Gedanken für mich – Augenblicke für Gott
Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien. Erinnern Sie sich an diese tollen Wochen im Sommer? Oder anders gesagt: Das waren doch „Emotionen pur“. Das war doch das tota- le Gänsehautfeeling – oder nicht? Doch: Ich behaupte mal – jeden Tag aufs Neue und immer wieder: „Emotionen pur“. Pur. Puuur. So das Wort der Berichterstatter bei fast allen Übertragungen, die ich mir so angeschaut habe.
Stimmt ja auch. Selbst wenn das Wetter nicht mitspielte und es teilweise in Strömen goss – den Fans war es doch so was von egal. Sie lebten diese „Emotionen pur“. Sie hatten trotzdem diese „Ganserlhaut“ (wie jetzt meine österreichischen Freundinnen und Freunde sagen würden) – wenigstens als Hoffnung und Sehnsucht, wenn schon nicht als Wirklichkeit. Dieses Wort „Emotionen pur“ ist mir damals nicht nur aufgefallen; nein, es hat inzwischen große Karriere gemacht. Es gibt jetzt nämlich nicht nur „Emotionen pur“ im Fußball oder anderen Bereichen des Sports, sondern in allen möglichen Erlebnisbereichen. Geben Sie es einmal bei einer Internet-Suchmaschine ein, Sie werden sich wundern – und wie.
Das Wort ist mir aufgefallen – und: es hat mich gestört. Doch was hat mich daran eigentlich so gestört? Weil es auf mich eher wie eine Beschwörungsformel wirkte als eine Beschreibung der Wirklichkeit oder besser des Erlebten. Also es soll ja besonders bei Fußball-Weltmeisterschaften oder auch bei Olympischen Spielen dieses totale und absolute Gefühl geben. Sieger und Bester und Größter und ganz Deutschland mit – Weltmeister. Oder auch die Enttäuschung und der Verlust – natürlich für die anderen (siehe das 0:7 der Brasilianer gegen uns). Aber dieses Gefühl stellte sich so ja meist gar nicht ein. Jedenfalls nach meiner Beobachtung nicht bei den Reportern, die es dauernd im Munde führten. Es wirkte auf mich eher unecht, unglaubwürdig und übertrieben. Und weshalb? Weil es den interviewten Sportlern in den Mund gelegt wurde. Sie sollten es haben, damit es dann auch die Zuschauer miterleben. Darauf also kam und kommt es an: die „Emotionen pur“ sollen vermittelt werden. Denn das bewegt. Das reißt mit. Das gibt Einschaltquoten. Emotionen bewegen. Emotionen sind große Kräfte. Auch die Emotionen anderer Leute. Immer sollen sie rüberkommen. Und dafür wird dann auch auf die Tube gedrückt und herbeigeredet, was so gar nicht da ist. Es wird geweckt und aufgestachelt und animiert. Und das hinterlässt einen ganz üblen Nachgeschmack. Weil die Gefühle der Sportler benutzt werden. Weil ich als Zuschauer bedient werde.
Und es geht noch tiefer. Dieser Wunsch und Wille nach „Emotion pur“ löst eine Spirale aus. Es soll immer noch stärker werden das Gefühl. Es soll immer noch heftiger werden. Es soll immer noch überwältigender sein. Eine Art Suchtspirale.
Um das Gefühl zu erreichen, braucht es eine immer größere Dosis. Nicht nur schneller, weiter höher, sondern auch lauter, schriller, heftiger. Und dann wird es immer unerträglicher. Das endet in der Frustration wie bei der Sucht. Das ist der Teufelskreis vieler Medien. Das ist ein Teufelskreis des Erlebnishungers und Lebenshungers bei vielen Menschen.
Was sich meldet in diesem totalen und absoluten Erlebenswunsch ist etwas zutiefst Menschliches. Und das mag jetzt vielleicht erstaunen. Es ist dahinter eigentlich der Wunsch nach der Totalität und dem Absoluten, die es so hier nicht geben kann. Genauer gesagt, die es hier und jetzt immer nur als Kostprobe und für Augenblicke und als Verheißung gibt. Also es gibt diese Erfahrung des Totalen und Absoluten, ja, das gibt es. Aber nicht auf Dauer und nicht als etwas Herstellbares. Immer wieder wird versucht, es zu machen, es zu produzieren, aber gerade das verursacht dieses üble Gefühl der Manipulation, der Lüge, des Unechten, des Kitschs.
Was sich meldet in diesem Wunsch nach „Emotionen pur“ ist das, was man früher Seligkeit genannt hat. Absolut und total ist letztlich nur Gott allein. Der Wunsch und die Sucht nach dem Absoluten und Totalen ist letztlich der Wunsch nach Gott. Und es ist gar nicht so falsch, wenn da immer von den Göttern des Sports und von Fußballgöttern gesprochen wird. Da gibt es anscheinend immer wieder diese Augenblicke des Totalen und Absoluten im Erleben…
Auch bei der rechten Gottesverehrung sind Momente der Erfahrung des Totalen und Absoluten selten. Es gibt sie wie die Erfahrung der Verklärung Jesu auf dem Berg (vgl. Mk 9,2-10). Aber sie vergehen und lassen sich nicht herstellen. Sie werden geschenkt. Wir wollen sie gern festhalten und wie Petrus eine Hütte auf dem Berg bauen. Das geht aber nicht. Und sie sind nicht Emotion pur, sondern mehr und anders und umfassender als alle anderen Glücksmomente, die wir sonst geschenkt bekommen und erfahren dürfen.
Dass Sie sich nicht mit „Emotion pur“ abspeisen lassen, sondern diese Erfahrung des lebendigen Gottes suchen und machen, das wünsche ich Ihnen!
Herzlichst, Ihr
Bertram Bolz, Diakon
Kath. Touristen- und
Residentenseelsorger
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