Puigdemont stellt sich der belgischen Polizei


Die Richterin am Nationalen Strafgericht Carmen Lamela hat die Verhaftung von Carles Puigdemont, Ex-Regionalpräsident Katalonien, sowie der ebenfalls nach Brüssel gereisten Mitglieder seines ehemaligen Kabinetts Antoni Comin (Gesundheit), Lluís Puig (Kultur), Meritxell Serret (Landwirtschaft) und Clara Ponsatí (Bildung) angeordnet. Lamela wirft ihnen Rebellion, Aufruhr und Veruntreuung vor. Foto: EFE

Um das Schauspiel seiner Verhaftung zu verhindern, stellte der abgesetzte katalanische Präsident sich selbst

Brüssel – Fünf Mitglieder der katalanischen Regierung, unter ihnen ihr Präsident Carles Puigdemont, die von der Regierung Rajoy abgelöst worden waren und sich nach Brüssel abgesetzt hatten, haben sich dort am Sonntagmorgen der Polizei gestellt. Das hat die Staatsanwaltschaft des Landes mitgeteilt. Nach Vernehmungen, die den gesamten Sonntag andauerten, ließ der zuständige Richter noch am späten Abend des gleichen Tages mitteilen, dass Puigdemont und seine vier Ex-Regierungsmitglieder weiterhin auf freiem Fuß bleiben dürfen. Sie können jedoch das Land nicht verlassen, müssen ihren Aufenthaltsort bekannt geben und den belgischen Justizbehörden jederzeit zur Verfügung stehen. Das Gericht muss sie innerhalb von 15 Tagen erneut vorladen und befragen. Die Spaziergänge durch die Stadt, Pressekonferenzen, Flucht vor den Medien per Taxi und heimlich in Cafés aufgenommene Fotos sind damit der rauen Realität gewichen.

Die spanische Justiz hatte drei Tage zuvor per Europäischen Haftbefehl nach ihnen suchen lassen, nachdem sie einer entsprechenden Vorlandung nicht Folge geleistet hatten.

Neben Puigdemont handelt es sich nach den Angaben der Brüsseler Staatsanwaltschaft um vier Ex-Minister seiner Regierung, die sich gemeinsam mit ihm nach Belgien abgesetzt hatten. Bekanntlich hatte die spanische Regierung aufgrund der Unabhängigkeitserklärung die Regionalregierung entmachtet und die Verwaltung selbst übernommen. Die Justiz Spaniens wirft dem Ex-Präsidenten Kataloniens wegen der Ereignisse im Rahmen der Unabhängigkeitserklärung Rebellion, Aufruhr und die Veruntreuung öffentlicher Gelder vor. Dafür erwartet ihn in Spanien eine langjährige Gefängnisstrafe.

In Madrid sitzen derweil der katalanische Ex-Vizepräsident Oriol Junqueras sowie die ehemaligen katalanischen Minister Josep Rull (Territorium), Joaquim Form (Inneres), Dolors Bassa (Arbeit), Carles Mundó (Justiz), Jordi Turull (Präsidentschaft), Raül Romeva (Internationale Angelegenheiten), Mertixell Borràs (Regierung) ein. Santi Vila (Privatwirtschaft) wurde gegen eine Kaution von 50.000 Euro freigelassen. Foto: EFE

Das weitere gerichtliche Vorgehen könnte sich jedoch noch über Wochen hinziehen. Im Falle, dass der Haftbefehl aufrechterhalten wird, hat das Gericht noch weitere 15 Tage Zeit, um über die Abschiebung bzw. Auslieferung zu entscheiden.

Der belgische Rechtsanwalt, den Puigdemont inzwischen verpflichtet hat, sprach sich bereits vor mehreren Tagen dafür aus, dass sein Mandant außerhalb Spaniens befragt wird, beispielsweise per Videokonferenz. Sein Mandant werde keinesfalls nach Spanien reisen, hatte Paul Bekaert versichert. „Ich habe ihm empfohlen, dass er hier in Belgien befragt wird, das ist möglich“, hatte er wörtlich erklärt.

