Mittellos und ohne Bleibe: Entsetzen und Unverständnis auf Gran Canaria nach Entlassung von Migranten aus der Notunterkunft am Hafen von Arguineguín
Gran Canaria – Der Hafen von Arguineguín war bis zur Auflösung des dortigen Migrantenlagers (siehe Seite 5) der Hotspot der illegalen Migration. Von der Bürgermeisterin des Ortes als „Camp der Schande“ benannt, wurden in den begrenzten Notunterkünften dieser Erstaufnahmestelle monatelang zum Teil Tausende Ankömmlinge aus Nordafrika und der Sahelzone betreut und untergebracht, dabei war dieses Zeltlager des Roten Kreuzes nur für die Aufnahme von knapp 500 Personen ausgelegt.
Nachdem Arguineguín in den vergangenen Wochen wegen der hohen Zahl dort beherbergter Bootsmigranten und der unwürdigen Bedingungen dieser Unterbringung immer wieder in den Schlagzeilen war, spitzte sich die Problematik am vergangenen 18. November zu. Auf Anordnung der spanischen Regierung und ohne vorherige Ankündigung wurden von der Nationalpolizei 227 Migranten, die bereits zwei Wochen in dem Notlager in Arguineguín verbracht hatten, ohne Geld, Wasser und Essen und ohne zu wissen, wo sie die Nacht verbringen sollten, auf freien Fuß gesetzt. Zuvor hatte Innenminister Fernando Grande-Marlaska noch beteuert, dass kein Migrant länger als 72 Stunden in diesem Lager festgehalten werde.
Während die meisten der jungen Männer, die verstört und unsicher waren, in einer Gruppe am Hafen blieben, bestellte die Stadtverwaltung unter Bürgermeisterin Onalia Bueno Busse und bot den Migranten an, sie in die Hauptstadt Las Palmas zu fahren, wo sich die Regierungsstelle und auch das marokkanische Konsulat befinden. Durch freiwillige Übersetzer gelang es, den verunsicherten Männern verständlich zu machen, dass dies die vorerst einzige Möglichkeit sei.
In Arguineguín, Las Palmas und bei der kanarischen Regierung herrschte Verblüffung und geradezu Entsetzen über die Freilassung dieser Menschen ohne Ausweispapiere, einen Cent in der Tasche, geschweige denn eine Bleibe. Nach ihrer Ankunft in Las Palmas tummelten sich die jungen Männer zunächst auf einer zentral gelegenen Plaza, wo sie zum Teil von Anwohnern mit Wasser und belegten Broten versorgt wurden. Auch den einen oder anderen Telefonanruf bei Angehörigen konnten sie über die Handys von hilfsbereiten Canarios machen. Später am Abend wurden sie dank eines von der kanarischen Regierung in Zusammenarbeit mit der Stadt Las Palmas und dem Roten Kreuz aufgestellten Notplans in Hotels im Süden der Insel gebracht, wo sie die Nacht verbringen konnten.
Der Vorfall löste Spannungen zwischen den Kanaren und Madrid aus
Der kanarische Regierungspräsident Ángel Víctor Torres forderte das Innenministerium auf, umgehend eine Erklärung für dieses Vorgehen abzugeben und schrieb noch am selben Abend auf Twitter: „Wir fordern eine Aufklärung und, dass so etwas nicht wieder vorkommt.“
Auch von zahlreichen anderen Stellen gab es aufgebrachte Kritik. Die Sozialisten im Rathaus von Mogán bedauerten, dass die Menschenrechte hier nicht eingehalten würden. Die regionale Fraktion von Podemos, Bündnispartner der Regierung von Pedro Sánchez, forderte gar den Rücktritt von Innenminister Grande-Marlaska. Auch die PP sprach von der „gravierenden Verantwortungslosigkeit“ und forderte die Absetzung des Ministers. Dieser ließ wissen, dass er nicht an Rücktritt denke, dafür aber eine Untersuchung zur Klärung dieser Angelegenheit anordnen werde, um unter anderem festzustellen, ob es einen „Mangel an Koordinierung“ gegeben habe.
Als Reaktion auf das Unbehagen auf den Kanarischen Inseln beeilte sich die spanische Regierung, die Koordination der drei involvierten Ministerien unter Beweis zu stellen. In den Tagen nach dem Vorfall reiste Innenminister Grande-Marlaska nach Marokko, um dort die Verhandlungen über Rückführungen von illegalen Migranten fortzuführen, während Migrationsminister José Luis Escrivá und Transportminister José Luis Ábalos die Inseln besuchten.
Neue Aufnahmeeinrichtungen für bis zu 7.000 Personen
Die Ankündigung von Migrationsminister Escrivá bei seinem jüngsten Kanarenbesuch am 20. November, dass neue Aufnahmeeinrichtungen für Migranten geschaffen werden, um darin bis zu 7.000 Personen unterzubringen, hat die Befürchtung der kanarischen Regierung bestätigt, dass die Zentralregierung in Madrid keine Verlegung von Migranten auf das Festland plant. Obwohl sich mehrere Regionen wie das Baskenland, Extremadura, Navarra und auch die Stadt Barcelona solidarisch gezeigt und angeboten hatten, einen Teil der rund 9.000 Migranten aufzunehmen, die sich derzeit auf den Kanarischen Inseln befinden, lehnt die spanische Regierung dies ab. Innenminister Fernando Grande-Marlaska begründete diese Haltung damit, dass durch die Verlegung von Migranten auf das spanische Festland Möglichkeiten für die illegale Einreise dieser Menschen nach Europa geschaffen würden. Stattdessen will die Regierung auf Rückführungen von Migranten von den Kanaren in ihre Heimatländer – sofern es Rückführungsabkommen gibt – setzen, was jedoch angesichts der aktuellen Grenzschließungen schwierig erscheint.
Der „Plan Canarias“ für die Schaffung neuer Aufnahmezentren sieht diese Einrichtungen für die drei Inseln vor, auf denen 95% der Bootsmigranten ankommen. Auf Gran Canaria sollen Unterkünfte für 1.950 Personen geschaffen werden, auf Teneriffa für 3.250 und auf Fuerteventura für 700. Diese Unterbringungsmöglichkeiten für 5.900 Personen sollen zusammen mit den bestehenden Aufnahmezentren für 1.100 Flüchtlinge bis Jahresende die vorläufige Beherbergung von bis zu 7.000 Migranten ermöglichen. Dies soll auch garantieren, dass die 5.500 noch immer in Hotels der Inseln untergebrachten Migranten verlegt werden, und diese touristischen Einrichtungen wieder für Urlauber zur Verfügung stehen.
Dürftige Verstärkung für die Seenotrettung
Die von Transportminister José Luis Ábalos angekündigte Verstärkung für die überlastete Seenotrettung auf den Kanaren blieb hinter den Erwartungen zurück und beschränkt sich auf ein zusätzliches Besatzungsmitglied für jedes der Schiffe, die in den letzten Wochen nahezu im Dauereinsatz waren, um Migranten zu retten. Die Besatzungen der Schiffe werden um eine Person auf mindestens vier Mitglieder je Schiff erhöht.
Dreizehn Schiffe sind auf den Kanarischen Inseln aktuell im Einsatz, um Bootsmigranten zu retten, drei davon vom Typ Guardamar sind 32 Meter lang, die übrigen vom Typ Salvamar sind für rasche Einsätze zuständig und zwischen 15 und 21 Metern lang.