Sieben Tote nach Wohnhauseinsturz


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Drei Tage lang suchten Rettungskräfte mit Hunden vergeblich nach Überlebenden

Am 14. April um 9.31 Uhr geschah in Los Cristianos das Unfassbare: Zwei Drittel eines vierstöckigen Wohnblocks stürzten von einer Minute auf die andere vollständig in sich zusammen. Kurz nach dem Einsturz konnten zwei Überlebende geborgen werden. Eine Frau aus dem Dachgeschoss hatte wie durch ein Wunder den Fall durch vier Stockwerke überstanden und konnte schwerverletzt aber lebend ins Krankenhaus gebracht werden.

Am 14. April um 9.31 Uhr ist in Los Cristianos ein vierstöckiges Wohnhaus eingestürzt. Es handelt sich um das Apartmenthaus „Julián José“ in der Calle Amalia Alayón 12, erbaut im Jahr 1972. Zwei Drittel des Gebäudes fielen einfach auf der ganzen Länge bis zur parallel verlaufenden Calle Valle Menéndez in sich zusammen. Ein kleinerer Teil neben den Treppenhaus- und Fahrstuhlschächten blieb stehen. Die Trümmer kamen größtenteils Sandwichartig dicht übereinander gepackt zu liegen, sodass die Hoffnung, Überlebende aus den Trümmern retten zu können, von Beginn an gedämpft war. Nur eine einzige Mauer ragte inmitten des Schutts noch auf. 

Im ersten Moment nach dem Einsturz war die ganze Straße voller Staub. Sogleich gingen mehrere Notrufe von Nachbarn und Passanten bei der Rettungsleitstelle ein. Als Feuerwehr, Krankenwagen und Polizei eintrafen, konnten sie zunächst eine 57-jährige Frau mit einer schweren Armverletzung und einen 28-jährigen Italiener, der minderschwer an der Schulter verletzt war, aus den Trümmern retten, versorgen und ins Krankenhaus bringen. Dann begann die Suche nach den Opfern. Es war eine lange Zeit des Hoffens und Bangens in der Ungewissheit, wer von den 28 Bewohnern des Gebäudes zum Zeitpunkt des Einsturzes im Haus war. 

Dies festzustellen wurde erschwert durch den Umstand, dass viele der Wohnungen Ausländern gehörten, von denen zunächst nicht bekannt war, ob sie sich überhaupt auf Teneriffa aufhielten. Die Polizei arbeitete deshalb mit mehreren Botschaften zusammen.  

Vier angrenzende Gebäude wurden präventiv evakuiert. Insgesamt 90 Personen mussten ihre Wohnungen für mehrere Tage verlassen. Sie kamen bei Familienangehörigen oder in den umliegenden Hotels unter. 

Das Kulturzentrum von Los Cristianos wurde zur Organisationszentrale, Informationsstelle und Aufenthaltsort für die Betroffenen und die Angehörigen der Vermissten. Ein Team von 35 Psychologen stand den Überlebenden und Hinterbliebenen zur Seite. 

Der spanische Verteidigungsminister Pedro de Morenés besuchte die Einsturzstelle und sprach mit den Einsatzleitern und verschiedenen Mitgliedern der Bergungsteams, die durch eine Einheit der militärischen Katastrophenhilfe unterstützt wurden. 

Im Verlauf von drei Tagen wurden sieben Tote aus dem Schutt geborgen. Erst nach einer Woche war die Identität aller Opfer eindeutig geklärt. Es handelt sich um Mariflor González (71) aus Asturien, Antonio Jesús García Beltrán (55) sowie eine 29-jährige Frau, beide aus Los Cristianos, die 41-jährige Marokkanerin Hanan Mrabet, die 77-jährige Graciela, deren Mann überlebte, weil er zu dieser Zeit eine Radtour machte, einen 41-jährigen Italiener sowie den 72-jährigen Finnen Markku Tapani. 

Die evakuierten Nachbarn konnten nach wenigen Tagen in ihre Häuser zurückkehren. Für die zehn Familien, die durch den Einsturz obdachlos geworden sind, wollen die Kanarenregierung und die Stadt Arona Wohnungen im selben Stadtteil finden, ein halbes Jahr lang die Miete voll übernehmen und helfen, die neue Einrichtung zu finanzieren. Noch mindestens ein weiteres halbes Jahr soll es einen Zuschuss zur Miete geben. 

Berichte der Hausbewohner

Der Schock saß noch tief. Und doch bekundeten etliche derjenigen, welche durch glückliche Fügung dem Einsturz ihres Heims lebendig und gesund entronnen waren, vor allem ihre Dankbarkeit. Viele sprachen davon, ein neues Leben geschenkt bekommen zu haben. 

Ánima Marrero, die Präsidentin der Eigentümergemeinschaft, hat mit ihren 73 Jahren alles verloren, ihre Wohnung, ihre Erinnerungen und ihr Geschäft, einen Blumenladen. Und doch ist sie vor allem froh, wie durch ein Wunder verschont geblieben zu sein. Sie war an diesem morgen unterwegs, um die Hunde auf ihrer Finca zu füttern, doch normalerweise wäre sie zum Zeitpunkt des Unglücks schon in ihrem Geschäft gewesen. Durch einen glücklichen Umstand verspätete sie sich und überlebte. Vierzig Jahre lang hat sie in der Wohnung Nummer 15 im zweiten Stock gelebt. 

