Wandern und Entdecken

Michael von Levetzow

Michael von Levetzow

Wenn der Boden knirscht

Gestern ist der Ätna wieder ausgebrochen. Er sei mit rund 3.300 m Höhe Europas höchs-ter Vulkan, hieß es in den Nachrichten. Nun ja, wenn man unsere Inseln nicht zu Europa rechnet, könnte das stimmen. Denn die aus der Tiefsee aufgetauchten Kanarischen Inseln, diese riesigen Vulkane mit Gesamthöhen bis über 7.000 m, gehören geologisch tatsächlich zu keinem Kontinent – nicht zu Afrika und auch nicht zu Europa. Paradox ist nur, dass der Pico del Teide Spaniens höchster Berg ist und damit politisch zu Europa gehört. Andererseits – so von Vulkan zu Vulkan gesehen – macht der Ätna zurzeit genau das, was viele Vulkane machen, wenn ihr Ausbruch nicht explosiv abläuft: Sie stoßen Wolken aus diversen Gasen aus und schleudern Lavafontänen in die Luft. Große Lavafetzen mit hohem Gewicht fallen in den Krater zurück, kleinere und leichtere werden weit in die Umgebung geschleudert. Die kleinsten trägt der Wind Dutzende, gelegentlich Hunderte Kilometer weit fort. Während ihres Fluges „gefrieren“ sie; ihre anfangs flüssige Lava kühlt ab und wird fest. Dabei entsteht vulkanisches Glas. Es überzieht ihre Oberfläche mit einer festen, harten Schicht. Auch das Innere solcher Auswurfbrocken, -bröckchen und -körnchen enthält verglaste Teile. Glas entsteht immer, wenn Gesteinsschmelzen rasch abkühlen, sei es in einer Glasfabrik, beim Glasieren von Keramik oder einem Vulkanausbruch. Kristalle entstehen nur, wenn man der Schmelze sehr viel Zeit zum Abkühlen lässt, Jahrhunderte oder besser noch Jahrtausende. So viel Zeit hat ausgetretene oder ausgeworfene Lava nie. Der Glasüberzug schützt die Lava lange Zeit sehr gut vor rascher Verwitterung und trägt damit zum Landschaftsbild auf unseren Inseln bei.

Michael von Levetzow
Michael von Levetzow

Chinyero heißt der Vulkan, der 1909 als bisher letzter auf Teneriffa ausgebrochen ist. Sein Nachbar im Norden ist der Volcán de Garachico, dessen Lavaströme im Mai 1706 einen Teil der Bucht von Garachico verschütteten und die Stadt in Brand setzten. Der von der Bucht gebildete natürliche Hafen war danach nicht mehr benutzbar, die Stadt verlor ihre Bedeutung und versank in einen Dornröschenschlaf, dem wir heute das besondere, denkmalgeschützte Ortsbild verdanken. Im Süden des Chinyero erhebt sich der Vulkan Boca Cangrejo, dessen Ausbruch Columbus auf seiner ersten Amerikafahrt beobachtet hat. Das Gebiet um die drei historischen Vulkane ist gut von Wanderwegen erschlossen und lädt zur immer neuen Erkundung entlang gut miteinander kombinierbarer Routen ein. Die meis-ten sind markiert. Es lohnt sich.
Von Norden ist das Gebiet entweder von Arenas Negras oder von Los Llanos erreichbar. Dort startet man entweder am Grillplatz östlich von San José de los Llanos oder beim Ecomuseo. Von Süden gibt es einen Zugang aus der großen Kurve der TF-38 unterhalb des Boca Cangrejo bei etwa km 14,5. Ohne bergsteigerische Anforderungen besticht das Gebiet durch seine Postkarten-Panoramen – ob mit oder ohne Pico del Teide und den davor liegenden Pico Viejo. Im Kerngebiet kann man den Chinyero umrunden oder seinen Lavastrom überqueren. Das geht unter anderem über einen angelegten Pfad, der von der Montaña de la Cruz zur Montaña de las Flores führt.
An ihm entlang kann man große Basaltbrocken mit deutlichen Streifen an der Seite entdecken, die entstanden, als die Lava noch in Bewegung war und die Brocken aneinander vorbei geschoben wurden. Dabei wurden deutliche Kratzer in die noch nicht ganz verfes-tigte Lava gepresst und lassen erahnen, dass seinerzeit große Kräfte wirksam waren. Noch deutlicher werden diese Energien etwa in der Mitte des Lavafeldes, wo sich ein auffälliger Felsblock haushoch über die Umgebung erhebt. Man könnte ihn für eine große Lavascholle halten, die einer in einem Fluss treibenden Eisscholle ähnlich an einem Hindernis aufgestellt worden ist. Aber so geschah es 1909 nicht. Nach und nach hatte damals sich in der Gegend von Westen nach Osten eine Erdspalte aufgetan und Gase und Lava ausgespuckt. Am produktivsten war sie an ihrem östlichen Ende, wo der große Kegel aus ringförmig ausgeworfenen Schlacken sich immer höher aufbaute. Im Inneren dieses Schlackenrings bildete sich ein Lavasee, dessen Spiegel mit dem Emporwachsen des Schlackendamms immer mehr anstieg, bis der Damm schließlich dem Druck der flüssigen Lava nicht mehr standhielt und eine breite Bresche erhielt. Dabei wurden große Felsenstücke von der austretenden Lava mitgerissen, darunter dieser Felsbrocken. Heute ist er ein Zeuge dieses Geschehens.

Michael von Levetzow
Michael von Levetzow

Bis man zu diesem Platz gelangt ist, hat wahrscheinlich jeder bemerkt, dass entlang dieses Pfades fast jeder Schritt anders klingt als auf den Wanderwegen davor (und danach). Es knirscht hörbar, so als liefen wir die ganze Zeit über zerbrochene Keramikscherben. So abwegig ist diese Ähnlichkeit nicht. Was wir hören, ist das Aneinanderreiben der verglas-ten Oberflächen der Schla-ckensteine, mit denen der Weg größtenteils bedeckt ist. Das Geräusch entsteht nur beim Laufen über relativ junge Lava. Ist diese schon einige Tausend Jahre alt, ist der schützende Glasüberzug der Steinchen nach und nach verwittert, und damit verschwindet das kratzende Geräusch. Indem wir darüber laufen, beschleunigen wir die Verwitterung des Materials erheblich.
Die wenigen historischen Vulkane der Insel stehen unter besonderem Schutz – unter anderem als Areale besonderen Interesses für die Wissenschaft. Denn an ihnen – und nur dort – lässt sich erforschen, wie sich das junge Gestein unter den örtlichen Einflüssen verändert und insbesondere auch, wie nach und nach Lebewesen diese Zonen zu Lebensräumen machen. Hinzu kommt, dass die Trittspuren jahrhundertelang noch zu erkennen sind. Deswegen ist das Betreten der Schlackenkegel aller historischen Vulkane auf unseren Inseln verboten. Das Verbot ist sinnvoll.

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