Puigdemonsts Anwalt Paul Bekaert hat bereits vor Jahren die Auslieferung vermeintlicher ETA-Terroristen nach Spanien verhindert. Dem Menschenrechtsanwalt soll es dabei mehr um den Machtmissbrauch der Regierenden als um den Separatismus gehen. Foto: EFE

Puigdemont hat seinerseits versichert, er suche keinesfalls politisches Asyl in Belgien, und er wolle sich auch nicht vor der spanischen Justiz verstecken. Vielmehr wolle er in der Hauptstadt Europas weiter für die Unabhängigkeit Kataloniens kämpfen und nur nach Spanien zurückkehren, wenn ihm dort ein faires Verfahren garantiert werde.

Er hat sich gestellt, aber gibt nicht auf

Carles Puigdemont in einem Raum der belgischen Staatsanwaltschaft, der er sich am 5. November stellte. Foto: EFE

Wie bereits erwähnt, kann sich das Auslieferungsverfahren noch lange hinziehen. Vielleicht ist es erst nach den Neuwahlen für das katalanische Regionalparlament entschieden, die für den 21. Dezember festgelegt wurden. Sollte das Gericht eine Auslieferung beschließen, würde der Anwalt von Puigdemont Berufung einlegen. Entsprechend wäre eine Überstellung nach Spanien aller­frühestens in sechzig Tagen möglich. Würde der Kassationshof eingeschaltet, könnte es noch länger dauern. In der Zwischenzeit will sich der katalanische Ex-Präsident weiterhin politisch betätigen. Aus Brüssel hat er wissen lassen, dass er zur Verfügung stehe, um als Spitzenkandidat anzutreten, auch wenn das aus der Untersuchungshaft geschehen müsse. Bekanntlich stehe seiner Kandidatur und die der anderen ehemaligen Regierungsmitglieder nichts im Weg, solange sie nicht rechtskräftig verurteilt sind.

Seine Partei, die PdeCAT, hat inzwischen zugestimmt, den abgesetzten Regionalpräsidenten erneut als ihren Spitzenkandidaten aufzustellen. Von Brüssel aus hatte er alle Unterstützer der Unabhängigkeitsbewegung aufgefordert, eine gemeinsame Liste aufzustellen. Doch sind gewisse Bündnisse, die zuvor bestanden haben, äußerst fraglich. Die Führer der ERC tendieren offenbar zu einer eigenen Kandidatur. Gemäß einer aktuellen Umfrage, die von einer großen Zeitung in Auftrag gegeben wurde, könnte ERC mit 30 Prozent der Stimmen als stärkste Kraft aus den Wahlen hervorgehen, während die Partei Puigdemonts nur auf zehn Prozent und damit auf den vierten Platz kommen würde.

Beliebtester Politiker

Trotz aller Skandale der vergangenen Wochen und seiner Flucht nach Belgien ist gemäß der Umfrage Carles Puigdemont der beliebteste katalanische Politiker. Seit er 2016 seinen Posten angetreten hat, kämpfte er darum, Katalonien unabhängig von Spanien zu machen – aus Überzeugung, wie er immer wieder betonte. Unermüdlich hat er versucht, Unterstützung dafür auch international zu erhalten, insbesondere von der Europäischen Union, doch er blieb erfolglos. Der 54-jährige Journalist, Zweiter von acht Geschwistern, ist mit einer Rumänin verheiratet und spricht vier Sprachen.

Albtraum für die belgische Regierung

Puigdemont, der Flüchtling in Belgien, destabilisiert nicht nur Katalonien, sondern bereitet auch der belgischen Regierung Kopfzerbrechen. Die Flucht des Ex-Präsidenten hat die Pläne der an der Unabhängigkeitsbewegung beteiligten Parteien durcheinandergebracht und die Gefahr einer diplomatischen Krise heraufbeschworen. Der Politiker, der noch vor einer Woche einschließlich für seine Partei ein „mundtot gemachter Chef“ war, hält erneut die katalanische und spanische Politik in der Schwebe. Durch seine Flucht nach Brüssel wurde der Ex-Präsident zu einem Destabilisierungs-Faktor für Parteien und Institutionen, einschließlich internationaler. Aus seinem selbstgewählten Exil benutzt er sämtliche Mittel, um die Justizvorgänge auszubremsen.