Ein junger Marokkaner namens Saddik (26) entging dem Unglück, weil er nur eine Woche zuvor ausgezogen war. Die Mitarbeiter eines chinesischen Geschäfts hatten ebenfalls Glück, weil der Laden erst später am Tag hätte öffnen sollen. 

Coromoto Arvelo (57) liegt schwer verletzt im Krankenhaus. Sie lebte im obersten Stock und hatte gerade Kaffee für das Frühstück aufgesetzt, als ein erstes Krachen im Gebäude sie erschreckte. Sie schaute vom Balkon und sah nichts Ungewöhnliches. Doch zurück in der Wohnung, gab wenige Augenblicke später der Boden unter ihren Füßen nach. Sie fiel vier Stockwerke tief, blieb jedoch bei Bewusstsein und rief um Hilfe, sodass sie schnell geborgen werden konnte. 

Hicham Al-Achhab, 41 Jahre alt und Haustechniker im Hotel Mediterranean Palace, hat seine Frau Hanan bei dem Einsturz verloren. Sie hatte die beiden Kinder von 4 und 6 Jahren in die Schule gebracht und war dann nach Hause zurückgekehrt. Hicham Al-Achhab berichtet, am Fahrstuhlschacht habe es einen Riss gegeben, durch den man die Sonne hereinscheinen sehen konnte und dass in dem Geschäftslokal unter seiner Wohnung schon seit zwei Wochen gebaut wurde.

Trauer

Auf allen Inseln kam es während der Tage nach dem Einsturz immer wieder zu spontanen Solidaritäts- und Beileidsbekundungen. Rathäuser und Schulen hielten Schweigeminuten ab. Die Inselregierung ordnete drei Tage offizielle Trauer an. Ebenso verschiedene Gemeinden, wie die der Nachbarstadt Adeje. 

Ein Gruppe Motorradfahrer versammelte sich am zweiten Tag nach dem Unglück vor dem Kulturzentrum in Los Cristianos, um Anteilnahme zu bekunden und eine Gedenkminute abzuhalten, der sich Anwohner und Passanten anschlossen.

Ursachenforschung

Die Frage, wie ein massives Gebäude mit 24 Wohneinheiten urplötzlich wie ein Kartenhaus einstürzen konnte, ist noch ungeklärt. Vom ersten Moment an gab es verschiedene Gerüchte. Kurz nach dem Einsturz hieß es, die Anwohner hätten auf der Straße einen starken Gasgeruch wahrgenommen. Später wurde bekannt, dass in einer ehemaligen Bankfiliale im Erdgeschoss des Hauses Bauarbeiten durchgeführt wurden. Die Eigentümerpräsidentin Ánima Marrero berichtete gegenüber den Medien, dass ihr vor Kurzem an der Hauswand ein neu entstandener langer und tiefer Riss aufgefallen war. Sie habe deshalb an die Tür des Lokals geklopft und die Bauarbeiter darauf hingewiesen. Diese hätten gesagt, sie würden keine Veränderungen an den Wänden vornehmen.  

Schließlich berichteten weitere Bewohner, dass sich an dem Gebäude schon vor dreizehn Jahren die ersten Risse gebildet hätten. Andererseits existiert ein Gutachten über den Zustand des Gebäudes, welches dieEigentümergemeinschaft im Jahr 2004 anfertigen ließ. Die damalige Untersuchung ergab keine gravierenden Mängel. 

Die Polizei hat mittlerweile den Architekten, der das Umbauprojekt für die ehemaligen Bankfiliale erstellt hat, vernommen und auch die beiden Bauarbeiter befragt, welche dort gearbeitet haben. Die Bauma- schinen, die vor Ort im Einsatz waren, wurden beschlagnahmt. Es soll sich dabei um schweres Gerät handeln. 

Die Klärung der Ursachen  liegt nach Angaben des Stadtplanungsbeauftragten von Aro­na, Luis García, in den Händen der Justiz. Weiterhin erklärte er, dass die Stadt keine Baugenehmigungen für das Gebäude erteilt habe und auch keinerlei Informationen vorgelegen hätten, welche Zweifel an der strukturellen Unversehrtheit des Gebäudes nahelegten.

Konsequenzen

Experten fordern nicht erst seit dem Einsturz in Los Cristianos, die Gebäude aus den Siebziger- und Achtzigerjahren zu überprüfen, weil damals der Beton mit Sand von den Stränden angemischt worden sei, dessen Salzgehalt sich ungünstig auf die Haltbarkeit auswirke. Die hohe Luftfeuchtigkeit in Meeresnähe verkürze zusätzlich die Lebensdauer des Betons. 

Los Cristianos bzw. Arona gehört ohnehin zu den Städten, die per Gesetz verpflichtet sind, einen „Gebäude-TÜV“ (ITE) zu etablieren. Zu diesem Zweck wird ein Register aller Häuser über 50 Jahre erstellt. Dass diese Kontrollen nicht ausreichen werden, hat sich nun gezeigt, denn das Unglücksgebäude war nur 44 Jahre alt. 

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