Standort: Erste Etage, Arqueología, Área 1
Ob Scherben Glück bringen, lassen wir mal dahingestellt. Unbestreitbar haben sie aber schon manch einem Archäologen – Profi oder Laie – Glücksgefühle bereitet. Seit der Jungsteinzeit sind Keramikreste bis in die Gegenwart typische Begleiterscheinungen menschlicher Siedlungen. Über Jahrtausende waren Gegenstände aus gebranntem Ton eine kulturelle Konstante in einer sich fortschreitend ändernden Werkzeugwelt. Die Steinzeit wurde durch die Metallzeiten abgelöst, denen schließlich das Kunststoff-Zeitalter folgte. Keramik jedoch wird nach wie vor hergestellt, auch wenn sich Formen, Dekorationen und Bearbeitungsweisen ebenfalls veränderten. Das Keramikzeitalter begann mit der Jungsteinzeit und ist – ein Blick auf einen gedeckten Esstisch genügt – noch längst nicht beendet. Zerbrochenes – und manchmal auch intaktes – Geschirr kann Einblicke in die Lebenswelt früherer Kulturen geben. So wundert es nicht, dass in archäologischen Museen manche Vitrinen eher an Scherbenhaufen denn an wertvolles wissenschaftliches Material erinnern. Die Kultur der Guanchen hat uns allerdings nicht nur Keramikscherben, sondern ebenso zahlreiche weitgehend vollständige Gefäße hinterlassen. Gegenstände des täglichen Gebrauchs lassen Rückschlüsse auf den Alltag ihrer früheren Besitzer zu, auch wenn die genauen Fundumstände nicht überliefert sind.
Die meisten Tongefäße der Guanchen erscheinen schmucklos und lassen sich einigen wenigen Grundtypen zuordnen. Diese wiederum sind Hinweise auf eine mögliche Verwendung als Kochtöpfe, Vorratsgefäße oder Milchtöpfe. Krüge und Becher scheinen in der Welt der Guanchen nicht vorgekommen zu sein, flache Schüsseln hingegen schon. Wozu sie dienten, ist nicht überliefert und bleibt offen. Vor dem Brennen wurde die Oberfläche der Gefäße in der Regel geglättet, wobei Spuren der vorherigen Bearbeitung nicht vollständig getilgt wurden. Sie geben jedem Objekt seine eigene Note.
Es gibt jedoch auch vereinzelte Ausnahme-Gefäße. Sie wurden planmäßig mit abstrakten Ornamenten aus Linien und Punkten verziert. Vielleicht dienten sie besonderen Zwecken oder gehörten vornehmen Familien, vielleicht auch beides. Ungewöhnlich erscheint auf alle Fälle eine Schüssel, deren Boden zahlreiche, teilweise annähernd symmetrisch angeordnete Punkte bedecken. Gemeinsam formen sie ein Sonnensymbol: eine zentrale Sonnenscheibe, von der vier breite Strahlen ausgehen. Sie bilden kein Kreuz, vielmehr scheint es, als fehlte ein fünfter Strahl. Andererseits sind zahlreiche Sonnensymbole vierstrahlig, sodass hier möglicherweise auch die tradierte Abbildungsweise nur etwas missglückt sein könnte. Wie auch immer; das Symbol verweist auf die Gottheit Magec, den Sonnengott der Guanchen.
Bei genauerem Hinsehen entdecken wir zwischen den Tongefäßen einige wenige Gefäße aus Holz. Sie fallen nicht auf den ersten Blick auf, weil ihre Schöpfer sich an die bei Tongefäßen üblichen Formen hielten und diese in Holz kopierten. Mit Sicherheit überstieg der Herstellungsaufwand für ein Holzgefäß den eines ähnlichen Tongefäßes bei Weitem. Es gab ja nur Steinwerkzeuge, um den Holzblock zu bearbeiten. Der Grund liegt auf der Hand: Verglichen mit Tongefäßen sind Holzschüsseln nahezu unzerbrechlich und oftmals auch leichter – ein nicht zu unterschätzender Vorteil in einer Gesellschaft wandernder Hirten. In einem anderen Saal werden wir ein schönes Exemplar eines solchen Holzgefäßes entdecken, dessen Herkunft von den Guanchen gut belegt ist. Dort werden auch die verschiedenen wissenschaftlichen Betrachtungsmöglichkeiten eines solchen Objekts genau erläutert. Bei den Objekten in der Vitrine der Colección Confederación Atlántica im aktuellen Saal hingegen ist die Herkunft der Holzschüsseln ungeklärt. Es spricht für die wissenschaftliche Seriosität des Museums, auf diesen Umstand deutlich hinzuweisen. Zwar wurden die Gegenstände in einer kleinen Höhle gefunden, was typisch für einen Zusammenhang mit der Kultur der Guanchen ist, es gab aber keinerlei andere Hinweise auf eine Nutzung des Platzes durch die Ureinwohner, keine Scherben oder sonstigen Hinterlassenschaften. Eine saubere Einordnung setzt aber das Vorhandensein weiterer guanchischer Relikte voraus. Dass diese zweifellos vom Typus her zur Kultur der Ureinwohner passenden Gefäße aber auch von Hirten aus der Zeit nach der Eroberung der Insel stammen könnten, die solche Gefäße möglicherweise weiterhin herstellten – vermutlich unter Verwendung eiserner Messer –, kann nicht ausgeschlossen werden. In der Wissenschaft ist Vorsicht immer besser als schnelle Wunschergebnisse.
(Fortsetzung folgt. Nächstes Thema: Werkzeuge)
Michael von Levetzow
Tenerife on Top
Museo de la Naturaleza y del Hombre, C/ Fuente Morales, Santa Cruz.
Geöffnet: Di.-Sa. 9 – 20 Uhr; So., Mo. u. Feiertage 10 – 17 Uhr.
Freier Eintritt jeden Fr. u. Sa. 16.00 – 20.00 Uhr (falls Feiertag 13.00 – 17.00 Uhr)
Audioguides in deutscher Sprache gibt es an der Kasse.
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