Verfassungsgericht: Zweite Ohrfeige für Rajoy


Die Übergangsregierung von Mariano Rajoy regierte 10 Monate lang ohne die Kontrolle des Parlaments. Foto: EFE

Zehn Monate Regierung ohne Parlament verletzten die Rechte der Abgeordneten und Wähler

Madrid – Der ehemalige spanische Regierungschef Mariano Rajoy hat eine weitere Maßregelung durch das Verfassungsgericht einstecken müssen. Nachdem dieses schon im vergangenen November festgestellt hatte, dass der Ex-Präsident der PP ungesetzlich gehandelt hat, als er zehn Monate lang ohne parlamentarische Kontrolle regierte (das Wochenblatt berichtete), haben die Verfassungsrichter in einem zweiten Verfahren geurteilt, dass die Rechte der Abgeordneten und der Wähler verletzt wurden, als die Regierung eine Parlamentsdebatte zu einem Gesetzesvorschlag der PSOE über beitragsunabhängige Renten verhinderte. Dem Urteil zufolge wurden die Artikel 23.2 und 23.1 der Verfassung verletzt, indem das Recht der Parlamentarier auf die Ausübung ihrer repräsentativen Pflichten verletzt wurde, ebenso wie das Recht der Bürger, über ihre Repräsentanten auf die Politik einzuwirken.

Auch das Vorgehen der Parlamentsleitung (Mesa del Congreso) in diesem Konflikt wird kritisiert. Den Verfassungsrichtern zufolge akzeptierte dieses Gremium das Veto der Regierung, obwohl es dafür kein rechtliches Fundament gab. Die Regierung hat nur dann ein Vetorecht, wenn ein Vorschlag sich finanziell direkt auf den laufenden Staatshaushalt auswirkt. Dies muss eindeutig begründet werden, bloße Mutmaßungen über solche Auswirkungen, wie im vorliegenden Fall vorgebracht, reichen dem Urteil zufolge nicht aus.

Der Gesetzesvorschlag der PSOE, die damals in der Opposition war, hatte seinen Ursprung in einem Vorfall, der sich in einem Seniorenheim in dem kleinen Dorf Matamala de Almazán in Soria zugetragen hatte. Zwei Schwestern von 94 und 83 Jahren lebten dort zusammen. Doch die Regierung von Castilla y Leon teilte der älteren mit, dass sie ihre beitragsunabhängige Pension von 380 Euro verlieren würde, wenn sie mit ihrer Schwester zusammenlebe, weil nach dem Sozialversicherungsgesetz zwei Personen, die als Familie zusammenleben, gemeinsam nicht mehr als 8.900 Euro an Leistungen bekommen dürfen. Deshalb verließ die 94-Jährige ihre Schwester wieder und lebte erneut allein in ihrer Wohnung in Madrid, wo sie im Januar 2018 verstarb.

Um solche Härten künftig zu vermeiden, brachte die PSOE einen Gesetzesvorschlag ein, nach dem das Zusammenleben von Verwandten 2. und 3. Grades in Heimen künftig nicht mehr als „wirtschaftliche Einheit“ zu betrachten ist und die Betroffenen nicht mehr auf Leistungen verzichten müssen, wenn sie im selben Seniorenheim wie ihre Verwandten untergebracht sind.

Doch die PP wies die Initiative zurück und unterband die Debatte im Parlament mit dem Hinweis auf eine nicht zulässige „Erhöhung der Haushaltskredite“. Der Beschwerde der PSOE zufolge stellt dieses Veto eine „unverhältnismäßige und unvernünftige Nutzung einer Befugnis“ dar, welche „durch die Verfassung zur Vermeidung eines Ungleichgewichts im laufenden Haushalt vorgesehen sei, nicht jedoch, um willkürlich Gesetzesinitiativen des Parlaments zu verhindern“. Das Verfassungsgericht hat diese Auffassung durch sein Urteil bestätigt.

Nachdem die Regierung Rajoy im Dezember 2015 die absolute Mehrheit verloren hatte, begann sie, das Veto-Recht als Instrument zur Verhinderung von Gesetzesinitiativen der Opposition zu nutzen, und machte davon bis zum Regierungswechsel im Juni 2018 über fünfzigmal Gebrauch.

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