Streifzüge: Sammlungen mit Wissenslücken


Standort: Erste Etage, Arqueología, Área 1

Die Ursprünge des archäologischen Inventars des Museums gehen auf mehrere private Sammlungen zurück. Vor allem in vornehmen Häusern boten sie seinerzeit den durchaus gelehrten, der Oberschicht angehörenden Besitzern Gelegenheit, Ungewöhnliches zu zeigen und darüber zu debattieren. Darin unterschieden sie sich nicht von ähnlichen Kollektionen in europäischen Schlössern. Als Wissenschaft war die Archäologie in diesen Epochen noch nicht geboren. Die Sammler entnahmen häufig den Fundstellen gezielt das, was sie als interessant ansahen. Weitere Stücke kauften sie gelegentlich anderen Findern ab. Eine Dokumentation der Fundorte und der Fundzusammenhänge fand nicht statt. Erst Mitte des vergangenen Jahrhunderts, als zahlreiche Fundstellen schon ausgeräumt und ihre Inventare nicht mehr bekannt waren, setzte die moderne wissenschaftliche Erforschung der Hinterlassen­-

schaften der Ureinwohner auf den Inseln ein. Sie musste sich seitdem von den überlieferten Bildern über deren Leben emanzipieren und stellte im Laufe der Zeit diese vermeintlichen Tatsachen zunächst infrage und dann auf den Kopf. Heute wissen wir einiges über den Haushalt der Guanchen, über ihre Nahrungsbeschaffung und Ernährung. Vieles, was die Überlieferung ausmalte, kann die Wissenschaft jedoch nicht bestätigen. Das Museum ist an zahlreichen archäologischen Forschungen beteiligt und beschränkt sich zwangsläufig in seiner Ausstellung auf den Stand der Wissenschaft.

Die Vitrinen in diesem Raum zeigen Funde aus dem Leben der Guanchen, also der Ureinwohner Teneriffas, und weisen zugleich auf die Herkunft der Exponate aus den privaten Kollektionen hin, die den Grundstock des früheren archäologischen Museums bildeten. Die Objekte der Sammlungen wurden dabei nicht nach Typen oder Sachgebieten zusammengefasst, was die ehemaligen Kollektionen zerrissen hätte, sondern bleiben in deren zufälligem Zusammenhang. Damit zeigt das Museum dezent auch einen Teil seiner eigenen Geschichte. Nicht zufällig finden wir daher sehr ähnliche Gegenstände in verschiedenen Vitrinen. Die schriftlichen Informationen dazu beschränken sich in der Regel auf die Bezeichnungen der verschiedenen Gebrauchsgegenstände; denn oft weiß man leider nicht mehr dazu. Die Stücke wurden von ihren Findern aus ihrem Zusammenhang gerissen und damit gleichzeitig möglicher archäologischer Auswertung weitgehend entzogen. Insofern haben sie viel von ihrem wissenschaftlichen Wert verloren, ein Schicksal, das sie weltweit mit Fundstücken in anderen Sammlungen und Museen teilen. Diese Ausstellung ist zugleich eine Mahnung und Bitte an Besucher, sich so korrekt zu verhalten wie jenes deutsche Urlauberpaar, das 2009 im Nationalpark zufällig in einer Felsspalte ein vollständiges Tongefäß entdeckte, das dort vor mehr als 500 Jahren deponiert worden war. Sie fassten nichts an, sondern meldeten den Fund unter Angabe des genauen Ortes den Behörden, die daraufhin eine wissenschaftliche Untersuchung der Fundstelle und die fachgerechte Bergung des Topfes einleiteten.

Dennoch ist es keineswegs so, als ließen diese Ausstellungsstücke nicht weitere Erkenntnisse zu. Keins der Gefäße besitzt beispielsweise einen ebenen Boden; alle Böden sind deutlich gewölbt und ungeeignet für jeden Küchenherd. Dort würden sie kippen. Guanchen bewohnten aber offene Felshöhlen oder niedrige Hütten mit unebenem, natürlichem Fußboden und offener Feuerstelle; keine guten Bedingungen für moderne Kochtöpfe. Gánigo nannten die Ureinwohner ihre Gefäße. Zwischen Steinen, im Sand oder in der Glut eines Feuers stehen sie gerade wegen ihres nach unten gewölbten Bodens stabil und sind darin jedem modernen Hochleistungstopf deutlich überlegen.

Kleinere Gánigos dienten wohl häufig zum Kochen und bekamen einen oder zwei nach oben gerichtete Griffe. Ab und zu enthalten diese in ihrer Mitte ein kleines Loch ohne Verbindung zum Inneren des Topfes. Nach oben gerichtete Griffe sind der Gluthitze des Kochfeuers weniger ausgesetzt; die Löcher sorgen für weitere Luftkühlung. Beim Kochen über der Glut des Feuers hätten sich waagerechte Griffe schneller und stärker erhitzt, wären also schlechter zu handhaben gewesen. Große Gefäße haben nie Griffe. Darin zu kochen, wäre schwierig gewesen. Vermutlich dienten sie in erster Linie als Vorratsgefäße.

(Fortsetzung folgt. Nächstes Thema: In die Töpfe geschaut)

Michael von Levetzow
Tenerife on Top

Museo de la Naturaleza y del Hombre, C/ Fuente Morales, Santa Cruz.

Geöffnet: Di.-Sa. 9 – 20 Uhr; So., Mo. u. Feiertage 10 – 17 Uhr.

Eintrittspreise: 5 € (Residenten 3 €); Senioren ab 65 Jahre 3,50 € (Residenten 2,50 €); Kinder unter 8 Jahren frei. Freier Eintritt jeden Fr. u. Sa. 16.00 – 20.00 Uhr (falls Feiertag 13.00 – 17.00 Uhr)

Audioguides in deutscher Sprache gibt es an der Kasse.

museosdetenerife.org

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