Die „Bandas del Sur“, was man ungefähr mit „die südlichen Hänge“ übersetzen kann, erscheinen auf den ersten Blick sehr unwirtlich. Der zweite Blick ändert daran nichts. Hier ist Wüste; bestimmt nicht nur, weil es dort kaum regnet. Es verwundert nicht, die eigens für Sonnenhungrige in die Landschaft Teneriffas gepflanzten Retortensiedlungen mit und ohne Luxushotels gerade in diesen Gegenden zu finden. Das Typische dieser ungewöhnlichen Landschaft ist der sehr helle, manchmal fast weiße und felsige Boden, der eher an Halden voller Bauschutt erinnert denn an eine besonders schützenswerte Naturlandschaft. Wir erleben sie beispielsweise vom Auto aus, wenn wir auf der Südautobahn Richtung Santa Cruz und La Laguna unterwegs sind. Viele, die zum ersten Mal in Teneriffas Norden ihren Urlaub verbringen, äußern sich verstört bis entsetzt über dieses Landschaftsbild des Südens, das so gar nicht zu den Erwartungen an eine Urlaubslandschaft zu passen scheint. Der grüne Norden unserer Insel versöhnt dann meistens sehr schnell. Solche Besucher sind mit dieser Auffassung nicht allein: Bis in die politischen Kreise hinein gibt es auch unter Einheimischen zahlreiche Menschen, die den Bandas del Sur keinen Wert beimessen. In manchen südlichen Inselregionen reicht diese Landschaft bis in Höhen von etwa 1200 m über dem Meeresspiegel. Kann man dort überhaupt wandern? Im Sommer? Man kann. Allerdings sollte man nicht einfach auf gut Glück loslaufen.
Alle Wege führen … wohin? Auf Teneriffa gab es die traditionellen Handels-Routen, die Caminos Reales, deren Netz auch – und besonders – im Süden noch in Teilen erhalten ist. Daneben gab und gibt es bis heute noch Pilgerwege, und die führen keineswegs alle nach Candelaria ins Heiligtum der dortigen Virgen (heiligen Jungfrau), die zugleich die Schutzpatronin der Kanarischen Inseln ist. Adeje bietet mit dem Camino de la Virgen auch im heißen Sommer eine kurze und leichte Bergab-Wanderung, für die man außer einer großen Flasche Wasser und gutem Sonnenschutz nichts weiter mitnehmen muss. Hat man weiterhin im Rucksack Badesachen, steht einem anschließenden erfrischenden Bad an der Playa de la Enramada nichts im Wege. Ursprünglich verband der Pilgerweg die Kirche Santa Úrsula von Adeje mit der kleinen Kapelle „Ermita de la Enramada“. Der Bau der Autobahn hat hier aber den oberen Teil des historischen Weges abgeschnitten, sodass neuerdings die Pilger am zweiten Sonntag nach Ostern bei El Portón, direkt unterhalb der TF-1 bei Fañabé beginnen. Dort markiert ein großes, im traditionellen Stil errichtetes Tor den Beginn des zusätzlich grün-weiß markierten Weges (SL TF 71). Von da an ist er in fast seinem gesamten Verlauf überschaubar und kann nicht verloren werden. Die kurze Strecke könnte zugleich ein geologischer Lehrpfad durch die Bandas del Sur sein. Bisher fehlen dort leider entsprechende Hinweistafeln.
Schon am Beginn des breiten Pfades laufen wir auf einem seltsamen Material. Das Gestein erinnert entfernt an ausgegossenen und danach erhärteten Beton; und dieser Vergleich ist gar nicht so schlecht. Denn hier ist tatsächlich vor langer Zeit etwas geflossen und danach ausgehärtet. Das helle Tuffgestein weist auf äußerst explosive Vulkanausbrüche hin, die für das Zentrum Teneriffas im Zeitraum von vor 1,6 bis 0,2 Millionen Jahren normal waren. Die Krateröffnungen befanden sich wahrscheinlich im Bereich der heutigen Cañadas südlich der Roques de García. Bei diesen verheerenden Eruptionen schossen zunächst aus den Krateröffnungen 15 – 40 km hohe Glutsäulen mit Überschallgeschwindigkeit in die Höhe, aus denen es unablässig Steine auf die nähere und weitere Umgebung herabregnete. Solange der enorme Druck die in Fetzen zerrissene Lava in der Säule immer wieder nach oben katapultierte, blieben die Säulen in einem labilen Gleichgewicht. Neigten sie sich zur Seite oder wurde der Wolkenpilz an ihrem oberen Ende zu breit, brachen sie sekundenschnell in sich zusammen und überfluteten mit Schallgeschwindigkeit die Umgebung. Für solche Glutströme gab es keine Hindernisse; sie flossen sogar bergauf und hinterließen schließlich meterdicke Ablagerungen, die noch heiß genug waren, dass sich die Teilchen in ihnen noch einigermaßen miteinander verschweißen konnten. So entstand das Tuffgestein, das die Einheimischen Tosca nennen. Es ist bei Steinmetzen sehr beliebt, weil es leichter zu bearbeiten ist als normale Lava, die als flüssiger Strom die Landschaft bedeckte. Besonders die Portale der alten Gebäude von La Laguna wurden aus roter Tosca gemeißelt. Sie bereiten heute den Denkmalpflegern große Sorge, weil dieses Material wenig verwitterungsbeständig ist.
Die orangefarbene Tosca, auf der wir hier anfangs wandern, hat ein Alter von 1,52 Millionen Jahren und enthält Brauneisen – daher die Farbe. Blicke auf die Wände der beiden Barrancos nördlich und südlich des Rückens, über den der Weg ein gutes Stück verläuft, zeigen unter- und oberhalb dieser orangen Schicht hellgraue bis weiße Tosca und damit zugleich, dass es schon vorher und auch noch lange danach solche Ereignisse gegeben hat. Im Resultat zerstörten sie jedes Mal alles Leben und alle Lebensräume im Zentrum der Insel.
Bei näherer Betrachtung erkennen wir in der Tosca eingeschlossene dunkle Basaltbrocken. Das sind Steine, die bei den Explosionen aus dem Vulkanschlot mitgerissen wurden und zusammen mit der Glut hier weit von der Krateröffnung zu liegen kamen.
Nach dem Ende der Explosionsphase wurden die Tosca-Ablagerungen von „normalen“ Lavaströmen überdeckt und erst im Laufe der Zeit wieder durch Erosion freigelegt. Deswegen erblicken wir mancherorts über den hellen Toscafeldern dunklere Basalte. Sie sind Reste der einstigen Überdeckung.
Michael von Levetzow
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