Reich Gottes – hier und heute


Gedanken für mich ­– Augenblicke für Gott

Es liegt jetzt nun schon ein paar Wochen zurück, aber dieser Tage ging mir wieder mal durch den Kopf, wie jemand nach einer Predigt zu mir sagte: „Das ist doch ein ziemlich ungemütlicher Gedanke, dass wir Christen immer wie auf gepackten Koffern sitzen, weil diese Welt nicht unsere Heimat ist. Eigentlich ist es nicht das, wie ich leben möchte oder wie ich mir Leben vorstelle.“

Es hat nun in meinen Augen wenig Sinn, die neue Welt Gottes durch die Herabsetzung unserer Welt attraktiver machen zu wollen. Gerade in Gesprächskreisen fundamentalistischer Gruppen oder auch Sekten ist ja genau diese jenseitssüchtige Haltung immer wieder zu vernehmen. Dabei ist der Satz: „Das Reich Gottes ist nahe!“, für mich sehr zweideutig zu verstehen. Er kann einmal zeitlich verstanden werden nach dem Motto: Morgen bricht das Reich Gottes an oder auch übermorgen. Und er kann räumlich verstanden werden. Lassen Sie mich das mit dem Begriff „hautnah“ erklären. Hautnah ist ja ein Gefühl, welches uns allen nicht fremd ist. Und wenn Jesus nun das Reich Gottes verkündet, dann glaube ich, dass er diese Nähe, diese Unmittelbarkeit meint, die wir mit „hautnah“ zum Ausdruck bringen.

Jesus hat das Reich seines Vaters nicht auf den Sankt- Nimmerleins-Tag geschoben. Vielmehr war durch ihn das Neue, das Herausfordernde hautnah spürbar und greifbar geworden. Z.B. wie er Kinder in seine Arme nahm. Wie er die Augen des Blinden berührte oder dem Lahmen auf die Beine half. Wie er den toten Sohn einer Witwe berührte – all das bezeugt den Menschen die Nähe des Reiches Gottes – und zwar hautnah. Doch damit nicht genug. Es gab noch viel mehr Situationen und Begegnungen, die dieses „hautnah“ unterstreichen: Wie Jesus sich z.B. von der Frau berühren ließ, die an ständigen Blutungen litt. Wie er die Zärtlichkeiten einer stadtbekannten Prostituierten annahm oder wie sich Johannes beim Abendmahl zutraulich an seine Seite legen konnte. Wie Maria von Magdala seine Füße zärtlich umklammerte oder Thomas seine Wunden berühren sollte – so aber kann doch das Reich Gottes gar nicht mehr näher kommen, als in der Gestalt Jesu selbst.

Genau deshalb ist das aber auch die neue Zeit, von der Jesus spricht. Sie ist kein Traum und keine Vision, sie steht nicht vor der Türe, sondern diese Zeit hat sich mit ihm, mit seinem Kommen in diese Welt erfüllt. Wir brauchen weder den Kalender zu befragen, noch müssen wir Uhren vergleichen: Das Reich Gottes ist da. Wir werden an sein Wort erinnert, das uns der Evangelist Lukas überliefert hat: „Ich sage euch: Viele Propheten und Könige wollten sehen, was ihr seht, und haben es nicht gesehen, und wollten hören, was ihr hört, und haben es nicht gehört.“ (Lk 10,24) Allerdings kommt es jetzt darauf an, was wir aus dem Reich Gottes unter uns machen. Ob wir wirklich berührt sind und wir uns so von dieser frohen Botschaft bewegen lassen, dass unser Leben – nicht nur in der Fastenzeit – eine andere Spur bekommt.

Die Vorstellung von Fundamentalisten, gleich welcher konfessionellen Prägung oder Religion, ist es doch, dass das Eingreifen Gottes die Menschen überrascht und sie dann zu etwas zwingt. Genau das ist aber nicht die Art Jesu. Das Kommen des Reiches Gottes mit ihm, das ist eher sanft: wie Nebel, der in der Morgensonne aufsteigt oder eine Knospe, die sich zu einer Rose öffnet.

Oder wie Hilde Domin einmal über unsere Haltung gegenüber dem Reich Gottes gesagt hat: „Nicht müde werden, sondern dem Wunder leise wie einem Vogel die Hand hinhalten.“ Michelangelo hat genau diese Empfindung in einer überaus eindrucksvollen Szene in der Sixtinischen Kapelle zum Ausdruck gebracht. Gott berührt Adam mit dem Zeigefinger sanft, geradezu zärtlich, und der erste Mensch empfängt das Leben. So sanft hat sich das Reich Gottes etabliert. Kein Wunder aber, dass es so übersehen werden konnte. Kein Wunder, dass der Sohn Gottes selbst kommen musste, um unsere Sinne für das Wunderbare unter uns zu öffnen und zu schärfen.

Wenn uns das Evangelium, wenn uns die Worte und Taten Jesu, die die Nähe des Reiches Gottes offenbaren, unter die Haut gehen, dann erleben wir eine Verwandlung. Dann sind wir zutiefst angerührt und sind voll Freude. Denn das Reich Gottes ist Hier und Heute und im Jetzt. Doch was wir oft daraus machen, das kann uns ein anderes Bild deutlich vor Augen führen: Ein junger Mann hat seine Freundin im Arm und möchte sie küssen. In diesem zärtlichen Augenblick fragt sie: „Und wann treffen wir uns das nächste Mal?“ Die törichte Frage zerstört den wunderbaren Augenblick und das Wunder ist weg. Wer den Eintritt ins Reich Gottes ständig nur vor sich herschiebt, der hat es schlussendlich verloren. Wenn wir aber im Jetzt leben, wenn wir darauf achten, was heute getan werden kann – für uns selbst und die Menschen um uns -, dann spüren wir auch den alles entscheidenden Kuss des Reiches Gottes, der uns anrührt und nicht mehr loslässt.

Ihr

Bertram Bolz, Diakon

Kath. Touristen- und

Residentenseelsorger

Diesen und frühere Artikel können Sie nachlesen unter: www.katholische-gemeinde-teneriffa.de oder bei www.wochenblatt.es

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