes über das Haus kam, in dem sie waren. Sie, das waren die Jünger Jesu, seine Mutter und die Frauen, die Jesus begleitet hatten. Sie – und all die vielen Menschen aus aller Herren Länder, die sich an diesem Tag in Jerusalem aufhielten, um das jüdische Erntedankfest zu feiern, wurden von den Ereignissen regelrecht überrascht. Gottes Geist sorgt also dafür, dass die Botschaft Jesu ihren Weg zu den Menschen findet. Die Jüngerinnen und Jünger Jesu reißen die Türen auf, predigen nicht über die Köpfe der Menschen hinweg, sondern in deren Ohren und Herzen hinein. Die Menschen fühlen sich verstanden, fühlen sich angesprochen in ihrer je eigenen Sprache, in ihren je eigenen Gedanken und Empfindungen. So springt der berühmte Funken über, und die kleine Christengemeinde beginnt, ihren Glauben in die Welt zu tragen – Kirche entsteht.

Und heute? Wo ist da – mal abgesehen von Weltjugendtagen oder anderen kirchlichen Eventveranstaltungen – der Schwung von damals geblieben? Ist er auf dem Marsch durch die Jahrhunderte verloren gegangen? Bei vielen Zeit­genossen bringt die Kirche heute doch keinen Fuß mehr zwischen die Tür. Um den Heiligen Geist ist es still geworden, ganz so, als hätte er sich heimlich, still und leise davongemacht. Und warum? Weil ihm die Kirche heutzutage diese Windstärke von damals nicht mehr zutraut? Weil sie meint, das Heft selbst in die Hand nehmen zu müssen? Manchmal werde ich das Gefühl nicht los, als regierte zu sehr die Angst, der Geist Gottes könnte unbändig werden und den gewohnten Gang der Geschichte zu sehr stören.

Mit dem Heiligen Geist ist es eben wie mit dem Wind. „Er bläst, wo er will; du hörst sein Brausen, aber du weißt eben nicht, woher er kommt und wohin er geht“, heißt es über ihn im Johannes-Evangelium. Das kann aber in der Tat dort beunruhigend sein, wo wir lieber geordnete Strukturen und Verhältnisse haben. Das war in Jerusalem kein Haar anders. Da passten die Schubladen ja auch nicht mehr, die Menschen vorher angefertigt hatten. Dabei muss uns doch klar sein: Pfingsten heißt und meint, die Angst zu überwinden, die einen hinter sichere Mauern treibt. Dazu gehört für mich heute zur Vorstellung von Kirche ganz wesentlich, dass wir uns der Situation nüchtern stellen, dass wir offen sind für die Sorgen und Nöte der Menschen von heute, auch für ihre Fragen und Zweifel und auch für ihre manchmal vielleicht unausgegorenen Ideen, ihre Begeisterungsfähigkeit und ihre Ideale. Wir müssen offen sein für kritische Leute, sogenannte Querdenker, die das Althergebrachte infrage stellen und uns vor Betriebsblindheit bewahren. 

Die Pfingstgeschichte ist eine Mutgeschichte – auch für die Kirche von heute. Und Pfingsten ist ein unberechenbares Fest, wenn wir es ernst nehmen. Denn der Geist von Pfingsten lässt sich nicht am Gängelband führen, und er braucht auch keinen Platzanweiser. Ich glaube aber fest daran, dass dort, wo dieser Geist Gottes lebendig wird, die Menschen einen solchen Rückenwind bekommen, dass sie sich Dinge zutrauen, von denen sie vorher nicht zu träumen wagten.

In diesem Sinne, ein uns alle bewegendes und veränderndes Pfingstfest.

Ihr

Bertram Bolz, Diakon

Kath. Touristen- und

Residentenseelsorger

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