Richtiges Gesangbuch


Gedanken für mich – Augenblicke für Gott

Gottesdienstbesucher von San Telmo haben es schon öfters miterlebt, wie Ehepaare auf 40, 50 oder mehr gemeinsame Ehejahre zurückschauen dürfen. Bei den vielen Gesprächen mit Jubelpaaren im Vorfeld einer Segnung anlässlich ihres Ehejubiläums, ist mir doch eines ganz bewusst in Erinnerung geblieben.

Da hat die Frau nämlich folgendes erzählt: „Als ich damals – also vor 50 Jahren – zu meinem Vater gegangen bin und ihm gesagt habe, dass ich einen Freund habe und diesen auch heiraten möchte, da wollte er als erstes nicht den Namen dieses Jungen wissen und wo er her kommt, sondern er hat nur gefragt: Hat er auch das richtige Gesangbuch?“

Hatte er leider nicht. Sie aus streng katholischem Elternhause und er? Ein Protes­tant!! Darüber ist es damals bei diesem Par fast zu einem solch gravierenden Familienkrach gekommen, dass die Hochzeit der beiden wirklich auf des sprichwörtlichen „Messer’s Schneide“ stand. Schlussendlich war aber die Liebe der beiden so stark und die Halsstarrigkeit der Eltern nicht so groß, dass sie doch noch mit dem Segen sowohl ihrer als auch seiner Eltern heiraten konnten. Ein Erlebnis, welches man heute fast süffisant belächelt, das aber damals für viele Paare ein immenses Hindernis war. Und wenn man in die Geschichte so mancher Dorf- oder auch kleineren Stadtgemeinde schaut, da hört und liest man allenthalben die reinsten Schauermärchen. Der Ort geteilt in einen evangelischen und einen katholischen Teil. Und wehe, jemand ist dabei in die falsche Dorfhälfte geraten. Da konnte es leicht passieren, dass er von der anderen Konfession eine heftige Prügelstrafe kassierte.

Im Schulhaus wurden die Kinder in solchen Gemeinden oft in verschiedenen Stockwerken unterrichtet, und weil es in den Pausen immer wieder zu Prügeleien kam, hat man dann irgendwann unterschiedliche Pausenzeiten eingeführt. Manche Überlegungen in alten Pfarrchroniken berichten sogar davon, dass man ernsthaft in Betracht zog, getrennte Toiletten einzurichten, damit die Katholischen nicht auf evangelische Toiletten gehen müssen und umgekehrt.

Wer jetzt aber meint, dass das nur bei Kindern so gehandhabt wurde, der muss sich durch die Annalen mancher Gemeindechronik eines Besseren belehren lassen. Denn katholische Familien haben selbstverständlich nur bei katholischen Bäckern und Metzgern gekauft und die Evangelischen nur beim evangelischen. Am Karfreitag haben Katholiken die Wäsche gewaschen und sie wie selbstverständlich draußen aufgehängt und die evangelische Retourkutsche kam am Fronleichnamstag, wo demonstrativ im Garten gearbeitet oder mit dem Traktor Mist gefahren wurde. 

So war das damals – und es ist in vielen Fällen noch keine „Ewigkeit“, sondern nur Jahrzehnte her. Gut und Gott sei’s gedankt, haben sich die Zeiten geändert. Heute sehen wir evangelischen und katholischen Christen weit mehr das Gemeinsame als das Trennende. Wir beten zusammen, feiern miteinander Gottesdienste, halten regelmäßige Informationsgespräche miteinander ab und versuchen deutlich zu machen: Nicht die Frage nach dem richtigen Gesangbuch ist entscheidend, sondern dass wir an denselben Herrgott glauben – egal ob wir nun katholisch oder evangelisch sind.

Natürlich möchte ich an dieser Stelle nicht verhehlen, dass das Trennende noch immer schmerzt. Und es gibt nicht wenige, die ganz massiv darunter leiden, dass der Weg der beiden großen Kirchen (immer noch) getrennt ist. Nur: Wir können die Einheit nicht herbeizwingen. Was wir aber tun können ist, an der Basis für einen geschwisterlichen Umgang miteinander sorgen und dann dafür beten, dass zusammenkommt, was von Anfang an zusammen gehört hat. Lernen wir voneinander, dass der/die andere keine Konkurrenz, sondern vielmehr eine eigene Bereicherung und Ergänzung meines Glaubens ist. Und da habe ich persönlich dann nicht nur die Einheit von evangelischen und röm.-kath. Chris­ten im Blick, sondern „Einheit“ ist diesbezüglich für mich weiter gefasst. Sie hat auch die orthodoxen Kirchen in ihrer vielfältigen Ausformung im Blick, dann die anglikanischen Kirchengemeinschaften, die Gruppe der reformierten Kirche und nicht zuletzt die altkatholischen Christen. 

Wenn wir in diesen Tagen ganz besonders in unseren Kirchen an die Einheit der Christen denken, dann sollten wir darum beten, dass wir lernen uns in versöhnter Verschiedenheit anzunehmen. Denn nur so sind wir heute noch glaubwürdige Zeuginnen und Zeugen für eine Botschaft, die eigentlich nichts Trennendes kennt, sondern getragen ist von Gottes Geist und seiner Liebe zu den Menschen.

Bertram Bolz, Diakon

Kath. Touristen- und

Residentenseelsorger

Diesen und frühere Artikel können Sie nachlesen unter: www.katholische-gemeinde-teneriffa.de oder www.wochenblatt.es

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