Seseña – die Hauptstadt des Immobilienfiaskos


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Der urbanistische Stillstand machte aus dem Traum des Promoters eine Geisterstadt

Ständig ist von der spanischen Immobilienblase die Rede, die Quelle allen wirtschaftlichen Übels. In den Zeitungen wird von Familien berichtet, die ihre Wohnungen verlassen müssen, weil sie ihre Hypotheken nicht mehr bedienen können.

Seseña – Es gibt aber auch eine ganze Reihe von Leuten, die auf den Zug der Immobilien-Spekulation aufgesprungen sind, um ein gutes Geschäft zu machen. Sie kauften mehrere Wohnungen, um sie mit Gewinn wieder zu verkaufen. Heute sitzen sie nicht nur auf der Immobilie sondern können auch die Kredite nicht mehr bedienen. Die Zeitung El País hat kürzlich diese Seite „der Blase“ beleuchtet.

Ein Netz von zusammengeklappten Baukränen schwebt über der Makro-Urbanisation von Francisco Hernando – genannt Paco el Pocero – in Seseña in der Nähe von Toledo. Hinter einem pompösen Eingang mit einem verbogenen Monument des Bauherrn und seinem Namen in goldenen Buchstaben, erscheint eine Geisterstadt. Die Rollladen Tausender Wohnungen sind geschlossen. Kaum sind Autos oder Passanten zu sehen, und wenn jemand über die Straße geht, hallt das Geräusch seiner Schritte wider.

Das Gespräch einer Frau per Mobiltelefon auf einem Balkon im vierten Stock eines der Wohnblocks klingt in der allgemeinen Stille geradezu skandalös. Auf den Straßen, die Namen bekannter Maler tragen, stehen Bänke, auf die sich niemand setzt, und die Verkehrschilder fordern vergeblich auf, die Vorfahrt zu beachten. Lediglich die Schilder mit der Aufschrift „se vende“ – zu verkaufen -, die an jeder Fassade hängen, sind ein Zeichen von Leben. Sie wurden jedoch nicht vom Promoter dort angebracht, sondern von seinen Käufern. Von einem Heer von Spekulanten aus Fleisch und Blut, seinen schärfsten Konkurrenten.

„Ich gehe auf 203.000 Euro runter, der Promoter verkauft es für 10 Millionen Peseten (60.240 €) mehr“, beschwört eine Stimme am Telefon den Anrufer, der sich nach den Konditionen erkundigt. „Ich verliere Geld dabei, vor drei Jahren hat es mich 10.000 Euro mehr gekostet, als ich jetzt verlange.“ –  „Es ist sehr dringend, ich habe große Eile, zu verkaufen“, gesteht die Stimme am anderen Ende des Telefons, nachdem der Mann, dem sie gehört, bereits nach einer Minute einen Preisnachlass von 6.000 Euro angeboten hat. Er verkauft eine Eigentumswohnung von 109 qm, in der er niemals wohnen wollte. „Ich hatte sie als Investition gekauft. Ich habe noch zwei Bungalows in Madrid. Dem Pocero habe ich 3.000 Euro angezahlt, dann drei Jahre lang monatlich einen Wechsel von 645 Euro. Jetzt will die Bank mir die Hypothek nicht gewähren, um die Restsumme zu zahlen. Sie sagen, ich hätte ja noch zwei weitere Häuser, und mit meinem Einkommen könnten sie dieses Risiko nicht eingehen.“

Pedro hat ebenfalls drei Wohnungen. Er selbst wohnt jedoch mit seiner Familie in der Nähe von Madrid. An den beiden Apartments in Seseña hat er das Schild „zu verkaufen oder zu vermieten“ aufgehängt. „Die Dachterrassenwohnung von 210 qm und eine Etagenwohnung von 160 qm haben wir für je 45 Millionen Peseten (271.080) gekauft. Jetzt verlangen wir 54 Millionen (325.300 €) dafür, denn der Promoter verlangt 55 Millionen Peseten (331.325 €). Alle haben wir geglaubt, das hier wäre das Geschäft des Jahrhunderts. Hier gibt es Leute, die zehn Einheiten gekauft haben. Meine Frau und ich glaubten, wir könnten damit die Zukunft unserer beiden Töchter sichern“, erklärt er.

