Debatte zur Lage der Nation
Bei der Debatte zur Lage der Nation, die in der letzten Februar-Woche im Abgeordneten-Kongress die Gemüter erregte, konzentrierte sich Präsident Mariano Rajoy bei seinem Rechenschaftsbericht vorwiegend auf wirtschaftliche Themen. Nachdem die Gefahr, unter den EU-Rettungsschirm schlüpfen zu müssen, wohl endgültig gebannt ist, strotzt der Regierungschef vor Selbstbewusstsein.
Madrid – Er scheint davon überzeugt, dass seine Reformpolitik Früchte trägt. Er kündigte Stimulierungsmaßnahmen für den Arbeitsmarkt an, wie beispielsweise eine „Flatrate“ in Höhe von 100 Euro Sozialversicherung monatlich für neue feste Arbeitsverträge von mindestens drei Jahren Dauer, was einer Vergünstigung von 76 Prozent entspricht. Ebenso versprach er Einkommensteuer-Senkungen für niedrige Einkommen. Arbeitnehmer mit Bezügen unter 12.000 Euro jährlich sollen zukünftig von der Lohnsteuer befreit sei. Bislang liegt die Grenze bei 11.162 Euro. Die durchschnittliche Steuerersparnis wird mit 260 Euro jährlich angegeben und betrifft 1,5 Millionen Lohn- und Gehaltsempfänger. Themen wie die illegale Einwanderung oder die geplante Reform des Abtreibungsgesetzes umging er sozusagen auf Zehenspitzen.
In welchem Lande leben Sie?
Oppositionsführer Alfredo Pérez Rubalcaba versuchte es in seinen drei Interventionen im Rahmen der Debatte zur Lage der Nation, doch jedes Mal schwieg der Präsident zu dessen Forderungen und Fragen. So hatte der Chef der Sozialisten verlangt, den Gesetzentwurf zur Reform des Abtreibungsgesetzes zurückzuziehen, ohne darauf eine Antwort zu erhalten. Ebenso erging es ihm mit Fragen über Kürzungen von Sozialleistungen der Regierung. Er warf dem Präsidenten vor, dem Parlament eine falsche Realität Spaniens zu präsentieren. „In welchem Land leben Sie eigentlich“? fragte er ihn. Er forderte eine Erklärung für den Tod von 15 Immigranten an der Grenze zu Ceuta, die unter bislang ungeklärten Umständen uns Leben gekommen sind. „Wenn die PSOE wieder an der Regierung ist, werden wir die Rechte, die während des Mandats der Partido Popular verloren gegangen sind, wiedererlangen“, versicherte der Oppositionsführer.
Regieren für die Elite
Während Rubalcaba versuchte, den Jubel des Präsidenten über den Aufschwung zu demontieren, ging Cayo Lara von der Vereinigten Linken IU noch einen Schritt weiter. Er verlangte von allen oppositionellen Gruppen einen Einspruch gegen sämtliche Entscheidungen, die von der Regierung verabschiedet worden sind, von der Wirtschaft bis zur Korruption. Er beschuldigte die Regierung offen und ohne Umschweife, die Bürger vergessen zu haben und nur für die wirtschaftliche Elite zu regieren. Er forderte den Rücktritt des Präsidenten, der ein desaströses Regierungsprogramm verfolge. Das reale Spanien ist nach den Worten von Cayo Lara ein Land mit sechs Millionen Arbeitslosen. Mit mehr als drei Millionen Personen, die keinerlei Unterstützung mehr erhalten und einem skandalösen Anstieg der Zwangsräumungen.
Der Einzige, der nichts bemerkt
Rosa Díez von der UPyD – Union Progreso y Democracia – eine der politischen Gruppen, welche das Zwei-Parteien-System bei den bevorstehenden Europawahlen durchbrechen wollen, legte ebenfalls den Finger in die Wunde. Sie bemühte sich nach Kräften, die Glaubwürdigkeit der Regierung nach zwei Jahren Regierungszeit infrage zu stellen. „Sie sind nicht mehr glaubwürdig“, rief sie Mariano Rajoy zu. „Vor den Wahlen versprachen Sie, die Steuern zu senken, und schon nach einer Woche wurden diese erhöht. Ihre lächerliche Erklärung: Sie hätten ein Defizit vorgefunden, das nicht sechs sondern neun Prozent betragen habe. Sie hatten niemals die Absicht, die Steuern zu senken, Sie haben die Bürger mit falschen Versprechungen getäuscht. Sie sind der Einzige, der nicht bemerkt, was in Spanien wirklich los ist. 2,8 Millionen Kinder leben an der Armutsgrenze und sind von der sozialen Ausgrenzung bedroht. Sie haben in Ihrer Rede nicht ein einziges Wort darüber verloren.“
27 zu 25 für den Oppositionsführer
Alfredo Pérez Rubalcaba konnte in der Debatte zur Lage der Nation mehr überzeugen als der Regierungschef. Das hat eine Blitzumfrage des Meinungsforschungs-Instituts Metroscopia ergeben, die im Auftrag der Zeitung El País durchgeführt wurde. Allerdings war der Sieg des Oppositionsführers mit 27 zu 25 minimal. 27 % der Befragten hielten Rubalcaba für überzeugender, für 25 % war Rajoy der Bessere. Jedenfalls erzielte der Sozialistenführer ein weitaus besseres Resultat als bei der Debatte des vergangenen Jahres, als Rajoy mit 27 zu 8 Punkten gewann, als die Wirtschaftslage im Lande noch wesentlich schwieriger war.
Rubalcaba erhielt besonders bei den Frauen und den jungen Menschen mehr Unterstützung als Rajoy.
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