Wir dürfen Gott unsere Wunden zeigen


Gedanken für mich – Augenblicke für Gott

Wir alle kennen den Spruch: „Zu Risiken und Nebenwirkungen…fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker!“ Ich finde es schon merkwürdig – vor allem bei dem Anspruch unserer Naturwissenschaftler – dass dieser Hinweis immer noch hinterhergeschoben werden muss, wenn irgendwo für Arzneimittel geworben wird. Schließlich haben sie unsere Gene entschlüsselt und den menschlichen Erbcode geknackt. Da müssten sie dann doch irgendwann auch all die Wunden und Schmerzen zusammen mit den Risiken und Nebenwirkungen in den Griff bekommen. Tun sie aber nicht …

Nun haben viele Menschen offene Wunden, gegen die scheinbar nichts und niemand hilft, die einfach nicht heilen wollen. Dinge, Situationen oder auch irgendwelche Ereignisse im Leben haben sie so sehr verletzt, so starke Wunden verursacht, dass sie oft immer wieder neu aufbrechen und auch nach Jahren noch nicht vernarbt geschweige denn geheilt sind. So eine Wunde ist für mich z.B. wenn ein Kind früher zu hören bekam: „Du kannst auch gar nichts. Zu allem bist du zu langsam oder hast keinen blassen Schimmer. Aus Dir wird doch mal nichts.“ Mit so einer Botschaft im Ohr lebt es sich schwer – auch später als Erwachsener. Da ist nicht nur das Selbstwertgefühl angekratzt; nein, da ist der ganze Mensch angeknackst. Oder ein anderes Beispiel: Da kommen in einem Menschen Gefühle von Wut auf, wenn er an bestimmte Personen denkt. Es sind Menschen, an die er sich nur im Zusammenhang mit Gemeinheiten erinnert, die ihm von diesen Menschen zugefügt worden sind. Dabei kann es sich um Geschwister, um Eltern, Verwandte, Bekannte oder auch Arbeitskollegen drehen – vielleicht sogar um den eigenen Partner. Vielleicht haben die Betroffenen sich von diesen anderen Menschen lösen können (z.B. durch Scheidung, einen Arbeitsplatzwechsel o.ä.), aber es dauert oft Jahre, bis die Schmerzen der Wut und Ohnmacht nachlassen und endlich aus Kopf und Herzen verschwunden sind. 

Nun kann ich natürlich versuchen, solche Wunden mit allem möglichen zu überpflastern oder zu verdecken. Aber meistens hält das nicht lange – es hält zumindest nicht auf Dauer. Da gibt es dann bestimmte Stellen, an denen sie immer und immer wieder neu aufbrechen. Salben und Cremes, ein schickes Kleid oder ein neuer Anzug, ein modischer Haarschnitt oder auch ein Kurzurlaub mit schönen Sonnenstunden – all das kuriert höchstens äußerlich. Aber die Ursachen, weshalb man sich so blutleer und leblos fühlt, die liegen doch viel tiefer. Damit solch tiefe Wunden heilen können braucht es Zeit und da braucht es vor allem jemanden, dem ich meine Wunden ganz offen zeigen kann und der mit mir dann in die Tiefe geht.

Wenn wir jetzt miteinander die Karwoche feiern, dann ist da auch Platz und Tiefe für meine Wunden. Wir Christen erinnern uns in diesen Tagen an das Leiden und Sterben Jesu Christi. Im Mittelpunkt dieser Tage steht dabei kein „vor Vitalität strotzender Strahlemann“ aus der Werbung, sondern vielmehr ein geschlagener Mensch, verraten und verkauft, der verspottet, verwundet und schließlich getötet wird. Dieser Jesus von Nazareth erfährt am eigenen Leib, wie weh offene Wunden tun.

Genau an diesem Schicksal aber kann ich sehen: Verwundungen gehören zum Leben. Ich kann sie nicht einfach überpinseln oder mit Binden verstecken. Sie sind da! Andererseits darf ich aber auch wissen, dass es so nicht bleibt. Nach dem Karfreitag kommt Ostern – und das sagt mir, dass das Leiden eben nicht das Letzte ist, was uns Menschen erwartet und bewegt. Nein, ich bekomme eine Perspektive, die mir Heil und Heilung verspricht.

Ostern – das Fest des Lebens und das Fest zum Leben ist mir vor Augen. Und doch muss ich durch den Karfreitag hindurch. Und damit mir das gelingt, brauche ich jemanden in meiner Nähe, brauche ich jemanden, der zuhören kann, der mich versteht und der vielleicht auch ein wenig mit mir mitleidet. Es hilft, wenn ich ihm meine Verletzungen anvertrauen kann und er mich ahnen lässt, dass trotz allem alles gut wird.

So hoffe ich, dass Gott Ihnen und mir allüberall da, wo wir uns gebrochen und verwundet fühlen, so hilft, dass wir zu neuem Leben aufbrechen und ganz gesund werden. Dann würde ich „für Risiken und Nebenwirkungen“ sogar selbst die Garantie übernehmen.

 

In diesem Sinne, Ihnen

allen eine nachdenkliche Karwoche und ein

Wunden heilendes

Osterfest!

Ihr Bertram Bolz, Diakon

Kath. Touristen- und

Residentenseelsorger

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