Weihnachten auf Teneriffa – Zwischen Wirklichkeit und Hoffnung


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Weihnachten rückt wieder näher. Hier auf Teneriffa ist das Weihnachtsfest eine Instanz, eine Macht. Das Fest bewegt die Gemüter, die Geldbeutel, den Konsum. Es ist besonders schwierig, sich dieser Macht auf Teneriffa zu entziehen, überall wird das Weihnachtsfest hochgerüstet.

In all den Jahren meiner Anwesenheit auf diesem geliebten Archipel, wenn ich als Kindertherapeut und Clown die Kinder betreue, ihnen einen kleinen Lichtblick der Hoffnung gebe, zusätzlich auch noch mit den Obdachlosen involviert bin, verliert das Fest seine angedachte Idylle. Dieses Fest ist beseelt mit Liebe und Aufmerksamkeit, einem gespielten Wohlwollen, das Interesse ist ein Scheininte­resse, weil die Umsatzzahlen stimmen müssen, die Weltkatastrophen aber völlig vergessen werden, denn Kriege, Ausgrenzung, Vergewaltigung, Missbrauch, Armut, Arbeitslosigkeit sind weiterhin auf dem Vormarsch.

Sollten wir das Weihnachtsfest hier auf diesem Archipel noch retten wollen, müssten wir vorher alles auf Null stellen. So geht das Weihnachtsfest keinesfalls weiter, denn die Kinder, die ich hier auf dieser Insel betreue, sind in ihrem Verhalten auffällig, sind Opfer ihrer Umgebung geworden, weil ihre Eltern den Erziehungs-Auftrag verweigern, kein echtes Interesse an ihren Kindern (Schutzbefohlenen) haben.

Die zu betreuenden Kinder schreien nach Liebe und Aufmerksamkeit, sie wollen sich mitteilen, sie wollen die Fragen an das verrückte Leben stellen … doch ihre Welt wird zugeschüttet vom Übermaß der Konsumartikel. Wer nicht konsumiert, fällt aus dem Raster der Gesellschaft heraus, fast jedes Kind besitzt ein eigenes Handy oder Smartphone, das die Gehirnsubstanzen durcheinanderwirbelt. Die Neurowissenschaften schlagen schon lange Alarm, doch diese Botschaften werden nicht ernst genommen, werden gar ignoriert. Das Handy oder Smartphone ist ein Ersatz für viele Dinge geworden: manchmal ist dieses Gerät schon so etwas wie eine Nanny, eine Instanz des Über-Ichs, das sich verselbständigt hat.

Wir brauchen einen kritischen Zugang zum Weihnachtsfest. Wenn nicht jetzt, wann  dann?? Kinder brauchen einen Schutz!

Mein Dasein als Kindertherapeut ist eine lebendige Sache. Ich betreue hier vor Ort Kinder, die für mich Sonderlinge sind, die sich aus der normalen Vorstellung abheben, die nachdenklich stimmen, die mich auch hin und wieder aus dem Schlaf reißen. Ich will, dass diese mir anvertrauten Kinder eine Chance erhalten, eine echte Chance, damit sie selbstständig das eigene Leben bewältigen können. Ich mache die Erfahrungen, dass Konzentration und Ausdauer kaum vorhanden sind, dass das Grund-Interesse schnell stirbt, und dass die Motivationen ständig unterfüttert werden

Wenn sich in der Stadt Puerto de la Cruz das Interesse an den Kindern steigern ließe, wäre das ein richtiges Geschenk zu Weihnachten, denn das würde alles erleichtern: Rücksichtnahme, Toleranz, Freiheit, Bildung.

Das Spielen sollte in der Stadt auf der Agenda aller Bemühungen stehen, denn ohne die Qualifikationen im und durch das Spiel gibt es auch keinen Zugang zur Arbeit.

Ich als Kindertherapeut glaube an die starke Symbolik von Glaube, Liebe und Hoffnung. Es liegt an uns selbst, dies zu leben und anzuwenden.

Jürgen-F. Schohr
MA/MD, Diplom-Psychologe,
Psychotherapeut und Clown
Linz

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