Umweltschonende Architektur


© ITER

Kanarisches Pionierprojekt macht bioklimatisches Wohnen möglich

Wer vom Südflughafen in Richtung Santa Cruz fährt, dem fällt der große Windpark rechts der Autobahn auf. Zwar gibt es weiter nördlich noch einen, den der Strom­er­zeuger UNELCO später aufbaute, doch der, den man zuerst sieht, war auch der erste auf Teneriffa. Gebaut wurde er vom „Instituto Tecnológico y de Energías Renovables“ (ITER), einem Forschungsinstitut, das vor gut 20 Jahren vom Cabildo (der Inselregierung) gegründet wurde.

Vor allem dem Engagement des Cabildopräsidenten Ricardo Melchior und von ITER-Chef Manuel Cendagorta ist es zu verdanken, dass sich das Institut seither zu einer vielseitigen und produktiven Forschungsstätte entwickelt hat.

Doch die weithin sichtbaren über 30 Windräder, die etwa 12 Megawatt Strom produzieren können, repräsentieren nur eine der zahlreichen Aktivitäten des ITER. Auch mehrere „Sonnenstromfabriken“ mit Photovoltaik-Kollektoren wurden auf dem Gelände sowie auf Hallendächern an verschiedenen Orten installiert. Eine davon war bis vor kurzem die größte Photovoltaikanlage der Welt. Die Wechselrichter, die nötig sind, um den Gleichstrom der Paneele umzuwandeln und ins Netz einzuspeisen, wurden vom ITER selbst entwickelt und gebaut und sind viel preiswerter als vergleichbare auf dem Markt. In Kürze beginnt auch eine eigene Fabrik mit der Produktion von Solarpaneelen, die mit eigenem Sonnenstrom versorgt wird und somit „emmissionsneutral“ ist – erstmals weltweit. Desweiteren forscht man dort an einem solargetriebenen Kleinflugzeug, an ökologischer Meerwasserentsalzung, über geochemische Phänomene des Vulkanismus, baut ein neues Internetzentrum auf mit Unterwasserglasfaserkabeln rund um Afrika u.v.a.m.. Das alles kann ohne Fremdfinanzierung geleistet werden, denn dank der Stromerzeugung macht das Institut gute Gewinne.

Bioklimatisches Wohnen

Dasjenige ITER-Projekt, das am 19. März über 300 Besucher aus aller Welt anzog, war jedoch die Eröffnung des „bioklimatischen Dorfes“, das erste seiner Art weltweit. Schon 1995, als noch kaum jemand das Wort „Nullenergiehaus“ je gehört hatte oder sich unter „emissionsfreies Wohnen“ etwas vorstellen konnte, initiierte das Cabildo zusammen mit der tinerfenischen Architektenkammer einen Wettbewerb für ökologische Einfamillienhäuser, um die 25 besten Ideen auf dem ITER-Gelände Wirklichkeit werden zu lassen. Das Interesse war groß: Insgesamt 397 Entwürfe aus 38 Ländern stellten sich der Auswahl. Eine Jury wählte die 25 interessantesten aus ihnen aus, doch aufgrund diverser Schwierigkeiten dauerte es länger als vorgesehen, bis die Siedlung fertiggestellt werden konnte. Doch was lange währt, wird endlich gut, und so stehen die avantgardistischen Bauten nun jedermann zur Besichtigung offen.

Alle Entwürfe mussten eine Reihe von Bedingungen erfüllen. In erster Linie sollen sie bewohnbar sein, das heißt funktionell und komfortabel. Der wichtigste Punkt ist die „Energieneutralität“, das heißt dass möglichst wenig Energie für Heizung, Kühlung und Beleuchtung verbraucht werden soll, und das Wenige selbst erzeugt wird, etwa durch Solarpaneele. Ein angenehmes Wohnklima kann durch viele passive Elemente erreicht werden. So bilden etwa große Massen von Stein oder Erdreich einen guten Temperaturspeicher, der tagsüber kühlt und Wärme aufnimmt und sie nachts wieder abstrahlt. Eine gut geplante Durchlüftung sorgt für angenehmes Raumklima, wobei der ortstypische starke Nordost-Wind durch entsprechende Elemente oder Mauern gebrochen wird. Je nach Ausrichtung zur Sonne läßt sich mehr oder weniger Wärme und Licht einfangen, wobei in dieser Klimazone eher auf Kühlung denn auf Heizung geachtet werden muss. Für angenehme Luftfeuchtigkeit sorgen Wasserflächen oder geeignete, bepflanzte Beete. Und nicht zuletzt sollen sich die Gebäude auch noch ästhetisch in die Landschaft einfügen – eine Geschmacksfrage, die naturgemäß am meisten diskutiert werden wird.

Schließlich nutzten viele der Architekten ihre Entwürfe auch dazu, ihre Auffassung von Ästhetik zu demonstrieren und gingen damit über die technologischen Vorgaben weit hinaus, wodurch die Gebäude allein durch ihre optische Erscheinung auch für den Laien interessant werden. Dieser Aspekt der Ausschreibung bildet durchaus Teil des Gesamtkonzepts.

Bewährung in der Praxis

Nachdem das ITER und das Cabildo etwa 10 Millionen Euro in das Projekt investiert haben, beginnt erst die eigentliche Arbeit. Zu prüfen ist, ob die Häuser den in sie gesetzten Erwartungen auch entsprechen. Das heißt, dass sie bewohnt werden müssen. Architekten, Wissenschaftler, alle Interessierten können auf Anfrage dort Probewohnen, von einem Übernachtungspreis von ca. 200 Euro ist die Rede. Wie das im Einzelnen organisiert wird, ist aber noch Gegenstand von Beratungen. Wer auch immer das ökologische Ambiente testen mag, die Daten werden gesammelt und analysiert. Sensoren über Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Luftbewegung werden zentral registriert und verarbeitet. Ziel ist es herauszufinden, ob die angestrebten Vorzüge des Wohnklimas auch realisiert werden, was allerdings erst nach längeren Studien beurteilt werden wird. Wer darauf nicht warten und sich schon jetzt einen Eindruck von dem weltweit einzigen bioklimatischen Dorf verschaffen möchte, der hat die Gelegenheit zu einer Besichtigung dieses wegweisenden Projektes im ITER, dem Institut der Zukunftstechnologie, von dem die meisten bisher kaum mehr gesehen haben als die Windräder in der Nähe der Autobahn.

Für Gruppen von ca. 20 Personen werden Führungen auf Deutsch angeboten. Anfragen bitte an: bioclimatismo@iter.es

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