Tauziehen um geplante Bildungsreform


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Volkspartei (PP) und katholische Kirche riefen zur Demonstration auf

Zugegeben, für Bürger europäischer Länder, die schon seit Jahrzehnten Staat und Religion nicht nur dem Anschein nach, sondern tatsächlich fein säuberlich getrennt haben und damit ausgesprochen konfliktfrei und zur Zufriedenheit aller Beteiligten leben, mag es unglaubwürdig erscheinen, was sich derzeit in Spanien abspielt.

Madrid – Doch stellen wir uns der Realität, der Realität eines Landes, in dem 98% der Einwohner katholisch sind: Erneut haben sich der konservative Politsektor (PP) und die katholische Kirche zusammengetan, um gegen ein Vorhaben der sozialistischen Regierung zu wettern. Diesmal geht es um die Bildungsreform, die unter dem Namen Ley Orgánica de Educación (LOE) derzeit im Abgeordnetenkongress geprüft wird. Einmal ungeachtet der Tatsache, dass Spanien im europäischen Durchschnitt, was das Bildungswesen und damit auch Leistungsniveau seiner Schüler betrifft, zu den am wenigsten glorreich abschneidenden Ländern gehört, die Volkspartei (PP) wettert dagegen, kräftig unterstützt von katholischen Organisationen, ja sogar der spanischen Bischofskonferenz. Und, wie das öffentlich ausgetragene Schaudebatten dieser Art so an sich haben, bleibt der breiten Masse dabei der Inhalt der vorgesehenen Reformen verborgen. Gar nicht zu reden von einer alle Beteiligten einbeziehende Diskussion um den Sinn oder Unsinn der verschiedenen geplanten Maßnahmen zur Verbesserung des Bildungswesens.

Der Grund, warum sich die katholische Kirche auch diesmal so vehement auf unkirchliches Terrain wagt, ist jedoch schnell ausgemacht und dürfte in Spanien niemandem mehr ein Geheimnis sein: Die Regierung hat es gewagt, den Religionsunterricht in dem Gesetzentwurf als Pflichtfach abzuschaffen.

Dagegen muss man sich wehren, haben sich da Konservative und Kirchenväter gedacht und zu einer Demonstration gegen das Bildungsgesetz am 12. November in Madrid aufgerufen. Der konkrete Vorwurf: Die Bildungsreform mache es Eltern unmöglich, eine freie Entscheidung über das schulische Erziehungsmodell zu treffen, das sie sich für ihre Kinder vorstellen. Die Kundgebung hatte jedoch vergleichsweise eher mäßigen Erfolg, wobei es allerdings nicht ganz einfach ist, sich ein wahres Bild darüber zu machen, wie viele Bildungsreform-Gegner dem Aufruf gefolgt sind. Nach Angaben der Organisatoren der Demonstration versammelten sich nämlich zwei Millionen Menschen im Zentrum Madrids, um ihren Unmut zum Ausdruck zu bringen. Etwas bescheidener fielen die Angaben der PP-regierten Region Madrid aus, die 1,2 Millionen Protestler ausgemacht haben will, während die Polizei von 407.000 und die spanische Tageszeitung El País gar nur von 375.384 Demonstranten spricht. Unter dem Motto „Für eine Bildung in Freiheit. Nein zur LOE“ marschierte der friedliche Protestzug knapp zwei Stunden von der Plaza de Neptuno über die Plaza de la Cibeles bis zur Puerta de Alcalá. Ganz vorne mit von der Partie herausragende Mitglieder der PP-Führungsspitze sowie sechs Bischöfe. Kritisiert wird unter anderem der Punkt, der das Sitzenbleiben regelt und von den Reformgegnern als zu „lasch“ angesehen wird. Sicher nicht zu unrecht, denn zukünftig sollen die Schüler selbst mit drei „Mangelhaft“ versetzt werden. Bislang galt bereits bei zwei „Fünfern“ Schuljahr wiederholen.

Bereitschaft zur Debatte

Wie schon mehrmals unter Beweis gestellt, hat die sozialistische Regierung auch diesmal deutlich gezeigt, dass sie keine Politführung im Alleingang betreiben will.

So signalisierte Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero nach den Prostestzügen umgehend seine Bereitschaft zur Verhandlung. Bereits wenige Tage nach der Großdemonstration in Madrid lud er die Anführer der Reformgegner zu einer Besprechung in den Moncloa-Palast und bot ihnen an, erneut über die Verbesserungsvorschläge zu verhandeln. Mit Erfolg, wenn auch zähneknirschend mussten die Reformgegner nämlich nach dem Treffen zugeben, dass sich die Regierung äußerst positiv gezeigt hatte. Bis auf den Änderungspunkt hinsichtlich des Religionsunterrichts, könnten sämtliche geplanten Änderungen erneut besprochen werden.

Dem Sprecher des Verbandes der Reformgegner, Luis Carbonel, blieb demnach nach dem Treffen auch nichts anderes übrig als zu erklären: „Wir werden dem Ministerpräsidenten eine Chance geben.“

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