Die bekannte belgische Zeitung „Le Soir“ hat in ihrer Ausgabe vom vergangenen Samstag Puigdemont als Albtraum der belgischen Regierung bezeichnet. Die Flucht des Ex-Präsidenten ist eine der am schwierigsten zu erklärenden Entschei­­dun­gen der katalanischen Politik seit der Demokratisierung Spaniens. Und zwar nicht nur wegen der Motive, sondern auch wegen der Konsequenzen für seine eigene Partei, der PDeCAT.

Bis zu seiner Flucht am 31, Oktober hatte man sich bei der früheren Convergéncia damit abgefunden, dass die am 27. Oktober durch das Regionalparlament beschlossene Unabhängigkeitserklärung gescheitert sei. Man wollte einen Einspruch einlegen. Der Plan war, den Unabhängigkeitsprozess, der bereits in den Händen der Justiz war, beiseitezulassen und ein neues legales Projekt unter Ausschluss der radikalen Organisation CUP zu entwickeln. Mit allen erforderlichen Abstrichen wollte PDeCAT neue Pakte schließen und nach dem baskischen Modell von Iñigo Urkullu vorgehen, bis ein neuer Kandidat zur Verfügung stand, um diese komplizierten politischen Verhandlungen aufzunehmen. Der Fokus lag auf Santi Vila, dem Mitglied des katalanischen Kabinetts, der im letzten Moment das sprichwörtliche sinkende Schiff verlassen hatte, bevor es an der unilateralen Unabhängigkeitserklärung des Regionalparlaments zerschellte.

Alles hat sich geändert, als die Flucht von Puigdemont nach Brüssel durch die sozialen Medien verbreitet wurde. Die Nachricht überraschte den Parteivorstand der PDeCAT bei einer Sitzung. Ihr Präsident, Artur Mas, musste die Nachricht erklären, die auf den Handys der Vorstandsmitglieder erschien. Er habe erfahren, dass sich einige der ehemaligen Mitglieder der Regierung entschieden hätten, gemeinsam nach Brüssel zu reisen. Es sei jedoch die freie Entscheidung jedes Einzelnen gewesen.

Umstrittene Regierungsentscheidungen

Die Maßnahmen und Entscheidungen der spanischen Regierung im Zusammenhang mit der Katalonienkrise werden nicht nur innerhalb des Landes kritisiert, sondern sind auch im Ausland nicht unumtritten.

Zahlreiche belgische Politiker, unter ihnen der Chef der liberalen Gruppe im Europaparlament, Guy Verhofstadt, haben die Entscheidungen der spanischen Regierung angezweifelt. „Wir müssen uns die Frage stellen, ob die Verhaftung der katalanischen Regierungsmitglieder nicht stark überzogen ist. Gibt es keine andere Möglichkeit, zu garantieren, dass die Separatistenführer einen gerechten Prozess erhalten?“

Ganz allgemein wurde die Debatte über Spanien zu einem wichtigen Thema in der Agenda der belgischen Regierung – eine fragile Koalition. Der belgische Innenminister Jan Jambon ist nicht der Einzige, der sich kritisch geäußert hat. Der ehemalige Premier und belgische Sozialistenführer, Elio de Rupo, verglich auf seinem Twitter-Account den spanischen Präsidenten Mariano Rajoy mit dem Diktator Francisco Franco. „Puigdemont hat sein Amt missbraucht, doch Rajoy hat sich wie ein autoritärer Franquist verhalten. Wir müssen einen Weg für ein liberaleres Spanien finden“. Der spanische Europa-Abgeordnete Esteban González Pons hat von Di Rupo eine Entschuldigung verlangt. „Die Aktionen Rajoys sind legal und werden von Ihren sozialistischen Genossen von der PSOE unterstützt“, lautete sein Kommentar.

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