25 Einzelschicksale


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Riada zählt zu den Todesopfern der Flüchtlingstragödie, bei der 25 Menschen starben. Doch sie passt nicht ins Bild des verzweifelten Armutsflüchtlings

Warum verlässt eine junge Frau, verheiratet und mit vier kleinen Töchtern, ihr Zuhause und steigt in ein kleines Boot, um heimlich die marokkanische Heimat zu verlassen? Wie groß muss der Wunsch nach einem vermeintlich besseren Leben sein? Am 15. Februar endete die Fata Morgana vom paradiesischen Europa in einer neuen Tragödie.

Das Drama der illegalen Einwanderung aus Afrika geht in eine neue Runde. Riada Aabihdak ist eine von 25 Todesopfern. Das Flüchtlingsboot, in dem sie die gefährliche Reise von Marokko über den Atlantik geschafft hatten, kenterte, als sie eigentlich schon angekommen waren. Nur etwa zwanzig Meter vom Ufer des Orts Los Cocoteros (Lanzarote) entfernt ertranken 25 Menschen, darunter 19 Kinder.

Auf dem Friedhof von Teguise wurden neun nicht identifizierte Opfer dieser Tragödie beigesetzt. Auf dem Friedhof von Arrecife fanden weitere neun Opfer die letzte Ruhe. Nur sieben der 25 Leichen konnten von Familienangehörigen in der Heimat anhand von Fotos identifiziert werden. Said Aabihadak ist einer dieser Angehörigen, die nach Lanzarote geflogen sind, um den Sarg ihres Familienmitglieds auf der letzten Reise zurück nach Marokko zu begleiten. „Meine Schwester ist gegangen und hinterlässt vier kleine Mädchen“, klagt Said. Er kann es einfach immer noch nicht verstehen. Denn Riada Aabihdak entspricht nicht dem Klischee des verzweifelten Armutsflüchtlings und das macht ihre Entscheidung umso unverständlicher. Die 37-Jährige lebte mit ihrem Mann und vier Töchtern bei Guelmim, einer Stadt im Süden Marokkos. Ihr Mann ist Krankenpfleger, sie wohnten im eigenen Haus, die Kinder gehen alle zur Schule, lernen Englisch, Französisch und Arabisch. Verglichen mit dem marokkanischen Durchschnitt, ging es der Familie finanziell recht gut.

Die Tragödie von Los Cocoteros hat zwei Orte in Marokko besonders hart getroffen. Fast alle Opfer stammen aus Guelmim und dem mehr im Landesinneren gelegenen Assa. „Hier gibt es keinen Hunger, nur Armut“, sagt Ibrahim, ein Marokkaner der einige Jahre auf den Kanaren gearbeitet hat und heute wieder in der Heimat lebt. „Man kann hier besser mit 400 Euro im Monat leben als in Spanien mit 2.000 Euro, aber die Leute glauben das nicht, sie lassen sich von dem was sie im TV sehen und was ihnen erzählt wird, beeinflussen; und die Familienangehörigen, die es nach Europa geschafft haben, übertreiben immer, denn sie wollen nicht zugeben, wie schwer das Leben als illegaler Immigrant ist.“

Riada hatte zwei Schwestern, die es „geschafft hatten“. Eine lebt seit einigen Jahren auf den Kanaren, wusste aber auch nichts von den Plänen ihrer Schwester. Riada hatte nur ihrer fast volljährigen Tochter Mhajiba von ihrem Plan erzählt und sich von ihr am Abend der Flucht verabschiedet. Mhajiba berichtet, dass ihre Mutter versucht hatte, ihre Schwestern in Spanien zu besuchen, aber vom spanischen Konsulat in Agadir keine Einreisegenehmigung bekam. Sie hatte einige Gegenstände wie einen PC, eine Matratze und Fahrräder verkauft, um die rund 600 Euro für die Überfahrt zusammenzubekommen. „Es war ihr Wille. Sie wollte nach Europa, um jeden Preis“, erklärt Mhajiba.

Außerordentlicher Gipfel

Der kanarische Regierungs­chef hat aufgrund der Flüchtlingstragödie vor Lanzarote von der spanischen Regierung einen außerordentlichen Gipfel mit diesem Thema gefordert, um nach neuen Maßnahmen und Lösungen für das Flüchtlingsproblem zu suchen. Paulino Rivero (CC) möchte, dass alle Minister, die Kompetenzen in dieser Materie haben, teilnehmen – Innenminister, Außenminister, Arbeitsminis­ter. Nachdem die kanarische Regierung zehn Tage lang öffentlich auf der Forderung eines dringenden Treffens beharrte, gab Innenminister Alfredo Pérez Rubalcaba einem Journalisten zu verstehen, er habe „keine Ahnung“ von einem Treffen. Später jedoch verpflichtete er sich zumindest dazu, die Anfrage von Rivero weiterzuleiten.

Auch die Parteipräsidentin von CC, Claudina Morales, hält ein Ministertreffen zur Analyse der Lage für notwendig: „Wir müssen dafür sorgen, dass sich eine solche Tragödie nicht wiederholt  und die Kanaren nicht weiter zum Friedhof Afrikas werden.“

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