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Alte neue Wege: Die Cañadas de La Laguna

21.02.15 Samstagmorgen, regnerisch, ziemlich leere Straßen. Eigentlich hätte man gerne einen gemütlichen Tag zu Hause. Nahe der Autobahn sind auf einem unwirtlichen Platz in Guamasa gut einhundert Leute, darunter auch Cabildo-Präsident Carlos Alonso und andere Persönlichkeiten, in erster Linie aber Mitglieder der Grupos Montañeros, zusammengekommen. Gemeinsamer Anlass sind die Cañadas de La Laguna; besser, was davon übrig geblieben und wieder zugänglich ist. Cañadas??? Cañadas!

21.02.15 Samstagmorgen, regnerisch, ziemlich leere Straßen. Eigentlich hätte man gerne einen gemütlichen Tag zu Hause. Nahe der Autobahn sind auf einem unwirtlichen Platz in Guamasa gut einhundert Leute, darunter auch Cabildo-Präsident Carlos Alonso und andere Persönlichkeiten, in erster Linie aber Mitglieder der Grupos Montañeros, zusammengekommen. Gemeinsamer Anlass sind die Cañadas de La Laguna; besser, was davon übrig geblieben und wieder zugänglich ist. Cañadas??? Cañadas!

Sprechen wir auf  Teneriffa von den „Cañadas“, sehen wir die eigentümliche, immer wieder faszinierende Landschaft des Nationalparks vor dem inneren Auge. Umgangssprachlich hat sich der Begriff längst eingebürgert und ist so schon im Ansatz falsch. Die Übersetzung „Engpass, Hohlweg“  aus dem Wörterbuch, was weder auf die Landschaft des Nationalparks noch auf die Umgebung La Lagunas zutrifft,  ist ein philologisches Missverständnis. Auf der spanischen Halbinsel gab es schon vor der Eroberung Teneriffas (1496) Cañadas Reales, königliche Cañadas. Sie konnten gut 15 m breit sein, also genau das Gegenteil eines Hohlweges. Über die Cañadas wurden die oftmals Hunderte von Tieren großen Viehherden von den Winter- zu den Sommerweiden getrieben.  Diese Routen für Wanderhirten sollten zugleich deren Herden von den fruchtbaren Äckern und den Gemeindeweiden fern halten, um die anderenfalls regelmäßig drohenden Konflikte mit den Landbesitzern zu vermeiden. Deshalb unterstanden Cañadas direkt der spanischen Krone.

Schon kurz nach der Gründung La Lagunas legte der Anführer der spanischen Truppen, Alonso Fernández de Lugo, höchstpersönlich fest, dass auswärtige Wanderherden und auch die Lasttiere, die Güter zu anderen Orten brachten, die Stadt weiträumig umgehen mussten. Warum? La Laguna wurde nicht nur genau an diesem Ort erbaut, weil es dort so eine hübsche, weitläufige und für Piratenkanonen unerreichbare Ebene gab. Das ersparte den Bau aufwendiger Fes-tungsanlagen und Stadtmauern und ließ Raum für eine revolutionäre, moderne Stadtplanung, der La Laguna seine Stellung als Weltkulturerbe verdankt. Nicht minder wichtig war, dass es genau hier die besten und fruchtbarsten Acker- und Weideflächen der ganzen Insel gab. Die Eroberer sicherten sich selbst die Filetstücke der Insel und hielten sie frei von anderen Nutzern. Also nahm sich der Adelantado, so der Titel de Lugos, einen ganzen Tag Zeit zur Markierung des Wegverlaufs. Innerhalb der Cañadas war Lagunenser Gebiet, und so verlaufen die Stadtgrenzen im Wesentlichen heute noch.

Seine Bedeutung verlor der Weg erst im Bürgerkrieg mit dem Niedergang des Wanderhirtenwesens auf der Insel. Heute weiden in der Regel nur noch lokale Herden auf der Insel. Die Cañadas de La Laguna wurden nicht mehr gebraucht und gingen unter Brombeeren und anderem Gestrüpp verloren. So weit die Geschichte.

