Zum Davonlaufen


Gedanken für mich – Augenblicke für Gott

Wie oft sagen wir, wenn wir genervt sind, so daher: „Es ist zum Davonlaufen!“ Und bisweilen wird es dann sogar ernst. Wenn der Leidensdruck nämlich so groß wird, dass wir keinen anderen Ausweg mehr sehen, als in der Flucht.

Da sagt z.B. eine Ehefrau nach einigen Ehejahren: „Es ist zum Davonlaufen!“ und sie tut es wirklich. Oder der Ehemann stellt nach vielen gemeinsamen Jahren fest: „Ich hab es satt“ und sucht sich eine andere, eine jüngere, mit der er meint noch einmal neu anfangen zu können. Jeder und jedem ist es manchmal zum Davonlaufen zumute – nicht nur in ehelichen Einöden oder Wüsten, sondern auch in der Einsamkeit des Alters oder des Single-Daseins. Es ist zum Davonlaufen.

Aber wohin sollen wir gehen, wenn nichts mehr geht? Wo mache ich mich fest, wenn mein Glück zerronnen ist? Ein Dichter unserer Tage, Thomas Brasch, hat genau davon ein „Lied gesungen“. Er schreibt:

„Was ich habe,

will ich nicht verlieren,

aber wo ich bin,

will ich nicht bleiben,

aber die ich liebe,

will ich nicht verlassen,

aber die ich kenne,

will ich nicht mehr sehen,

aber wo ich lebe,

da will ich nicht sterben,

aber wo ich sterbe,

da will ich nicht hin:

Bleiben will ich,

wo ich nicht gewesen bin.“

Davonlaufen und Bleiben – das ist die große Spannung, die wir alle so sehr spüren. Jede Zeile dieses Gedichtes ist gebrochen, widerrufen durch ein „aber“. Das ganze Leben wird angeschaut: Haben und Sein, Lieben und Kennen, Leben und Sterben. Ja, nein, aber… Hinter allem lauert der Vorbehalt, die Angst, sich zu binden und ja zu sagen. Denn aus allem spricht die Sehnsucht nach einer Bleibe. „Bleiben will ich, wo ich nicht gewesen bin.“ Der Text spiegelt die verworrene Zerrissenheit so vieler Zeitgenossen. Es ist Spiegelbild des kranken Herzens unserer Gegenwart.

Die Bibel erzählt viele Geschichten vom Davonlaufen und vom Bleiben. Die Emmauserzählung, die immer am Ostermontag in den Gottesdiensten verlesen wird, spielt sich nach der Hinrichtung Jesu ab. Als es im buchstäblichen Sinn todernst wurde, als es darauf ankam, Farbe zu bekennen, als sie Jesus kreuzigten – da bleiben allein die Frauen; die Männer, seine Freunde und Jünger, die machten sich schnurstracks aus dem Staub und liefen davon.

Zwei dieser Jünger liefen nach Emmaus und sprachen auf dem Weg immer wieder über diese jüngst vergangenen Ereignisse: Über die ungerechte Hinrichtung ihres Rabbi und über ihre enttäuschte Hoffnung auf den Messias, über die Katastrophe, die in ihnen alles zerstört hat, worauf sie ihr Leben setzten. Und auf dieser Flucht, da begegnen sie einem Unbekannten, dem sie alles erzählen, wovon ihr Herz so voll war. Er war ihnen ein so guter Zuhörer und Wegbegleiter, dass sie ihn am Ende des Tages baten: „Herr, bleib doch bei uns.“

Der Fremde bleibt und isst mit ihnen. Und dann wird erzählt, wie es bei diesem gemeinsamen Mahl, den beiden wie Schuppen von den Augen fällt. In dem Moment als der Fremde das Brot mit ihnen bricht, da gehen ihnen auf einmal die Augen auf, und sie wissen wer er ist: Der Unbekannte war Jesus, der vor wenigen Tagen Ermordete, der jetzt lebendig bei ihnen war und der – wenn auch verborgen und unsichtbar – bei ihnen blieb.

Seit dieser wunderbaren Begebenheit wissen wir, dass er auch bei uns bleibt, wenn wir ihn darum bitten. Und seit diesem grundlegenden Ereignis wissen wir auch, wo wir letztlich bleiben können, wenn es uns mal wieder zum Davonlaufen ist. Denn der Blick auf Jesus kann unsere Perspektive verändern und verwandeln. Wir können IHN bitten, dass er bei uns bleibt und dass ER uns die Kraft schenkt, eben auch dazubleiben, innezuhalten, zueinander zu stehen – auch wenn es nicht selten zum Davonlaufen ist.

Ihr Bertram Bolz, Diakon

Kath. Touristen- und

Residentenseelsorger

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