Wandern und entdecken


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»Sprechende und klingende Steine«

Fast immer blüht irgendwo auf Teneriffa irgendwas – nur nicht im Nationalpark. Nirgendwo auf der Insel zeigt sich der Wechsel der Jahreszeiten so ausgeprägt wie hier.

Malten die Blütenmeere der Cañadas im Mai und Juni die Landschaft bunt und ließen die Luft nach Honig duften, befinden sie sich jetzt in der Winterruhe und ragen mehr oder weniger sperrig und halb vertrocknet in den wolkenlosen Himmel. Für die Besucher bleibt dennoch die spektakuläre Kulisse mancher Italo-Western aus den Siebzigerjahren, selbst wenn Django längst nicht mehr dort reitet. Genau genommen lenken die sommerliche Blumenpracht und der Klippenbogen der Caldera von den Details ab, die beispielsweise eine Wanderung bei den Siete Cañadas zu einem besonderen Erlebnis machen können.

Während der Winterzeit ist der Weg unterhalb der Steilwände bei Wanderern sehr beliebt. Allein oder in unterschiedlich großen Gruppen ziehen sie nahezu täglich vom Portillo in Richtung Parador. Selten hält einmal jemand inne und betrachtet etwas. Die weitläufigen Bimsebenen scheinen zum schnellen Gehen zu verleiten. Wer genau hinschaut, bemerkt leicht, dass auf den Lavaströmen, die mehr oder weniger nah an den heutigen Pistenweg heranreichen, nur äußerst wenig von den kleinen hellen Körnchen liegt, während sie in den sauber davon abgegrenzten Ebenen reichlich abgelagert sind. Sie stammen überwiegend von einem dem Teide zugeschriebenen explosiven Ausbruch, bei dem die aufsteigende Lava hoch in die Luft geschleudert wurde und in kleinste Bröckchen zerplatzt ist. Diese lagerten sich überall relativ gleichmäßig ab. Die Montaña Blanca ist dick davon bedeckt und hat daher ihre helle Farbe. Regen und Schmelzwasser spülten das leichte Material von den erstarrten Lavaströmen herunter, legten diese wieder frei und füllten nach und nach die Senken damit auf. Nicht nur hier entstanden dadurch die Ebenen im Nationalpark. Größere und kantige helle Brocken, die in diesen feinen Grus eingebettet liegen, bestehen zwar auch aus Bims, stammen aber aus der gegenüberliegenden, von einigen hellen Bändern durchzogenen Steilwand. Dort hatte sie der

erste Teide-Vorgänger, der Prä-Caldera-Vulkan, abgelagert.

Seit Beginn der Besiedlung der Insel vor gut 2000 Jahren hatten die Bimsebenen eine herausragende Bedeutung, waren sie doch der einzige gut begehbare Bereich dort oben. Schon in der Guanchenzeit verlief dort, wo wir heute wandern, der wichtige Camino de Chasna, der Nord und Süd miteinander verband. Guanchen und Eroberer, Kaufleute, Reisende und die heutigen Wanderer gingen und gehen hier, weil es nur hier möglich war. Obwohl alles getragen oder auf Tieren befördert werden musste, war der Personen- und Warenverkehr über diese Route bis in die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts leichter und schneller als über Sta. Cruz und La Laguna. Nicht ohne Grund wurde bereits 1939 kurz nach dem Spanischen Bürgerkrieg mit dem Bau der Straße dort oben begonnen. Sie verläuft allerdings durch die Lavafelder, was nur durch den Einsatz großer Maschinen möglich wurde, und diente keineswegs touristischen, sondern merkantilen Zwecken. Der Nationalpark wurde erst 1954 gegründet.

Häufig findet man hier auch dunklere und größere Steine. Ihre Farbe weist sie unterschiedlichen Eruptionen zu. Manche erscheinen kompakt, fast strukturlos. Die Lava, aus der sie entstanden sind, war äußerst Gas-arm und dünnflüssig. Zahlreicher aber liegen dort an schwarzen Schaum erinnernde Brocken herum. Wenn man sie in die Hand nimmt und sorgfältig betrachtet, fällt nicht nur ihr relativ geringes Gewicht auf. Auf einer Seite sind ihre erstarrten Blasen größer als auf der anderen, eventuell fehlen sie dort auch fast ganz. Die Seite mit den großen Blasen ist sehr rau, die andere fast glatt. Und so erzählen diese Steine geradezu die Geschichte ihrer Entstehung: „Als Teil eines dünnflüssigen Lavastroms enthielt ich zahlreiche Gasbläschen. Als ich noch unter der Erdoberfläche unter höherem Druck stand, waren diese im flüssigen Gestein gelöst – wie bei Euch Menschen die Kohlendioxidbläs­chen im Sekt. Während ich aus einer Erdspalte austrat und der Umgebungsdruck sank, begannen sie zu sprudeln. In der Nähe der Oberfläche meines Lavastroms entwichen vor allem die größeren Blasen bald in die Luft. Das stank bestimmt nach Schwefel. Als meine Oberfläche kühler und die Lava zäher wurde, blieben immer mehr Bläschen stecken und sind heute noch dort, wo der Stein um sie herum erstarrte.“ Und so kann man bei solchen Steinbrocken immer noch gut erkennen, wie sie in ihrem Lavastrom ursprünglich angeordnet waren. 

Schlägt man diese Steine leicht gegeneinander, entsteht ein dumpfes Geräusch. Schaum ist kein guter Klangkörper. Einige Gas-arme Steine hingegen klingen hell, wenn sie aufeinander schlagen, vor allem, wenn sie beim Erkalten in dünne Platten zerbrochen sind. Solche findet man beispielsweise bei einer auffälligen, zerborstenen und bis

zu zehn Meter hohen natürlichen Mauer, die links vom Weg etwas südlich der Cueva de Diego Hernández steht. Die Lava dieses Dique ist der erkaltete und erstarrte Überrest einer Spalteneruption. Während das weichere Material, in dem sich der vulkanische Spalt gebildet hatte, längst erodiert ist, steht die festere ehemalige Füllung heute als Mauer herum. Nicht nur dieser Dique, auch die Fortaleza und die Roques de García bestehen aus diesem harten und klingenden Material. Phonolith = Klangstein nennen es die Geologen.

Werfen wir einen kurzen Blick in die benachbarte Cueva de Diego Hernández, so weist uns die rauchgeschwärzte Höhlendecke darauf hin, dass sich hier früher Hirten, Imker und vermutlich auch Wanderer an der kleinen Feuerstelle im Hintergrund der Höhle gewärmt haben. Zu Beginn der 1970er-Jahre habe ich dies noch selbst in einer anderen kleinen, im Wandfuß der Fortaleza gelegenen Höhle erlebt. Der Blick aus der Höhle ist ein Foto wert.

Michael von Levetzow

Tenerife on Top

mico@tenerife-on-top.de

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