Wir brechen auf,  durchqueren den Ort  zu den ersten frisch gepflügten Feldern – gute, fruchtbare Erde. Der Kaffee in der nächsten Dorfbar wird der letzte für eine längere Zeit sein; denn jetzt geht es die Berge hinauf zur ersten Anhöhe mit einem natürlichen Aussichtspunkt . Bei klarem Wetter könnte man von hier den Teide sehen. Tief hängende Wolken geben aber nur den Blick auf das Gran Valle frei. Hier oben befand sich der Tagoror von  Guamasa. Der Kreis aus Sitzsteinen, in dem die vorspanischen Würdenträger sich zu Beratungen trafen, ist leider nicht erhalten. Bestimmt war dieser Platz aber nicht zufällig gewählt. Miguel Pérez Carballo, der anerkannte, sachkundige Erforscher der Ortsnamen und der örtlichen Geschichte der Insel, erklärt nicht nur hier ausführlich, was es über die verschiedenen Punkte unseres Weges zu sagen gibt. Ihm ist es zu verdanken, dass dieser Weg unter Mitwirkung einiger engagierter Freunde dem Vergessen buchstäblich entrissen werden konnte. Hielten ihn früher die Viehherden frei, mussten jetzt viele Meter in mühevoller Handarbeit und durch Einsatz von Macheten wieder begehbar gemacht werden. Demnächst soll der Weg einigermaßen wiederhergestellt und markiert werden, um den Wandertourismus um die ehemalige Hauptstadt zu beleben. Die entsprechenden Beschlüsse sind verabschiedet. Heute findet die Eröffnung des 

ers­ten Wegabschnitts durch die verschiedenen Verbände statt. 

Hundert Wanderer bei Regenwetter sind für den Weg, der uns als nächs­tes auf den Hügel El Pulpito hinaufführt, ein Belastungstest. Die vielen Füße verwandeln den Untergrund in kürzester Zeit in einen Schlammpfad, der ohne Stöcke nicht sturzfrei zu begehen wäre. Das tut dem Erlebnis keinen Abbruch, im Gegenteil. Wir sind heute Pioniere, die zugleich die Geschichte wiederentdecken. Von El Pulpito und dem benachbarten Atalaya (Ausguck) hat man die Nordküste überwacht, um nicht von Piraten überrascht zu werden. Dort befand sich während des 2. Weltkrieges eine Flakstellung mit zwei Geschützen, die den Flughafen von Los Rodeos sichern sollte. Spanien war zwar keine kriegführende Partei, wenn auch mit den Achsenmächten gut befreundet. Angesichts der strategischen Bedeutung der Insel ging man aber auf Nummer sicher. Los Rodeos gehörte auch zu dieser Cañada. Der Name mag zwar Western-Experten an Geschicklich-keits­turniere für Reiter erinnern, hat damit aber nichts zu tun. Der Wegverlauf machte dort einen Umweg (spanisch rodeo) zur Grenze bei El Rosario. Der direkte Weg war den Herden verboten.

Oberhalb der Ermita de San Diégo kreuzen wir bei Los Peñuelos den Camino Real de Tegueste. Bevor wir danach in die Wolken aufsteigen, geht der Blick über die Ebene von La Laguna und zu den südlichen Hügeln. Auch dort führte ein Abschnitt dieser Cañadas über die Höhen. Insgesamt ist der Gürtel um die Stadt 26 km lang. Im Norden sehen wir  weiter entfernt Tegueste und Tejina. Ein Teil des Tales vor uns heißt wegen eines Abgrundes „El Infierno“, eine der bes­ten Weinlagen und zugleich Ziel einer Prozession mit der Virgen del Socorro, die man also durch die Felder zur „Hölle“trug.

Nach der Umrundung der Mesa Mota endet der erste Abschnitt. Auf einer Asphaltstraße erreichen wir den Ortskern von La Laguna bei der Concepción.

Michael von Levetzow

Tenerife on Top 

mico@tenerife-on-top.de

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