Im Verkaufsbüro der Urbanisation sitzen vier Angestellte und warten auf Käufer. Es gebe keine Kaufinteressenten, versichern sie, wollten aber keine weiteren Auskünfte geben.

Es sieht sehr schlecht aus mit den Plänen von El Pocero, 13.500 Wohnungen in Seseña zu errichten und die Einwohnerzahl der Gemeinde zu versechsfachen. Für 3.536 Einheiten wurden ihm bereits die Bewohnbarkeits-Lizenzen erteilt, doch nur 750 Bewohner sind in der Makro-Urbanisation gemeldet.

Der größte Teil der Käufer, die dort eine Wohnung erworben haben, hatte nicht die Absicht, in ihr zu leben, sondern von ihr. Doch Investitionen in Wohnimmobilien sind längst nicht mehr das Geschäft des Jahrhunderts. Die Banken haben den Kredithahn zugedreht, die Vergabe von Hypotheken ist allein im letzten Jahr aufgrund der Krise um 25 % zurückgegangen. und ohne Kredit ist es einfach unmöglich, eine Wohnung zu erwerben. Das Misstrauen der Banken und die fehlende Liquidität haben die Nachfrage ausgebremst. Außerdem existiert ein enormes Überangebot auf dem Immobilienmarkt.

Es gibt Promoter in den Urlaubsgebieten an der Küste, die seit sieben Monaten kein einziges Apartement mehr verkauft haben, obwohl sie immer wieder die Preise senken.

2003, als El Pocero mit dem Bau der Urbanisation begann, war das Jahr der Spitzenpreise. Die stiegen gegenüber dem Vorjahr um sage und schreibe 18 %. „Jetzt wird er Jahre benötigen, um das zu verkaufen, was bislang fertiggestellt ist“, äußert ein Experte. „Und die 13.500 geplanten Einheiten zu bauen, wäre Selbstmord. Er hat am Bedarf vorbeigebaut, an der Zahl der vorhandenen Arbeitsplätze, den fehlenden Möglichkeiten für die Wasserversorgung, den mangelnden Verkehrsverbindungen. Seseña wurde für Investoren konzipiert und nicht, um dort zu leben“, unterstrich er immer wieder.

Einer der Bewohner der Urbanisation berichtet, dass er seine Eigentumswohnung (121 qm) für 40 Millionen Peseten erworben hat – etwa 240.400 Euro. In Madrid hätte er für diesen Preis niemals eine Wohnung bekommen. Allerdings muss er jeden Tag 50 km zu seiner Arbeitsstelle fahren. „Ich bin hier völlig eingeschlossen“, klagt seine Frau, „denn ich habe kein Auto. Hier kommt nur morgens ein Bus vorbei und dann erst am Nachmittag. Brot gibt es in der einzigen Bar in der Urbanisation. Und wenn man vergessen hat, Zucker zu kaufen, muss man 11 km bis zum nächsten Supermarkt fahren.“

Hernando El Pocero hat eine gültige Baulizenz für 5.096 Wohnungen, und die Verhältnisse müssten sich schon gewaltig ändern, wenn er für den Rest bis zu den 13.500 geplanten noch Lizenzen erhalten würde. „Wir erteilen keine Baugenehmigungen mehr, denn es fehlt an Infrastruktur und Wasser. Außerdem führen Hochspannungsleitungen über diese Zone und die müssten verlegt werden, und keine Gemeinde könnte eine derart große Steigerung der Einwohnerzahlen in so kurzer Zeit verkraften“, erklärte der Bürgermeister von Seseña, der als Erzfeind des Bauunternehmers gilt und den Hernando bereits in sechs Fällen verklagt hat.

Seseña ist ein Symbol für die urbanistischen Exzesse der letzten zehn Jahre – darüber sind sich alle einig.

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