Wandern und Entdecken

© Michael von Levetzow

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Costa de Acentejo

Acentejo nannten die Guanchen, die Ureinwohner Teneriffas, einen Landstreifen entlang der Nordküste. Er umfasst die Gemeindegebiete von Tacoronte, El Sauzal, La Matanza, La Victoria und Santa Úrsula, eine geschichts­trächtige Gegend, Schauplatz zahlreicher Kämpfe zwischen spanischen Eroberern und Guanchen. Aber nicht nur das. Tacoronte-Acentejo ist Teneriffas ältestes und traditionsreichstes Weinbaugebiet. Hier begannen Mönche aus La Laguna kurz nach der Gründung ihrer Stadt, Wein zu produzieren – vorwiegend für den Eigenbedarf; sie brauchten Messwein. Vor dieser Küste spielte sich am 16. September 1966 ein Drama ab, das katastrophal hätte ausgehen können, aber dank günstiger Umstände glimpflich ablief. Es heißt, vor der Costa de Sauzal liege das Wrack einer Douglas DC 3 im Meer. Die Maschine war an jenem Tag kurz nach 8:00 Uhr vom nahen Flughafen von Los Rodeos in Richtung La Palma gestartet. Es war bewölkt, was in Los Rodeos häufig vorkommt, aber den Start nicht beeinträchtigte. Aber wenig später gab es an einem Triebwerk einen Propellerschaden und zwang die Besatzung zur Umkehr. Mit nur einem funktionierenden Motor verlor die Maschine Höhe. Die Wolken wurden zum Problem; denn sie verbargen die Berge in der Umgebung des Flughafens und machten eine Notwasserung erforderlich. Der Pilot, ein sehr erfahrener Flugkapitän, brachte das Flugzeug sauber vor der Küste von El Sauzal aufs Wasser. Ausnahmsweise war es zur Unglückszeit windstill und das Meer spiegelglatt, und nur diesen Bedingungen war es zu verdanken, dass einige Fischer von Puertito de Sauzal in der Nähe des Havaristen ihrem Handwerk nachgingen. Es gelang ihnen, fast alle Insassen zu retten. Nur ein älterer Herr aus La Victoria und der Pilot kamen ums Leben. Der Passagier hatte, wie sich später herausstellte, einen Herzinfarkt erlitten und war nicht in der Lage, das sinkende Flugzeug zu verlassen. Zu den Pflichten eines Flugkapitäns gehörte es in der Zeit der Franco-Diktatur, das Flugzeug nach einem Unglück als Letzter zu verlassen. Spanische Piloten waren dem Militärstrafrecht unterstellt. Hätte er den Passagier zurückgelassen und sich selbst gerettet, hätte ihm ein Todesurteil gedroht. Am Mirador de La Breña, wo diese Route beginnt, erinnern eine formschöne Skulptur und eine Gedenktafel an diese Ereignisse.

© Michael von Levetzow
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„La Breña“ bedeutet „steiler Bergrücken“, eine treffende Umschreibung dessen, was uns auf dem Weg hinab erwartet. In steilen Kehren führt der Weg die steile Böschung hinab zu einer Plattform nahe des Meeresufers, die durch bequeme Wege erschlossen ist und viele Basaltzungen ins Meer streckt. Gelegentlich bilden ihre erstarrten Lavaströme richtige Deltas, ähnlich den Deltas großer Flussmündungen. Eine der Buchten ist der erwähnte Puertito de Sauzal. Dort und an anderen Plätzen kann man bei ruhiger See und angemessener Vorsicht in kristallklarem Wasser baden.
Entlang der Costa de Acentejo ist das Meeresufer wegen der hohen Klippen nur an sehr wenigen Stellen wie hier erreichbar. Das war der Grund, weshalb in diesem Gebiet die durchschnittliche Lebenserwartung der Ureinwohner am geringsten war. Sie besiedelten zwar besonders gutes Ackerland und hatten deswegen die beste Versorgung mit Getreide, insgesamt war ihre Ernährung aber sehr einseitig. Sie konnten nicht wie ihre Nachbarn hin und wieder an der Küste Meeresfrüchte sammeln. Ihrer Nahrung fehlten wichtige Eiweiße und Spurenelemente. Dieser Mangel kostete Lebensjahre.

© Michael von Levetzow
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Entlang des Weges bekommen wir einen Eindruck von einer weitgehend verschwundenen, typisch kanarischen Pflanzengesellschaft, dem Bosque Termófilo, was man mit „wärmeliebender Wald“ übersetzen kann. Ökologisch ähnelt er den Wäldern des Mittelmeerraums, was wenig verwundert; denn das Klima, in dem er gedeiht, ist mediterran, also nicht nur für Europäer angenehm. Schon die Guanchen siedelten in dieser Zone, und die spanischen Eroberer ebenso. Nur ausnahmsweise gründeten sie Ortschaften wie Garachico an der Küste, wo es heiß war und Piratenüberfälle drohten. Die meisten alten Ortschaften befinden sich wie El Sauzal in der Höhenstufe 300 m – 500 m über dem Meer, des Klimas wegen – und wegen der Ackerfrüchte; denn diese waren an Mittelmeerklima angepasst und gediehen dort, wo vorher der Bosque Termófilo das Landschaftsbild bestimmte. Wo immer gesiedelt oder Ackerbau betrieben werden konnte, wurde er gerodet. Im Acentejo hat man ihn überwiegend durch Weinreben ersetzt. An unzugänglichen Stellen von Steilküs­ten, die für Ziegen unzugänglich waren, konnte er sich einigermaßen erhalten. Von solchen Plätzen ausgehend konnte er sich manchmal sein ursprüngliches Gebiet zurückholen. Auch hier, wenn auch mit fachkundiger Unterstützung durch die Gemeindeverwaltung von El Sauzal.
Am Beginn des Weges wächst ein großer kanarischer Weidenbaum (Salix canariensis), ein „Sauce“ in der Sprache der Einheimischen. Er bevorzugt feuchte Böden, was in der Gegend von El Sauzal öfter vorkam, weshalb hier ursprünglich zahlreiche Weiden, Sauces, wuchsen. Daher auch der Ortsname, der „Der Weidenwald“ bedeutet. Wilde Olivenbäume, „Acebuche“ (Olea cerasiformis) wachsen nebenan. Auch sie sind wie die meisten der hier wachsenden Büsche Endemiten. Man findet unsere Endemiten weltweit nur auf unseren Inseln oder nur auf Teneriffa oder nur in dieser Gegend. Letzteres gilt für den Gefleckten Hornklee (Lotus maculatus), der nur noch an ganz wenigen Stellen in diesem Hang natürlich vorkommt und nur dank andauernder Schutz- und Nachzuchtmaßnahmen noch nicht für immer verschwunden ist.
Um allein die rund zwanzig Baum- und Straucharten des Bosque Termófilo vorzustellen, reicht der Platz dieser Rubrik nicht. Ob mit oder ohne Pflanzenbestimmungsbuch unterwegs, die vielfältigen Eindrücke dieser faszinierenden Landschaft und ihrer Pflanzen kann jeder wahrnehmen. Man muss sich nur etwas Zeit beim Wandern lassen. Und bestimmt ist dies nicht der letzte Bericht zu diesem Juwel.
Michael von Levetzow
Tenerife on Top

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