Zur Freiheit berufen


Gedanken für mich ­– Augenblicke für Gott

Nicht nur unser neuer Bundespräsident Joachim Gauck spricht gerne vom Begriff der „Freiheit“; nein, auch der christliche Glaube ist davon durch und durch geprägt. Oder kommt da bei Joachim Gauck seine christliche Grundhaltung, seine Überzeugung als evangelischer Pastor durch?

Paulus sagt ja in seinem Brief an die Galater: „Ihr seid zur Freiheit berufen.“ Dabei ist das Wort „Freiheit“ ja für jeden Christen ein ganz gefährliches Wort. Weshalb? Nun, gerade wir Katholiken waren und sind ja meist anderes gewohnt: Führung, Leitung und Lenkung. Fragen Sie mal einen Katholiken nach der obersten Autorität. Die Antwort wird fast immer lauten: Der Papst, der Bischof und vielleicht noch das Gewissen. Nur – das gilt heute nicht mehr für die Menschen schlechthin. Die oberste Autorität sind heute vielfach – auch für Christen – der Reichtum, der Besitz und das Geld geworden.

Christliches Abendland, das bringen wir in aller Regel noch mit Gott zusammen, mit Religion und Kirche. Die Religion war das Sinn stiftende Element im Leben der Menschen; sie hatten Macht, Menschen zu bewegen, denn sie reichte bis in das Unterbewusstsein hinein. Was so zum Beispiel im Westen in den letzten Jahren und Jahrzehnten verloren gegangen ist, das hält den Islam bis heute zusammen. Und zwar in einem Maß, das uns oft Angst macht.

Und was ist bei uns im Abendland passiert? An die Stelle der Abhängigkeit von Gott ist die Abhängigkeit von den Systemen der Wirtschaft getreten, die sich in den Börsen ganz eigene Kulträume geschaffen hat. Der tägliche Börsenbericht klingt da für viele mitunter wie eine Frohe Botschaft, manchmal aber eben auch wie eine apokalyptische Verheißung. Für mich ist jedenfalls der pseudo-religiöse Charakter unverkennbar. Da braucht es auch gar nicht den Hinweis auf das Bekenntnis, das die Ein-Dollar-Note bis heute auszeichnet: „In God we trust!“ – „Auf Gott vertrauen wir!“ – Doch welcher Gott ist damit gemeint? Oder müssten wir es mit Menschen halten, die dies für einen Druckfehler aus den Anfangstagen des Dollar halten und heute behaupten, in dem Wort God sei einfach ein l vergessen worden: „In Gold we trust!“… Das würde dem eher gerecht werden, was ein Amerikaner unserer Tage ganz ungeniert zum Besten gab: „Ich mag den Glauben an den Dollar und das Geld deshalb, weil wir dabei nicht heucheln!“ Nein, Gott steht schon lange nicht mehr auf unseren Altären – Konsum und Geld heißen die neuen Religionen. Es wird alles vermarktet, und die einzige Moral, die noch gilt, das ist eben die Moral dieses Marktes.

Wenn ich jetzt das Pauluswort noch einmal bedenke, dann bekommt es durch diese Überlegungen einen ganz neuen Klang: „Ihr seid zur Freiheit berufen!“ Paulus weiß auch, wohin diese Berufung zur Freiheit unter der Leitung des Geistes führt – zur Liebe. Nur: Liebe kommt in der Moral des Marktes nicht vor. Liebe wird vielmehr durch Geld ersetzt. Werfen wir zum Beweis einen Blick in die aktuelle Politik des Staates hier: Sozialwesen, Krankenbudget und Erziehungsbereich werden massiven Kürzungen unterworfen, die Banken aber stützt man mit Milliardenbeträgen, um sie anscheinend zu retten. Wer aber rettet die, die von den Banken geködert wurden und heute einfach fallengelassen werden?

Wenn wir zur Freiheit berufen sind, sind wir auch zur Liebe berufen. Das aber ist das, was unsere Welt nicht hören will. Denn unter dem Liebesgebot Jesu verliert das Geld seinen Wert. Also geben wir es doch zu: Wir sind nicht frei. Wir fühlen uns erst dann wirklich frei, wenn wir die Freiheit haben, über möglichst viel Geld zu verfügen. Das ist eine unheilvolle Verstrickung, aus der sich zu lösen so unsagbar schwer ist. Dabei fallen einem ja genügend Beispiele ein, dass Geld nicht glücklich macht. Ja schlimmer noch, dass Geld und die Macht des Geldes ins Unglück führen: Partnerschaften sind zerbrochen, Erbstreitigkeiten belasten Familien, die Gier treibt ganze Unternehmen in den Abgrund – und Menschen mit dazu. Das Schlimme ist dabei, dass die Begehrlichkeiten trotz dieser Erfahrungen bis ganz nach unten durchsickern.

Das Evangelium Jesu gibt uns die Fähigkeit, diese gefährlichen Machenschaften zu durchschauen. Warum nehmen wir Christen das nicht wahr? Sind wir wirklich völlig überfordert, wenn wir unseren Weg der Freiheit gehen wollen? Ich meine, wer das System durchschaut hat, hat schon mal gewonnen. Denn diese Menschen lassen sich nicht kaufen. Und jede/r, der/die so handelt, gewinnt einen Abstand, der schon ein Stück Freiheit ist. Wer das System durchschaut, greift zu den drei altbewährten Methoden, die eigentlich alle Religionen kennen: Gebet, Almosen und Fasten. Und was heißt das? Gebet meint in diesem Zusammenhang: Ich anerkenne Gott als höchste Autorität und nicht das Geld. Almosen bedeutet: Ich kann mit der Linken loslassen, was die Rechte zusammengebracht hat. Und Fasten: Ich muss nicht alles haben, was diese Welt mir verkaufen möchte. Drei Schritte auf dem Weg zur Freiheit – zu mehr Freiheit.

Ihr

Bertram Bolz, Diakon

Kath. Touristen- und

Residentenseelsorger

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