Zeitgutscheine


Gedanken für mich – Augenblicke für Gott

Erinnern Sie sich noch, wann Sie die erste Uhr bekommen haben? Bei mir war es der Tag der Erstkommunion und ich war stolz wie „Oscar“ darauf. Endlich gehörte ich zu den Großen, die die Zeit kennen, die sich Zeit einteilen können – ein immenser Schritt auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Später hat sich dann zur Freude auch Skepsis eingestellt. War diese Uhr wirklich eine so große Errungenschaft? Damals dachte ich: Ich besitze eine Uhr. Heute denke ich oft: Die Uhr besitzt mich.

Gerade in den ersten Tagen eines neuen Jahres, da stellt sich für mich die Frage: Was bestimmt meine Zeit und mit welchen Augen betrachte ich meine Zeit? Schaue ich mit Augen, die nur Leistung anerkennen, denen Perfektion das Wichtigste ist? Schaue ich mit Augen, die meine Zeit in eine Zeit des Erfolgs oder des Misserfolgs einteilen? Schaue ich mit den Augen des Glaubens?

Am Neujahrstag wird in unserer Kirche noch einmal ein Teil der Weihnachtsbotschaft verlesen. Euch ist ein Kind geboren und mit diesem Kind beginnt eine neue, eine ganz andere Zeit. Der Evangelist Lukas stellt den Neugeborenen als Retter vor, auf den die Menschen schon lange warteten. Damit aber macht er klar: Jesus ist der Herr der Geschichte und nicht der damalige Kaiser Augustus, der ja gleichfalls den Titel „Retter“ trug. Während der römische Kaiser durch seine Macht erkennbar ist, betont der Evangelist die Ohnmacht Jesu: Er wird in Windeln gewickelt und liegt in einer Futterkrippe, weil sonst kein Platz für ihn war. Diese Machtlosigkeit ist das entscheidende Erkennungszeichen für Jesus. In seiner Zuwendung erfuhren die Menschen die Zuwendung Gottes hautnah; und diese Nähe überwältigt nicht, macht nicht klein und abhängig, sondern mutet zu, gibt frei, lässt wachsen und reifen. Trägt unsere Zeit etwas an sich von dieser Menschlichkeit Jesu?

Von ihm her, so möchte ich jetzt mal behaupten, hat die Zeit eine neue Qualität bekommen. Im Gottesdienst können wir dieser Sichtweise wohl sehr schnell zustimmen. Aber wie ist es im Alltag, wenn die Uhr uns bestimmt? Ein kleines Märchen kann uns da beim Nachdenken vielleicht behilflich sein:

Einem jungen Mann werden ein Bündel Zeitgutscheine mit dem Kommentar in die Hand gedrückt: „Ich gebe dir jetzt deine Zeit in deine Hände. Nütze deine Zeit gut, denn wenn deine Gutscheine aufgebraucht sind, ist auch dein Leben zu Ende.“ Zuerst hatte sich der junge Mann riesig gefreut. Endlich hatte er seine Zeit in den eigenen Händen und konnte sie selbst gestalten, so wie er wollte. Aber auf einmal wurde er sehr ängstlich. Was wird wohl passieren, wenn all meine Zeitgutscheine aufgebraucht sind? Seine Arbeitszeit, die Zeit zu lieben, die Zeit anderen Menschen zu begegnen, die Zeit zum Träumen? Alle Zeit der Welt also in seinen Händen und doch begrenzt. So sah er seine Gutscheine immer wieder an, begann sie zu zählen und zu ordnen. Schließlich wollte er seine Zeit ja bestmöglichst nutzen. Aber so sehr er sich auch mühte, er konnte sich von keinem einzigen Zeitabschnitt trennen. – Eines Tages kam der Mann, der ihm die Zeitgutscheine geschenkt hatte und fragte: „Und, hast du deine Zeit genützt?“ Da strahlte der junge Mann und sagte: „Ich habe sie noch alle bei mir.“ Worauf der Mann ihm entgegnete: „Du törichter Mensch. Hast du nicht das Kleingedruckte auf der Rückseite gelesen?“ Der junge Mann drehte die Gutscheine um und las: „Alle Zeit in deiner Hand geht verloren, wenn du sie nicht verschenkst. Wenn du sie aber aus der Hand gibst, dann wandelt sich deine begrenzte Zeit in unendliche Zeit. Je mehr du sie verschenkst, desto reicher wirst du.“

Fiktiv möchte ich Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, heute solche Zeitgutscheine als Startkapital für dieses noch recht junge Jahr schenken. Schließlich halten auch wir unsere eigene Zeit in unseren Händen. So wie in der Geschichte deutlich wird, dass die verschenkte Zeit gefüllte Zeit ist, so wünsche ich Ihnen, dass Sie die Augenblicke, die Stunden, die Sie verschenkt haben, im Nachhinein als erfüllte Zeit betrachten können. Ich wünsche Ihnen, dass Sie Ihre Zeit so gestalten können wie die Personen des Weihnachtsevangeliums: Wie Josef geduldig warten können, bis Gott Sie braucht. Wie Maria sich öffnen und das Unerwartete geschehen lassen, damit Sie Gott ganz einlassen können. Wie die Hirten den Sternen der Nacht getraut haben, dem Licht in Ihrem Leben trauen. So können Sie die Boten Gottes hören und sich dann auf den Weg machen und Hoffnungsträgerinnen und Hoffnungsträger für eine erfüllte Zeit 2009 werden. Ich wünsche es Ihnen auf jeden Fall aus ganzem Herzen.

Bertram Bolz, Diakon

Kath. Touristen- und

Residentenseelsorger

Diesen und frühere Artikel können Sie nachlesen unter: www.katholische-gemeinde-teneriffa.de oder www.wochenblatt.es

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