Historische Keltern
Lagares, Weinkeltern, mit denen die Trauben zu Most gepresst wurden, gab es reichlich auf Teneriffa. Auf alten Fotos aus den Archiven der verschiedenen Regionen können wir diese musealen Geräte entdecken. Eine sehr große, aus dicken Balken gebaute Kelter ist in der Casa del Vino, dem Weinbaumuseum in El Sauzal zu bewundern. Sie gehörte zu einem großen Weingut. Aus der Landschaft sind diese Lagares zusammen mit den alten Bauernhäusern längst verschwunden. Nur nicht in Taganana und einigen anderen Tälern des Anaga-Gebirges; denn dort wurden sie anders und scheinbar für die Ewigkeit gebaut.
Seit dem 16. Jh. wird dort Wein kultiviert. Weinbau war jahrhundertelang der wichtigste Wirtschaftszweig. Die Weine wurden größtenteils exportiert und besaßen einen ausgezeichneten Ruf. Zahlreiche, bis zur Laurisilva hinauf angelegte Ackerterrassen zeugen noch davon. Aber diese Flächen sind begrenzt und zudem wird ein Teil heute für den Kartoffel- und Gemüseanbau benötigt. Für eine rentable Vermarktung wird hier zu wenig erzeugt. In Bezug auf den Weinbau ist die gesamte Anaga-Halbinsel heute nur noch eine unbedeutende Randzone des Anbaugebiets von Tacoronte-Acentejo.
Es gibt einen markierten Rundweg von Afur nach Taganana und zurück. Der Hinweg führt durch den Barranco de Afur zur Playa de Tamadiste und danach auf etwas luftigem Pfad entlang der Steilküste in die Weingärten des Valle de Taganana. Steil bergauf geht es jenseits des Ortes weiter zur Casa Forestal auf dem Bergrücken. Wegen der Unwetter im vergangenen Oktober ist der obere Wegabschnitt schwer beschädigt, also nicht leicht begehbar. Vom Forsthaus geht es dann bequem abwärts zurück nach Afur. Nutzt man die Linienbusse, kann man sich auf den Küstenabschnitt zwischen Afur und Taganana beschränken und sich so den steilen Bergweg ersparen. Wer „nur“ die Relikte der alten Weinbautradition erwandern möchte, macht dies am bequemsten von Taganana aus. Einen Anstieg von 120 Höhenmetern muss man allerdings auch dazu bewältigen, bevor man gemütlich in einer Viertelstunde auf einer Piste zu den wenigen Häusern von El Chorro wandern kann. Bei den Info-Tafeln entlang des Fahrwegs sind wir richtig.
Die Ortsbezeichnung „El Chorro (Brunnen)“ erschließt sich unschwer, sobald man den kleinen Brunnen erreicht hat. Dessen Wasser war für die Winzer sehr wichtig. Nicht zur Bewässerung; das übernimmt hier der feuchte Nordostpassat, sondern zur Reinigung aller Gerätschaften, die für die Weinherstellung benutzt wurden. Höchste Sauberkeit war Voraussetzung für die Qualität der Weine.
Schaut man genau, entdeckt man bestimmt in der Nähe das Haus, aus dessen Mitte ein kleiner Felsen hervorragt. Es ist ein besonders originelles Höhlenhaus mit einem nach Westen gerichteten Giebelfenster in der Mansarde aus Fels. Vermutlich ist er ganz ausgehöhlt worden. Tosca roja nennen die Leute diesen leicht zu bearbeitenden Fels. Er war auch das Baumaterial der Barockportale der ältesten Paläste in La Laguna. Später nahm man dazu härteren dunkelgrauen Basalt, was uns heute dort während eines Stadtbummels beim Unterscheiden alter von ganz alten Gebäuden helfen kann.
Nah am Weg warten alte Lagares (Weinpressen) auf uns Entdecker. Seit man die gelesenen Trauben mit dem Pickup zur Kellerei fahren kann, sind sie stillgelegt. Ihre hölzernen Bestandteile verwittern nur sehr langsam. Sie wurden aus besonderen Bäumen des Lorbeerwaldes gefertigt. Der kräftige Balken (Viga) ist aus dem Kernholz des kanarischen Ebenholzbaumes (Barbusano), die heute meistens fehlende Spindel mit einem sorgfältig gearbeiteten Schraubgewinde war aus Picconienholz (Palo blanco). In ihr steckte das Querholz, mit dessen Hilfe sich die Spindel drehen ließ, damit die Viga immer stärker auf die Trauben presste. Es bestand aus dem elastischen Holz des Acebiño (kanarischer Ilex) und brach nicht so leicht. Nach der Benutzung im Herbst wurden einige Vigas zum Schutz vor der Witterung mit Blech abgedeckt. So warten sie noch heute. Die Becken der Lagares sind in die Tosca roja geschnitten oder aus solchen Steinen gemauert worden. Viel später, in den 1950ern, wurden sie mit Zement verputzt, damit der Most nicht mehr in die porös-lockere Tosca eindringen konnte. Aufwendige Lagares bestanden aus drei Becken nebeneinander in unterschiedlichen Etagen. Das oberste nahm Wasser zum Säubern der Anlage auf, im mittleren wurde gepresst und das unterste fing den Most auf, der in Schläuche aus Ziegenhaut abgefüllt und in die Weinkeller gebracht wurde. Der direkte Transport der empfindlichen Trauben dorthin wäre weitaus schwieriger gewesen. In den gleichmäßigen Temperaturen der Bodegas (Weinkeller) konnte der Most in Holzfässern gären und reifen. Auch sie wurden am Ort aus Hölzern des Lorbeerwaldes hergestellt.
Von der unterhalb von El Chorro sichtbaren Playa de Tachero sowie der Playa San Roque auf der anderen Seite Tagananas wurde der fertige Wein im Sommer, kurz vor der nächsten Lese, mit Booten zu ankernden Schiffen gebracht. Über den Hafen von Sta. Cruz fand dann die weltweite Vermarktung, vorwiegend nach England und in die englischen Kolonien in Nordamerika, statt. Mit dem allmählichen Niedergang dieses Handels zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert und schließlich großen Mehltauepidemien verlor der Weinbau um Taganana seine Bedeutung. Vielleicht ist es gerade diesem Umstand zu verdanken, dass sich hier der größte Teil der zahlreichen und ursprünglichen Rebsorten erhalten konnte, die anderenorts längst aus marktwirtschaftlichen Gründen verdrängt wurden. In seinem versteckten Tal ist Taganana heute die heimliche Schatzkiste des einheimischen Weinbaus.
Michael von Levetzow
Tenerife on Top
mico@tenerife-on-top.de
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